Donnerstag, 4. Februar 2016

Sushi am laufenden Band: Im Kyoto in Regensburg

Running-Sushi-Bars sind in unseren Breiten beliebte Spielarten des All-you-can-eat-, gelegentlich auch des All-you-can-eat-as fast-as-you can-Prinzips.

Insbesondere dann, wenn nach Zeit abgerechnet wird. Entweder 30 oder 60 Minuten sind die übliche Taktung. An solchen Futterplätzen kann man den Homo sapiens im Hochgeschwindigkeitsmodus bei der Nahrungsaufnahme erleben - und sich als Beobachter des Geschehens entweder wundern, amüsieren oder fremdschämen.

Schweinemastagrarier wundern sich in solchen Läden mutmaßlich eher selten: sie kennen vergleichbares Fressverhalten von ihren quiekenden Investitionsobjekten am Futtertrog im heimischen Stall. Beobachte ich einzelne Exemplare des Homo sapiens bei der Nahrungsaufnahme, beschleicht mich gelegentlich der Verdacht, dass in manchen Kulturen Schweinefleisch deswegen tabu sein könnte, weil sich Sus scrofa domestica und Homo sapiens arg zu ähneln scheinen ...
von Robert Bock

In Regensburg finden sich - meines möglicherweise unvollständigen Wissens nach - derzeit vier Running-Sushi-Lokale. Zwei davon unter einheitlicher Führung: Das Tokyo in Viereimergasse 2 und das Kyoto in der Ludwigstraße 7.

In beiden Lokalen kann man ohne Zeitbegrenzung "speisen" - soviel bis man satt, einem schlecht ist - auch bis man platzt, wenn's beliebt: je nach persönlicher Präferenz.

Wir haben dem Kyoto zur Mittagszeit einen Besuch abgestattet. Für 9,90 EUR kann man sich dort von einem doppelstöckigen Laufband bedienen, in aller Ruhe kalt und warm speisen, plaudern und darüber philosophieren, dass so ein "Running-Sushi-Etablissement" an sich eine bemerkenswerte Metapher für unser Dasein und das Älterwerden darstellt ...

Das Kyoto ist beinahe schon ein Klassiker in der Regensburger Altstadt. Und so sieht das Interieur mittlerweile auch aus.

Dringend sei den Betreibern angeraten für eine Rundumerneuerung des in die Jahre gekommenen Mobiliars und des ramponierten Wandschmucks zu sorgen.

Was das Schlaraffenband angeht, so ist es theoretisch und praktisch möglich, Edelstahl auf Hochglanz zu bringen. Die schmuddelig anmutenden Schlieren, die mir bei diesem Besuch ins Auge stachen, wirken nicht auf jeden Gast vertrauenserweckend.

Meine Begleiterin und ich beschließen es im Dienste der Marktforschung mit Nietzsche zu halten: Was uns nicht umbringt, macht uns nur härter. Nein - es soll kein falscher Eindruck entstehen: Wir unterstellen dem Kyoto keine hygienischen Mängel, aber attestieren verbesserungswürdige oberflächlich-optische Sauberkeit, was das Laufband betrifft. Tipp für das Reinigungspersonal: Man setze sich einmal auf den Platz eines Gastes und werfe von unten einen Blick in die Maschinerie.

Dass hier im Kyoto japanische Sushi-Meister am Werk wären, nimmt hoffentlich niemand der Gäste tatsächlich an.

Auch was auf den bunten Tellerchen  im Untergeschoss des Laufbandes unter Plastikkuppeln vorbeifährt, würde in Japan wohl schon rein optisch ein Grund sein, einem Berufskollegen der Sushi-Zunft gepflegten Harakiri nahezulegen:

Lieblos, in Höchstgeschwindigkeit zusammengemurkste Rollen mit jeweils rohem Lachs und Thunfisch, Gurke, Ruccola, Gurke, Gurke und Gurke, bis hin zu absonderlichen Füllungsvarianten wie Surimi (Krebsfleischimitat aus Fischereiabfällen und jeder Menge zwielichter Chemie) oder Frischkäse (der in Japans Küche nach meinem unmaßgeblichen Dafürhalten nichts verloren hat ...), gehächselter, fasriger Thunfisch aus der Dose (ja - tatsächlich!) und weiteres mehr, dessen Wesen ich, so habe ich für mich beschlossen, gar nicht so genau erfahren möchte.

Der Reis ist kaum gesäuert, meinem persönlichen Geschmack nach schlicht zu fade. Die Endstücke einer jeden Rolle werden hier selbstverständlich auch serviert, obwohl sie optisch den Eindruck machen, als sei ein Silvesterkracher darin explodiert. Zu allem Überfluss sind manche Rollen so wenig kompakt gerollt, dass sie sich unter keinen Umständen mit den Stäbchen in das Sojasaucenbad bugsieren lassen wollen und statt dessen zerfallen, wie - in unseeliger Koinzidenz - die Vorfreude beim Betreten des Lokals.

Es hilft, um der aufwallenden schlechten Laune zu begegnen, sich vor Augen zu führen, dass man tatsächlich nur 9,90 EUR zu bezahlen braucht. Erstklassige Sushi sind für diesen Preis in unbegrenzter Menge allerhöchstens im Schlaraffenland zu erwarten. Leider weigert sich Google-Earth aber beharrlich, mir zu verraten, wo sich dieses verflixte gelobte Land der unbegrenzten Genüsse befindet?!
Soll ich ehrlich sein: Mich beschleicht manchmal der Verdacht, dass es dieses ominöse Schlaraffenland in Wahrheit gar nicht gibt. Ich glaube, ich werde demnächst den Osterhasen dazu befragen. Der könnte es wissen. Falls nicht, das magische Einhorn. Oder die AfD - die hat auf jede dumme Frage eine noch dümmere Antwort. Vermutlich schickt man mich nach Sachsen.

Die warme Abteilung im Obergeschoss des Förderbandes ist bereits verdächtig lauwarm temperiert und sehr, sehr abwechslungsarm. Es ist 12 Uhr Mittags und der Zapfenstreich um 15 Uhr für die Mittagssession noch weit. ...

Das Beste sind noch herausgebratene Hähnchenschenkel und Eiernudeln mit Gemüsen. Aber panierte Autoreifen (Kalamari) mit Industriemajo bekommt man nicht mal beim dilletierenden griechischen Imbiss so zäh serviert ... Auch das ist eine Kunst für sich. Meriten erwirbt man damit keine.

Was Sushi in einer Fritteuse zu suchen haben, das verstehe ich nicht. Vielleicht handelt es sich um eine Art Ritual zur Ehrung der Toten?
Mir drängt sich der Verdacht auf, jemand, der Sushi frittiert, versuche "überfällige" Sushi nach der 758. Runde, in der sie keiner haben wollte, einer neuen Dimension der Haltbarkeit durch Keimabtötung zuzuführen.

Nein, Frittieren von Sushi - das geht meiner Meinung nach gar nicht. Ganz und gar nicht. Das mutet mir kulinarisch ungefähr so frevelhaft bis abwegig an, wie vegane Ernährung, wie Tofu und Seitan, Veggie-Grilltaler, wie "Schweinshaxn à la Mekka", "Schweinelendchen Madagaskar", Kugelsulz oder "Leberkäs Hawaii".

Ich ertappe mich dabei, dass ich mich frage, was wohl aus den Krabbenchips wird, wenn der Tag sich dem Ende neigt, verkneife mir jedoch die Frage, wieviele Tage die betreffenden Tellerchen möglicherweise bereits kreisen und kreisen und kreisen ... Fest steht: die Erde kreist wesentlich länger um die Sonne als die Krabbenchips in ihrer Umlaufbahn. Ist das etwa keine beruhigende Erkenntnis ...?

Je länger ich so sitze, durch das geöffnete Fensterchen aufs Laufband starre und hoffe, es möge sich doch bitte etwas Abwechslung ereignen, desto mehr komme ich ins sinnieren:
Gleicht diese kreisende Schlaraffenmaschine nicht irgendwie dem Leben an sich? 

Anfangs reibst du dir die Hände, freust dich über jedes Tellerchen, greifst beherzt zu, hast beinahe Angst, du könntest etwas verpassen, futterst, erlebst die eine oder andere Ernüchterung, futterst weiter und der erste Hunger schwindet. Ein schaler Beigeschmack macht sich verdächtig breit in deiner Mundhöhle, wirft die Frage auf: Sportsfreund, du wirst doch deinen Bärenhunger nicht etwa mit Mittelmaß gefüllt haben?
Dann wirst du dir des Verdachts gewahr, es würden die immergleichen Leckereien ruckfrei an dir vorbeifahren ... Und du lässt sie ziehen, hoffst auf etwas spektakuläres Neues ... Dann, irgendwann, moserst du leise in dich hinein, dass die Jungs in der Küche nun aber endlich mal etwas anderes als den immergleichen Schnickschnack auflegen könnten. Laaaangweilig! stöhnst du innerlich ... Wie? Das soll tatsächlich schon alles gewesen sein?

Nichts dergleichen geschieht. Aber vielleicht ja eine Etage höher?

Du schließt das untere Fenster, öffnest das obere und das Spiel beginnt in etwa zur Mitte deiner Running-Sushi-Sitzung von vorne. Nur: du bist nicht mehr wirklich hungrig, und ist die Maus voll, schmeckt das Mehl bekanntlich bitter ...

Du träumst vor dich hin und siehst etwas vorbeifahren, das du gerne probiert hättest ... Zu spät: zu langsam geschaltet. Drei Tische weiter geht es einem anderen Gast wie dir: Bis zur Schulter hängt er im gläsernen Schlaraffentunnel und fischt nach einem entfleuchten Tellerchen ... Vergebens. Zu spät geschaltet. Warten auf den nächsten Umlauf? Wird ihm jemand die Gelegenheit vor der Nase wegschnappen und er wird warten, warten, warten ... Vergeblich? Soll ich es tun? Ich lasse es ...

Dir fällt auf, dass es einen nicht unerheblichen Unterschied macht, in welche Richtung du aufs Band schaust: Fährt es auf dich zu oder von dir weg? Was sagt deine diesbezügliche Platzwahl aus über deine Sicht auf die Welt, das Sein und das Leben ...?

So probierst du dies, probierst du jenes. Nichts haut dich vom Hocker und manches kommt einem Schlag in die Magengrube recht nahe. Du fragst dich erneut: Das soll tatsächlich alles gewesen sein ...?

Oh, schau: da kommt schon wieder dieses Ding vorbei, das so sonderbar, ja: undefinierbar aussieht ... Was das nur ist? ... War nicht am Vortag in der Synagoge Beschneidung? - Meine Begleiterin verfügt über den unabdingbaren Humor über solche Scherze lachen zu können - Nein, wohl eher Hühnerhaut auf einem Reisbatzen ... Nicht laff, nicht knusprig. Mich schüttelt und ich wundere mich über meine bizarre Fantasie.

Wenn es irgendwann ans Bezahlen geht, dann - ja , ausgerechnet dann - geschieht plötzlich das Unerwartete: 

Die Küche legt - oben wie unten - neue, anderen, ungekannte, bestimmt superleckere Schweinereien auf das Band ... Zu spät, du hast bezahlt und selbst wenn du wolltest, du kannst beim besten Willen nicht mehr: Pappsatt bis Oberkante Unterlippe. Rien ne vas plus. Vielleicht im nächsten Leben? Sofern es eines gibt ... Sushi haben Buddhisten erfunden - von daher ...? Vielleicht symbolisieren ja frittierte Sushi den Glauben an Reinkarnation?

Einmal im einzig faktisch garantierten Leben sollte, ja muss man sich eine Running-Sushi-Session geben, meine ich. Ob es im Kyoto zur Mittagszeit sein muss, lasse ich dahingestellt. In der Vergangenheit habe ich abends dort bessere Erfahrung gemacht - dann jedoch kostet es dann auch sechs Euro pro Nase mehr, hier zu speisen. Wie sich dies heutzutage allerdings darstellen würde? Ich will nicht mutmaßen und halte mich wie stets an die mir präsentierten Fakten.

Enttäuscht war ich heute vor allem über die schlampige Machart der Sushi und das maue, lauwarme Speisenangebot in der oberen Etage. War das Kyoto früher durchaus ein schickes Lokal, ist es nun mangels Pflege und Renovierungsmaßnahmen optisch und kulinarisch einigermaßen heruntergewirtschaftet. Den Inhabern mangelt es möglicherweise an der Leidenschaft, die nötig ist, um ein hohes Niveau zu halten. Das Personal wirkt lustlos und unmotiviert, aber es erledigt pflichtschuldig seinen Job. Von der sprichwörtlichen asiatischen Freundlichkeit dem Gast gegenüber ist wenig zu spüren.

Stillstand ist Rückschritt - selten wurde mir das in letzter Zeit so eindrucksvoll bewußt wie hier. Schade. Ich habe dieses Lokal in früheren Jahren eigentlich recht gern gemocht.

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