Freitag, 9. Dezember 2016

High Noon im Möbelhaus

Nähere man sich auf der B8 der alten Reichsstadt Regensburg von Osten her dem Lauf der Sonne folgend, so wart mir zugetragen, passiere man linkerhand, unweit des Ortsschildes, ein Häuflein mächtiger Möbelhäuser.

In einem dieser Möbelhäuser, an den Farben Blau und Gelb unschwer als schwedisches zu erkennen, könne man zu Ladenöffnungszeiten im Stile Skandinaviens speisen.

Zwar sei das Servicepersonal derart überlastet, dass man jede Menge Sitzfleisch investieren müsse, warte man darauf bei Tisch bedient zu werden, auch sei die Tischwäsche spartanisch bis inexistent, obschon im Untergeschoss Myriaden von Tischtüchern und Servietten bereitlägen, und der Weinkeller erbärmlich bestückt. Dafür aber sei für "Zukunftsmusik" durch zahllose, mehr oder weniger kompetent erzogene, quengelnde Kleinkinder gesorgt. Wer das liebe, fühle sich in diesem "Restaurant" in himmlischen Gefilden ...
von Robert Bock

Je nach Tageszeit seien die Kleinen aufgedreht bis traumatisiert durchs Bällebad im Erdgeschoss mit ihnen fremden Kindern, oder den erzwungenen Schlepp am Tau der Eltern durch die Kleiderschrank- und Garderobenabteilung: Beides für durchschnittliche Kinder so interessant, wie für unsereins einer Partie Baseball beizuwohnen (aber welche Eltern wähnen heute ihre Schrazen schon "normal" und nicht hochbegabt? ...)

Beim Baseball, wie im schwedischen Möbelhaus, das sich IKEA nennt, versucht man gähnender Langeweile mit Essensangeboten zu begegnen und so die Verweildauer im Geschäft zu verlängern. Wer draußen ist, bringt keinen Umsatz mehr. So einfach ist das. Böse Zungen behaupten ja, zum Baseball in die Armin-Wolf-Arena gehe man in Regensburg nur, weil dort das "Beach House" hervorragende California Kitchen offeriere ... Sofern der Service nicht einschlafe und das Dessert nicht vor der Vorspeise serviert werde, jedenfalls. Irgendwas ist halt immer.

Eine ausgefuchste Marketingstrategie, haben sich die Schweden da ersonnen. Wie schlüssig diese ist, offenbart sich mir als Begleiter und Transportknecht einer charmanten Dame bereits auf der Runde durchs Obergeschoss.

Das Publikum ist bunt gemischt, doch überwiegend sind die Kundinnen jüngeren Alters vollschlank, ihre männlichen Begleiter tätowiert und mit Kfz-Mechatronikerhaarschnitt zurechtgestylt wie Menschenfresser im Konfirmationsanzug. Man schaut ja Nachrichten, fürchtet sich vor osteuropäischem Diebsgesindel, grabschenden Migranten, glaubt an die Unfähigkeit der Politik,  besitzt mindestens eine Katze, spinnt sich in den eigenen vier Wänden ein, backt Plätzchen und baut sich ein Nest aus Kissen und Decken in seiner Trutzburg gegen die Bedrohungen der globalisierten Welt. Cocooning nennt das die Trendforschung. IKEA bedient diese Rückzugssehnsucht mit allerlei Tand auf zwei Geschossen.

Duftkerzen sind anscheinend der Superseller der Wintersaison, auch an Vorhangstoffen und Vorhangstoffaufhängevorrichtungen findet frau eine, ihr Problemlösungsbedürfnis vollumfänglich vereinnahmende Aufgabe. Ist frau unwillig ihre Fenster zu putzen und kaschiert sie sie deshalb mit Bahnen fadenscheinigen Tuchs? Ich ziehe das helle Licht des Tages vor und verabscheue diese Form von Fenstermummenschanz ... Aber was zählt für das Heer der Dekorationsbeauftragten dieser Welt schon die Meinung eines Mannes ...? Arroganz wird man mir wieder vorwerfen, ich weiß es genau ...

Ich finde, dass ich mir zur Halbzeit der IKEA-Runde eine Mahlzeit verdient habe. Ich nehme Platz und halte nach dem Servicepersonal Ausschau. Meine Begleiterin lacht und meint, man habe mir einen Bären aufgebunden, als man mir erzählt habe, der Service am Tisch sei langsam - nicht existent sei er, so die Faktenlage. --- Was? Self-Service also ? Wie in einer Fernfahrerkneipe an der Autobahn? --- Genau. Nur ist das Essen schon lauwarm bis man einen Tisch ergattert hat und muss sich für Ketchup, Preiselbeeren, Salatdressing und dergleichen, wie auch für die Getränke an "Service-Stationen" anstellen. Für einen Euro das Glas auffüllen, nochmal auffüllen, wieder und wieder auffüllen und trinken bis zum Wasserbauch - die postmoderne Variante des Schwedentrunks aus dem Dreissigjährigen Krieg? Schau an, diese Schweden legen Wert auf zeitgemäßes Tradieren ihrer Beiträge zum Welterbe der Menschheit.

Was man denn an Küchenkunst hier so als "den Klassiker" bezeichnen könne, frage ich meine Begleiterin. "Köttbullar mit Kartoffelbrei, hellbrauner Soße, Broccoli und Preiselbeeren."

Gut, dann nehme ich das, sage ich und wir reihen uns in die Schlange der Speisenausgabe ein, wo ein freundliches Kaleidoskop von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit unterschiedlichstem Migrationshintergrund seine Gäste zügig abfertigt ...

Die meisten Kinder mampfen auch diese Köttbullar, sehe ich - jedoch mit Pommes. McDonalds fixt die Kids mit seiner Juniortüte an - IKEA mit Köttbullar. Professionelle Kundenbindungsstrategien von der Wiege bis zur Bahre.

Mir schwant Ungemach, denn verfügen Kinder nicht über einen untrüglich schlechten Geschmack in kulinarischen Angelegenheiten? Pommes, Pizza, Nudeln mit Ketchup, Fischstäbchen, Hamburger ... Hauptsache süß, salzig und fettig innig vereint. Alle anderen Geschmacksrichtungen regen im jungen Homo sapiens Skepsis und Ablehung an. Die meisten Kinder werden den Sprung zu kulinarisch gehobenerem Anspruch bis zum Erwachsenenalter nicht meistern und später als Stammgäste die asiatische All-you-can-eat-Buffets, unlimitierter Ripperl-und Schnitzelessen sowie Sonntagsbrunch-Veranstaltungen in hiesigen Autohof-Restaurants frequentieren. Allenfalls werden sie später - vornehmlich in der männlichen Variante - für Mutproben mit extrem scharfen Chili-Zugaben  zu begeistern sein, ein Maß an Schärfe lecker finden, das jede andere Geschmacksnuance niederprügelt, aber eine wohlfeile Ausrede zum Bier-Bacchanal liefert ...  

Pommes oder Kartoffelbrei? Der freundliche Teilzeitschwede an der Speisenausgabe holt mich aus meiner misantropischen Dystopie in die Wirklichkeit zurück und drängt zur Entscheidung: Nein, keine Pommes! Wenn schon, denn schon! Ich habe lange keinen Kartoffelbrei mehr gegessen. Aber vielleicht bereitet man ihn hier ja zu wie Johann Lafer: Kartoffeln und Butter in jeweils gleichen Mengen?

Weit gefehlt! Der Karoffelbrei ist zäh wie Fugenkitt und schmeckt mir persönlich auch verteufelt danach. Ich erfahre, dass man dieses Schurkenstück im Untergeschoss tiefgefroren unter der Bezeichnung "Allemansrätten-Mashed Potatoes" für 1,50 EUR im 600-Gramm-Pack kaufen kann. Ebenso die Köttbullar und das meiste andere, das das Restaurant anbietet. Bin ich denn tatsächlich in eine Convenience-Hölle geraten ...?

Mit Soße wird der/die/das "Allemansrätten-Pü" geschmacklich erträglicher und von der Textur her geschmeidiger. Von Lafers Kartoffelbrei-Traum allerdings noch immer Lichtjahre entfernt ... Die Soße auf meinem Teller ist, bis ich den ersten Bissen zu mir nehme, natürlich annähernd erkaltet, denn die Kundschaft von nördlich des Pfaffensteiner Tunnels ist wenig routiniert in effizientem, rücksichtsvollen Verhalten an Preiselbeer- und Getränkestation. Soll bedeuten: Manche Zeitgenossen stellen sich an wie der Hahn beim Eierlegen ... Zugegeben, das Glas mit Limonade an einem der Zapfhähne zu füllen, ist eine Kunst für sich, denn das Zeug schäumt wie Badezusatz, schmeckt dafür aber marginal besser.

Ich entscheide mich zunächst für ein Glas Preiselbeer-Limonade. Das war ein Fehler: Dünn, sauer, künstlich. Das zweite Glas: Birne. Nicht sauer, aber noch künstlicher. Die Evolution wäre über den Birnbaum als botanische Gattung hinweggefegt, würden Birnen in natura so schmecken! Wenigstens sind die IKEA-Limos nicht so pappsüß wie die Produkte aus amerikanischem Hause. Dem Light-Cola kommt dies indes weniger zustatten. Mein dritter Schwedentrunk-Versuch: niederschmetternd. Die beiden Lausbuben am Nebentisch haben ihre Freude am hohen Kohlensäuregehalt der schwedischen Rülpswässerchen. Ihre Mütter teilen deren Begeisterung nicht.

Das Dutzend schwedischer Fleischbällchen mutet von seiner Konsistenz her an wie eine Einstiegsdroge für künftige Leberkäs-Afficionados. Ich hatte mit Hackfleisch gerechnet - was ich bekommen habe, erinnert eher an mausgrauen Wurstbrät.

Der pelzige Geschmack, den diese Dinger samt Soße auf meiner Zunge hinterlassen, deutet auf großzügigen Einsatz von Zaubermitteln der Kantinenküche hin. Ich will mich ex post vergewissern, aber die Deklaration der Lebensmittel im Onlineshop entspricht leider nicht der Gesetzeslage, die Verpackungsangaben betreffend: Keine detaillierte Auflistung aller Inhaltsstoffe bei dieser als Gräddsas bezeichneten Rahmsoße ... Nanu?

Gut, dass meine charmante Begleiterin tags darauf noch einmal zu IKEA muss und mir den Gefallen erweist, die detaillierte Zutatenliste auf der Packung zu fotografieren: E-Nummer an E-Nummer und "Hefextrakt" als Geschmacksverstärker. Die Köttbullar sind angeblich ausschließlich aus "sauberen" Zutaten, damit die Eltern kein schlechtes Gewissen plagt, wenn sie den Kids diese Convenience-Bällchen warmmachen - doch auch hier: Hefe. Zwar nicht in der Extraktform, aber dem gleichen Zweck dienend, nämlich den Geschmack mit natürlichem Natriumglutamat zu verstärken. Man nutzt die Schlupflöcher des Rechts der Deklarationsverpflichtungen geschickt beim schwedischen Möbelgiganten und Systemgastronomie-Großunternehmen ...

Hätte ich das geahnt (ja, ich hätte es ahnen können, ja müssen!), ich hätte mich für geräucherten Lachs mit Salat entschieden. Da kann man mutmaßlich sogar in Kantinenhöllen nicht so viel verkehrt machen. Oder doch ...?

Meine Begleiterin ist wagemutig und bestellt ein vegetarisches Gericht. Grönsaksbullar - Gemüsebällchen auf Basis von Kichererbsenmehl, ähnlich Falaffel, mit Reisgedöns und Gemüsetralala. Optisch anmutend wie von einem schwedischen Zirkuselefanten vorverdaut.

Ich darf probieren: Es schmeckt mir noch schlimmer als diese Köttbullar: fade, uninspiriert. Der Reis völlig verkocht. Meiner Begleiterin entgleiten für einen Moment die Gesichtszüge, als sie probiert. Selbst schuld ...


Um dieses vegetarisches Gericht lecker zu finden, bedarf es meines Erachtens einer gehörigen Portion weltanschaulicher Überzeugung. Die fehlt mir gänzlich. Der Mensch ist als Omnivore evolviert und das bedeutet nicht, dass er entweder tierische ODER pflanzliche Nahrung zu sich nehmen muss, um dauerhaft gesund zu sein, sondern UND. Dass allerdings ausgerechnet Schweden - eine bekennende Nation von Omnivoren - sich den spätpubertären Marotten hiesiger Veganerkreise anbiedert, spricht für wenig Rückgrat und umso mehr Geschäftssinn.

Meine Begleiterin stochert in ihrer Enttäuschung doch tatsächlich nach meinen Köttbullar. Ich lasse sie gewähren. Am Ausgang gebe es Hotdogs, meint sie. Nein danke, antworte ich und lächle gequält, ich sei bedient. Wenn schon, dann zum "Goldenen M", um den Geschmack aus dem Mund zu bringen ... Der XXXL-Möbelriese nebenan habe auch ein Restaurant, verät sie mir. Aber muss ich diesem im Angesicht meiner heutigen Erfahrung bei den Schweden - Ikea war in Jahr 2012 mit 179 Mio Euro Umsatz die Nummer 9 unter den größten deutschen Restaurantketten! - tatsächlich eine Chance einräumen ...?

1 Kommentar:

Wenn du auf meinem Blog kommentierst, werden die von dir eingegebenen Formulardaten (und unter Umständen auch weitere personenbezogene Daten, wie z. B. deine IP-Adresse) an Google-Server übermittelt. Mehr Infos dazu findest du in meiner Datenschutzerklärung (https://auswaertsessenregensburg.blogspot.de/p/rechtliches.html) und in der Datenschutzerklärung von Google (https://policies.google.com/privacy?hl=de).

Dein Kommentar wird sichtbar, sobald er von mir geprüft wurde. Spam und Verstöße gegen die Nettiquette sind Ausschlußkriterien.