Samstag, 6. Januar 2018

Der Gottbegnadete von Welchenberg

Viele Wirtsfamilien legen zwischen Neujahr und Dreikönig ein wohlverdientes Atemholen ein. Das Advents- und Weihnachtsgeschäft war fordernd, die Akkus sind leer - ich habe vollstes Verständnis, auch wenn mich Jahr für Jahr im Vorfeld meines Geburtstages die gleiche leidige Frage umtreibt: Wohin, wenn die meisten guten Lokale Regensburgs - und insbesondere das Beste - leider geschlossen haben ...?

Mathias Achatz hat an einem 31. Dezember das Licht der Welt erblickt und er entstammt einer Gastronomendynastie, die auf eine Tradition seit 1882 zurückblickt. Wahrscheinlich ahnt er, wie schwierig es ist, an einem 3. Januar einen Tisch in einem guten Restaurant zu ergattern. Das Restaurant Buchner öffnet vielleicht auch deswegen in dieser Zeit des Jahres die Stube seinen anspruchvollen Gästen.

Dort, im niederbayerischen Welchenberg, ist der gerade 30 Jahre junge Koch, der mittlerweile im dritten Jahr mit einem Stern im Guide Michelin und 15 Punkten im Gault&Millau ausgezeichnet ist, der Küchenchef. Man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass er und sein Bruder Andreas den elterlichen Betrieb in fünfter Generation einst übernehmen werden.
von Robert Bock

Mathias Achatz beruflicher Werdegang ist imposant:

1987 in Bogen geboren. Abschluss 2008 in der Residenz Heinz Winkler, dort für ein weiteres Jahr. Bis 2011 bei Peter Knogl im Restaurant Cheval Blanc in der Schweiz. Im darauffolgende Jahr Roanne, Frankreich, La Maison Troisgros. Mai 2012 bis Februar 2013 Meisterschule in Regenstauf. Anschließend Restaurant Amador in Mannheim, dann erneut in der Residenz Heinz Winkler.

Nach Lehr- und Wanderjahren in herausragenden Zwei- und Drei-Sterne-Restaurants, tritt Mathias Achatz als Küchenchef in den Dienst des Landgasthofes seiner Familie in Welchenberg ein.

Die nationale Kritikerelite zollt ihm Anerkennung: Ein Stern und andere Auszeichnungen lassen nicht lange auf sich warten.

Achatz ist mit Talent gesegnet wie kaum ein zweiter Koch seiner Generation in Niederbayern und über dessen Grenzen hinaus. Aber was bedeutete schon Talent, wenn einem jungen Mann Ehrgeiz, Disziplin und das Streben nach ständiger Verbesserung und Weiterentwicklung fehlten? Wenn ihm auf seinem Weg durch die Mühen der Ebene Neugier, Kreativität und der Wille zur eigenen Handschrift verloren gingen, sobald er die Mühen der Gebirge, wie Bertold Brecht einst formulierte, gemeistert hat ...? Was, wenn Familie, Team und Umfeld - weshalb auch immer - sich nicht zu 110 Prozent mit seinem Ringen um einen zweiten und dritten Stern identifizierten ...?

Auf den Tag genau vor zwei Jahren war ich zum ersten und bislang letzten Mal im Restaurant Buchner zu Gast. Meine treuen Leserinnen und Leser werden sich womöglich erinnern, falls nicht, lade ich ein, den damaligen Bericht zu überfliegen.

Zwei Jahre ändern viel. Ich bin zwei Jahre lebenserfahrener, ich bin in anderer Begleitung als damals und man kennt in Welchenberg mittlerweile meinen Blog und mich. Sogar der große schwarze Familienhund. Aber der, so mein Eindruck, läßt sich von jedem knuddeln ...

Auch Mathias Achatz und ich sind uns ein paarmal persönlich begegnet in den vergangenen zwei Jahren. Zuletzt bei Lucki Maurers grandiosem Kulinarik-Festival 2017, wo unsere beiden Stationen, keine zehn Meter entfernt, einander gegenüber lagen. Wir beiden Steinböcke sind einander sympathisch und einem Hobbykoch wie mir ist es Inspiration, mit einem Ausnahmekönner wie ihm übers Kochen zu Plaudern. Wird die persönliche Nähe auf mein Erleben am heutigen Abend Einfluss nehmen ...?

Es ist 18:30 Uhr. Ich habe unter Klarnamen bereits Mitte Dezember reserviert. Man ist also auf den Besuch des Hobbykritikers vorbereitet ... Hausherr Josef Achatz nimmt uns, ganz Grandseigneur, in Empfang und führt uns zu unserem Tisch. Kaum haben wir Platz genommen, bringt uns Ingrid Achatz die Speisekarte, die Karte mit dem aktuellen 3- und 6-Gänge Menü nebst vorgeschlagener Weinbegleitung (es wechselt alle fünf bis sechs Wochen) sowie die, im Vergleich zu vor zwei Jahren, inhaltlich kompakter und preislich "vernünftiger" gehaltene Weinkarte.

Begrüßenswert: Man bietet dem Gast nicht nur ganze Flaschen, teils auch mit 0,375 Litern Inhalt, sondern auch eine klug zusammengestellte Auswahl jedem Geldbeutel erschwinglicher offener Weine an. Selbstverständlich werden diese in hervorragenden, auf den Wein abgestimmten Weingläsern serviert und sind optimal temperiert.

Das große Menü



Das stille Wasser des Hauses, von dem wir eine große Flasche bestellen, kommt nach wie vor aus den Dolomiten und heißt Plose. Dass wir das große Menü bestellen würden, stand vorab für mich fest.

Die Dame überläßt mir die Auswahl des Weines: Eine Flasche 2016er Riesling Johannishof vom Weingut Knipser aus der Pfalz soll es sein. Der scheint mir, mit Ausnahme vom Hauptgang (Rehrücken) und möglicherweise dem Entenleber-Trio, am besten als durchgängiger Begleiter zum großen Menü zu passen. Zum Reh werden wir uns später jeweils ein Glas vom 2014er Spätburgunder "Baßgeige" aus der Magnumflasche vom Weingut Franz Keller aus Oberbergen am Kaiserstuhl in Baden servieren lassen, soviel vorweg zum Thema Wein.

Apéro (1): Dreierlei Butter mit verschiedenem Brot / Olivenöl / Fleur de Sel / grober schwarzer Pfeffer


Die Butternocken (Rote Beete / aufgeschäumte Butter mit Sylter Meersalz / Schwarze Olive) fallen unspektakulär aus.

Die Rote-Beete-Variante fällt durch eine harmonische süß-säuerliche Note auf, wer bei der zweiten Nocke herausschmeckte, dass das verwendete Salz aus Sylt stammt, vor dem verbeuge ich mich, die schwarze Olive suche ich geschmacklich vergebens. Entweder es handelt sich um sehr süße, kandierte Oliven oder um Feige. Ich tippe auf Letzteres. Gefallen hat mir die bräunliche Nocke gut, doch wünsche ich, zumindest in Nuancen, herauszuschmecken, was annonciert ist.

Das grünlich schimmernde, aromatisch duftende Olivenöl (Spyridoula's 100% Greek Extra Virgin Olive Oil) ist Weltklasse und wird in einem formschönen Gefäß mit Pipette gereicht, das Fleur de Sel ist von feinster Qualität: hauchzart und crispy.

Die Brotsorten stammen mutmaßlich vom Bäcker Steinleitner aus Straubing. Da kann man wenig falsch machen, jedoch mag mancher verwöhnte Kritiker in einem 1-Sterne-Restaurant hausgebackenes Brot erwarten.

Der Brotkorb wird über die vor uns liegenden vier Stunden mehrfach neu aufgefüllt. Sofern es nicht sein gewolltes Ansinnen war, dem Menü einen absolut unspektakulären Einstieg zugrundezulegen, würde ich dieses Apéro, die Butternocken-Komponenten betreffend, an Mathias Achatz Stelle überarbeiten.

Apéro (2): Chips von der Lotoswurzel mit Thunfischcreme | Thunfischtatar mit Meerrettich in der Eiswaffel | Rindertatar/Joghurt-Krokant


Jetzt zündet die Rakete! Drei erlesene kleine Schweinereien fesseln alle Sinne und versprechen dem Gast: Hier bist du richtig!
Der Lotoswurzelchip mit Thunfischcreme überzeugt optisch, fällt aber im Vergleich zu den anderen beiden Akteuren geschmacklich eine Spur zurück.

Der Fischcreme fehlt ein aromatisch überraschender Kick. Ich persönlich riete dem Chef zu einer Prise frisch gemörserten Szechuanpfeffers.

Die Eiswaffel ist hauchzart, gerade so, dass sie beim Berühren mit den Lippen leicht knackt, um die Kühle des hauchfein und exakt in Würfelchen von einem Millimeter Kantenlänge gehackten Thunfischs freizusetzen. Eine kunstvoll zu einem U gelegte Kombu-Alge und ein hinreissend schmeckender Minatur-Pilz runden das Abenteuer im Mund ab.

Auf dem Löffelchen knistern die Pops des Joghurtkrokant, die säuerlich eingelegten Zwiebeln gehen mit dem wundervoll würzigen, feinst mit dem Messer verarbeiteten Rindertatar eine stimmige Verbindung ein. Großartig!

Apéro (3): Tuna | Tomate | Wasabi | Koriander


In einem wunderschönen Teller präsentiert sich meinem Auge ein Meisterwerk.

Ein Spiegel transparenter Tomatenjus mit tiefgrünen Tupfen Korianderöls, ein Rechteck rohen Thunfischs, Tomateneis, winzige, präszisest geschnittene Ingwerwürfelchen, Kombu-Alge, Wasabicreme-Tupfen, winzige Kräuterblättchen und ein mit einem japanischen Gewürz bestäubter hauchzarter Cracker ...

Die Welt um mich herum versinkt in Stille ... Andächtig zerlege ich das Kunstwerk in seine Komponenten, versuche es analytisch zu erfassen, koste hiervon, koste davon  ... Tränen steigen mir in die Augen. Glückstränen. Ich übertreibe nicht: Noch nie in meinem Leben habe ich etwas so vorzügliches gegessen, noch nie hat ein Gericht solch tiefe Emotionen in mir ausgelöst. Ein größeres Kompliment kann man einem Koch, so meine ich, nicht machen. Dieses kleine Meisterwerk verrät, auf den Punkt gebracht, das Ausmaß des Talents, das in diesem jungen Koch seiner Entfaltung zur vollen Blüte harrt, dieses kleine Meisterwerk ist dreier Sterne würdig!

I Trilogie von der Entenleber || Feige / Brombeere /geeist /Brioche

 

Der erste offizielle Gang des großen Menüs erfreut zunächst Auge und Nase: Welch herrlicher Duft nach heißer Butter, schwarzer Trüffel und Leber!

Die gebratene Entenleber in Trüffelsauce schmilzt auf der Zunge und breitet einen Teppich wuchtig-warmer Aromen aus. Hinreissend dazu, die füllig-fruchtige warme Brombeere. Großartig!

Das Entenleber-Parfait ist ebenfalls ein Gaumenkitzel erster Liga und in Kombination mit dem noch warmen Mundgefühl nach Genuss eines Häppchens von der gebratenen Leber ein aufrüttelnder Kontrast.

Wären die beiden besprochenen Komponenten nicht, die dritte - eine in hauchdünnen Schichten aufgebaute Terrine - würde vermutlich ebenfalls begeistern - so aber fällt dieses optisch wie geschmacklich vorzügliche Element des ersten Ganges gegenüber dem Rest eine Spur ab.

Die Brioche ist meinem Gaumen etwas zu stark getoastet und ihr fehlt die buttrige Süße, die ich persönlich an Brioche schätze. Das aber ist eine Petitesse, die den wunderbaren Gesamteindruck nicht trübt.

II Bretonischer Hummer & Jakobsmuschel || Lasagne / Bergamotte / Granny Smith / Karotte


Das Achatz'sche Panoptikum der großen Genüsse setzt sich fort mit einer atemberaubenden Lasagne.

Optik, Duft, Aromatik, Textur und deren Gesamterleben - bei diesem Gang stimmt wirklich alles. Im Unterschied von vor zwei Jahren, ist nun auch der Hummer aufs μ präzise auf den Punkt gegart.

Die Karotte ist zu einer aromatisch dichten Mousse verarbeit, die Bergamotte sorgt mit dem herben Granny Smith für einen fruchtigen Kontrast. Der Babyspinat, der den Boden bildet, schmeckt tatsächlich nach Spinat, wie jede Einzelkomponente präzise nach dem Produkt schmeckt, aus dem sie gemacht ist.

Mein persönlicher Höhepunkt dieses Ganges ist eine scheinbar nebensächliche Komponente: Die Pasta. Mit dieser "Nudel" düpierte Mathias Achatz jeden selbstgefühlten italienischen Pastakönig. Wasser, Weizenmehl, das wars. So wird er mir später zwar beteuern, aber behält nicht jeder Koch ein alles entscheidendes Detail für sich ...? Dieser Gang war jedenfalls in sich phantastisch!

III Steinbutt || Kartoffelrisotto / Zwiebel^3 / Baby-Zucchini / Blutwurstravioli / Beurre Blanc


Zwei Höhepunkte des Abends gruppieren sich in diesem Gang, der insgesamt betrachtet ein schwächerer ist. Weshalb? Weil die Idee feinen Fisch mit derber Blutwurst zu paaren seit mittlerweile einem Vierteljahrhundert nicht mehr originell ist.

Originell - und geschmacklich ein Flash! - hingegen ist der Kartoffelrisotto: schlotzig cremig dank Lauchcreme und der Stärke der in Reiskorngröße geschnittenen Kartoffel, die al dente gegart ist.

Unbestreitbar großartig ist das Blutwurst-Raviolo dank einer ausgezeichneten Blutwurst und dem bereits angesprochenen Pastateig. So haudünn ausgerollt, dass man durch ihn den Namen der Sau lesen zu können meint, die ihr Blut für die Wurst hingegeben hat.

Schöne Details sind ferner die dreierlei zubereiteten Zwiebeln: Lauch der in übernatürlicher Weise präzise nach sich selbst schmeckt, eine säuerlich eingelegte Perlzwiebel, der Tupfer Zwiebelmousse: naja, wie auch die bissfeste Zucchini.

Unspektakulär, wenngleich perfekt gegart ist der annoncierte Hauptakteur dieses Gangs: der Steinbutt; fantastisch die Beurre Blanc mit ihrer zarten Parmesannote.

Ich würde mir dieses anbetungswürdige Kartoffelrisotto auch mit ein paar von diesen Blutwurstravioli und der Parmesan-Beurre-Blanc in großer Portion als Einzelgericht schmecken lassen. Vielleicht sollte ich mich selbst am heimischen Herd daran versuchen? Sehr schöne Anregung!

Intermezzo


Um den Gaumen vor dem Hauptgang zu erfrischen, schickt die Küche, außerhalb der annoncierten Reihe, ein Mandarinensorbet auf Joghurt und geeister Pomelo mit Basilikum und Limettenabrieb.

So muss ein Zwischengang dieses Zwecks aussehen. Herbe, kühlende Frische - wenig Zucker, nicht wie ein Dessert! Fantastisch.

Ich frage mich, welcher arme Hund der Brigade die Fruchtsegmente der Pomelo einzeln auseinanderzupfen musste - Mathias Achatz verrät mir später den im Grunde simplen Trick, dies einfach zu bewerkstelligen. Den behalte ich aber für mich. Ätsch!

IV Rehrücken || Sellerie / Rosenkohldatschi / Karotte / Cassis / Sauce Rouennaise


Selten bis nie habe ich einen derart perfekt gegarten Rehrücken gegessen.

Die spielerische Umrandung des Saucenspiegels mit Sellerie- und Karottenpürree erinnert an Kindheitstage. Die Rouennaise ist mit frischem Schweineblut abgebunden und hat weder zu viel, noch zu wenig Kraft.

Der Rosenkohldatschi steckt in einer knusprigen Hülle aus Bröseln vom schwarzen Steinleitnerbrot  und ist eine kongeniale Ergänzung zum Rest des in sich respekteinflößend stimmigen Ensembles.

Mein Highlight dieses Ganges: Die Cassis-Beeren, die gefriergetrocknet, dann zermörsert wurden und einen aromatischen Druck aufbauen, der einfach nur den Atem raubt. Formidabel, dieser Hauptgang - perfekt begleitet durch den Spätburgunder vom Kaiserstuhl.

V Käse vom Maitre Affineur Waltmann || Trauben / Feigensenf / Tomatenchutney


Der Name Waltmann in Erlangen hat großen Klang bei Käseliebhabern. Die bei Buchner Welchenberg servierte Auswahl sechserlei Käsesorten ist ausgezeichnet und wird aufs Feinste flankiert von einem hausgemachten Tomatenchutney und einem (nicht hausgemachten) sehr scharfen, hervorragenden Feigensenf. Kernlose blaue Trauben, bereits gezupft, wurden in einem separaten Gefäß gereicht.

Die Präsentation dieses Ganges fällt im Unterschied zu den anderen Speisen extrem schlicht aus - da hätte man womöglich mit etwas mehr Liebe und Schöpfergeist herangehen können.

Problematisch ist angesichts der getroffenen Auswahl die Weinbegleitung: Schreit ein Blauschimmel nach einem weißen Süßwein, konveniert der gereifte Hartkäse zu Rot. Ein restsüßer Weißwein mit genügend Säure - eine Riesling Auslese oder ein Ruster Ausbruch exemplarisch - wäre meines Erachtens der kleinste gemeinsame Nenner dieser Auswahl, jedoch nicht zu jeder dieser Sorten ideal.

Ein professionell ausgebildeter Sommelier hätte die Küche vermutlich auf diese Problematik hingewiesen und mit ihr gemeinsam eine Käseauswahl zusammengestellt, die bei der Weinbegleitung keine Quadratur des Kreises erforderte. Mit Sicherheit kann auch Herr Waltmann diesbezüglich beraten.

VI Tarte "Opera"


Ein Dessert soll in bleibender Erinnerung bleiben. Diesem Dessert gelang dies in Vollendung. Sämtliche Komponenten, die diese filigrane Köstlichkeit namens Tarte "Opera" begleiten erfüllen höchste Ansprüche jedes Dessertliebhabers.

Wer Mathias Achatz' Hände aus der Nähe betrachtet, traut ihnen nicht und niemals zu, solch feinzissilierte Petitessen auf die Präsentationsfläche zu zaubern.

Er lacht, als ich seine Hände äußerlich mit jenen eines Metzgergesellen vergleiche und meint "jo mei ..."

Gelernt ist gelernt und schließlich benutzt er eine Pinzette um die winzigen Kräuterblättchen symetrisch auf die Oberfläche der Miniaturtorte zu drappieren. Diese schmilzt unendlich schokoladig, aber nicht ohne vorher meiner Zunge ein Minimum an Kraft abzuverlangen, den hauchzarten Schokoladenmantel zu knacken. Bravissimo!

Halbierte Himbeeren schmiegen sich an Himbeermousse, auf einer knusprigen Hippe eine Nocke Yuzu-Eis. Diese japanische Zitrusfrucht, deren Kilopreis bei etwa 50 Euro liegt, steuert dem Gesamtensemble betörend exotische Aromen bei. Etwas heller ist sie als eine Orange und von der Größe vergleichbar einer großen Mandarine.

Kaffee und süßer Abschluss


Zum hervorragenden Espresso reicht man uns sehr gute hausgemachte Trüffelpralinen und Plätzchen, serviert in einer Holzschatulle auf Kakao-Nibs.

Das definitive Finale: Eine geeiste Curry-Mango-Trüffel.

Die milde Curryschärfe verbindet sich mit der nicht zu süßen Mangofrucht und der weißen Schokolade zu einem runden Ganzen.

Eine große Kleinigkeit, auf gestoßenem Eis serviert mit einem grünen Kräuterblättchen - ein würdiger Abschluss eines großartigen Menüs.


Die Rechnung



Mit Trinkgeld belief sich der Obolus für dieses fantastische Menü auf rund 150 Euro pro Person. Das mag manchem viel erscheinen - wer allerdings mit allen Sinnen erlebt und erfahren hat, was ich heute aus der Küche von Mathias Achatz erfahren durfte, sagt: Das war es wert! Jeden Euro, jeden Cent! Ein Abend wie dieser - zumal an meinem Geburtstag - wird mir lange in Erinnerung bleiben.

Der Küchenchef gesellt sich zu uns, augenscheinlich etwas aufgeregt. Neugierig ist er, will erfahren, ob wir zufrieden mit seiner und seiner Mannschaft Leistung waren ... Und wie! So gut habe ich in meinem Leben selten gegessen. Selbst manches höherdekorierte Lokal konnte da nicht mithalten. Eindrucksvoll hat Mathias Achatz meine ganz persönliche Überzeugung heute bestätigt, dass er das unbedingte Zeug zu zwei und vielleicht auch drei Sternen hat. Es wäre eine Beleidigung Desjenigen, der ihn mit diesem Talent gesegnet hat, den Gipfelsturm zu unterlassen!

Die Küche wird's allein nicht reissen ... Was fehlt?


Mathias Achatz' jüngerer Bruder Andreas, der vor zwei Jahren für den Wein zuständig war und mich kompetent beriet und bediente, managed mittlerweile das im Herbst 2016 eröffnete, familieneigene Hotel Buchner im benachbarten Niederwinkling.

Josef Achatz bemüht sich seither im Sterne-Restaurant die Rolle des Sommeliers in Personalunion mit der des Hausherrn und des allgemeinen Service, den er sich an diesem Abend mit seiner Frau Ingrid teilt, auszufüllen.

Den meisten meiner Leserinnen und Leser mag möglicherweise nicht bewußt sein, welch überragend wichiger Platz Ingrid und Josef Achatz in der Geschichte der baierischen Gastronomie des 20. Jahrhunderts zukommt. Ich übertreibe kaum, wenn ich behaupte, dass die beiden den bairischen "Landgasthof" an sich, obgleich nicht erfunden, so doch wiederbelebt und konzeptionell "renoviert" haben: Ehrliche, handgemachte traditionelle Küche mit regionalen Zutaten und gelebte Wirtshauskultur.

Schlagwörter gelebter Gastlichkeit im mittlerweile volljährigen 21. Jahrhundert, die ohne diese beiden Urgesteine der Gastronomie so nicht Alltagswortschatz, ja zu kulturellen Wertbegriffe geworden wären, hätten sie in jungen Jahren nicht "das Wirtshaus", das dort seit dem 17. Jahrhundert seine Heimat hat, neu und zukunftstauglich definiert.  

Revoluzzer waren die beiden eher nicht, auch keine Restauratoren - großartige Reformatoren sind sie damals gewesen, denn ohne ihre Ideen und ihren unermüdlichen Einsatz für die bairische Wirtshauskultur, für den sie 1991 mit dem Bayerischen Staatpreis geehrt wurden, sähe Bayerns Gastronomielandschaft vermutlich ernüchternd anders aus. Und dass man in einem Gasthof auf dem Lande nicht nur eine Brotzeit zu sich nehmen, sondern gehoben und gepflegt speisen kann, haben wir unter anderem dem Ehepaar Achatz zu verdanken.

Beide erledigen ihre Aufgaben auch heute wieder herzlich, humorvoll und man kennt ihnen an, dass Gastronomenblut in ihren Adern pulsiert. Ob allerdings die strengen Tester der professionellen Restaurantkritik mit ihren hochgelegten Messlatten ihre, für ein gehobenenes, gut bürgerliches Restaurants auf dem Lande absolut angemessene Serviceleistung wiederholt als eines, oder gar eines zweiten Sternes würdig einstufen werden, steht außerhalb meiner persönlichen Einschätzungskraft.

Meine persönlichen Erfahrungen in Sternelokalen zum Maßstab genommen, keimt in mir Skepsis. Es hat Gründe, weshalb in Betrieben der international orienierten Spitzengastronomie vornehmlich Fachpersonal zum Einsatz kommt. Dieses hat seinen Beruf von der Pike auf gelernt und idealerweise bei ersten Adressen und in täglichem Umgang mit anspruchsvollstem Publikum vervollkommnet.

Auch ist meiner Beobachtung nach der Grad an Spezialisierung und Arbeitsteilung umso höher, je höher ein Lokal rangiert. Quantitativ wirkt der Service in Welchenberg unterbesetzt. Lange bevor jeder Tisch besetzt ist - so habe ich es vor zwei Jahren erlebt - funkt die Brücke SOS. Heute war das Lokal nicht ausreserviert und insofern dieses grundlegende Problem, anders als damals, nicht so offensichtlich.

Die extrem reduzierte Weinkarte - die mich persönlich aber nicht im geringsten stört, weil die Auswahl stimmig ist - erzählt jedem Profi-Tester Bände. Diese bewerten nicht alleine die Leistung der Küche, sie bewerten das Gesamtkonzept: Küche, Ambiente, Weinauswahl und -beratung sowie den Service.

Das Niveau der Küche hat sich in den zurückliegenden 730 Tagen meinem subjektiven Erleben nach um mindestens eine Klasse gesteigert. Selten habe ich Gang um Gang durchgängig so hervorragend gegessen; dass mir bei einem Gang vor Glück gar Tränen in die Augen steigen, habe ich noch nie erlebt. Meiner persönlichen Überzeugung nach, ist die Leistung der Küche an diesem Abend für sich gesehen wenigstens zwei Sterne wert.

Das Ambiente präsentiert sich unverändert, die Toiletten blitzsauber aber nach wie vor renovierungsbedürftig: Stillstand sei bekanntlich Rückschritt und wer aufgehört hat besser zu werden, hat aufgehört gut zu sein (*Olli-Kahn-Modus aus*).

Die Absenz eines hauptamtlichen, ausgebildeten Sommeliers und die damit einhergehende deutliche Reduktion des Weinangebotes - bislang ein dickes Plus! - wird jeder Profi-Tester als Malus werten. Der Service krankt, trotz Charme und Herzlichkeit, nach wie vor an personeller Unterbesetzung und Schwächen in der B-Note, die zu einem Restaurant dieser Kategorie nicht passen.

Ich fürchte, Familie Achatz wird sich irgendwann entscheiden müssen: Entweder man besinnt sich des Reformatoren-Gens, das beide Eltern zweifelsohne auf ihre Söhne weitergegeben haben, wuchert mit dem nicht kopierbaren, einzigartigen Alleinstellungsmerkmal Mathias Achatz, unterstützt dessen herausragendes Talent, dessen Kreativität und handwerklich kaum zu überbietende Präzision ohne Wenn und Aber und strebt mit Konsequenz den zweiten und den dritten Stern an - oder aber man übt sich in niederbayerisch-bodenständiger Bescheidenheit, sucht den Weg in die "Restauration", betreibt ein kontrolliertes Downsizing und mutiert wieder zum Landgasthof mit gehobener, gut bürgerlich bairischer Küche, der man einst war bevor der Stammhalter der fünften Generation das Szepter in der Küche übernahm.

Ob das Hotel in Niederwinkling in dieser Form sich allerdings ohne einen Michelin-Stern als Magnet rentieren wird, wage ich zu bezweifeln: Dessen Gäste reisen nicht des Hotels willen in die niederbayerische Provinz - sie übernachten im Regelfall hier, weil sie der Kunst Mathias Achatz teilhaftig werden wollen und nicht umgekehrt.

Selbstverständlich kann man auch im Hotel Buchner in Niederwinkling gepflegt speisen - aber, schon konzeptionell bedingt, nicht auf dem herausragenden Niveau des Welchenberger Stammsitzes. Auch Firmenkunden, die ihren Geschäftspartnern oder Mitarbeiter - und damit ihrem Image - etwas Gutes tun wollen indem sie dort gemeinsam speisen und logieren, setzen auf die Strahlkraft der Spitzenbewertung des Restaurants Buchner und des Namens Mathias Achatz, dem es diese Spitzenbewertung in erster Linie verdankt.

Nach meinem Dafürhalten ist die Grundsatzentscheidung längst gefallen, als man beschloss das Hotel zu errichten - nun wünschte ich als Gast mir eines: Schluss mit Zögern & Zaudern, Anker lichten, Leinen los und immer den Sternen nach! Mit einem Hintern kann man keine zwei Pferde reiten!

Mathias Achatz wäre nicht seiner Eltern Sohn, würde er nicht "Groß träumen" ... Ich kenne den Traum, den Mathias Achatz hegt, er hat ihn mir verraten. Aus Träumen müssen aber zügig Visionen werden und aus diesen resultiert im Idealfall konsequentes, konsistentes Handeln. Alleine kann er diesen Traum nicht verwirklichen.

Drei Voraussetzungen müssen sich meines Erachtens fügen: Erstens, müssen alle Beteiligten an einem Strang ziehen. Zweitens: Niemand sonst als jener, der den Weg zu den Sternen kennt und in dessen Herz die Sehnsucht am hellsten lodert, darf bis in die Details hinein die Richtung vorgeben. Drittens: Fortuna sollte allen Beteiligten wohlgesonnen sein. Das sei sie jenen, die tüchtig sind, sagt der Volksmund. Daran wird es nicht scheitern, das hat das Lebenswerk von Ingrid und Josef Achatz längst belegt.

Verantwortung früh- und rechtzeitig in die Hände der nachfolgenden Generation zu legen ist hohe Kunst und Nagelprobe für jedes Familienunternehmen. Familie Wenisch im nahen Straubing meistert diesen Übergang derzeit mit Umsicht, auch wenn es Äpfel mit Birnen vergleichen hieße, beider Familien gastronomische Konzepte und Mathias Achatz' begnadete Kochkunst mit der von Toni Wenisch - ohne diesem zu nahe treten zu wollen - in einem Atemzug zu nennen. Hier ein Sternetempel, wo Kochkunst hohen kulturellen und metaphysischen Ansprüchen gerecht wird - dort ein gehobenes, zeitgeistig durchgestyltes Steakhouse, das eine völlig andere, meiner Meinung nach anspruchslimitierte Zielgruppe, mit Dry-Aged-T-Bone-Brimborium und Süßkartoffelklingeling exakt dort abholt und aus dem Sumpf lüpft, in dem sie gastronomisch sozialisiert wurde: McDonalds.

Niederbayern, wie froh und stolz du sein musst, einen wie diesen gottbegnadeten Mathias Achatz zu den Deinen zählen zu dürfen!

Mit den Worten Jesu lehrt uns die heilige Schrift (Markus 6:4), ein Prophet gelte nirgend weniger denn im Vaterland und daheim bei den Seinen.

Wie jammerschade wäre es für alle Gourmets  Ostbayerns, sähe sich Mathias Achatz irgendwann veranlasst, sein Streben in der Ferne zu entfalten, weil ihm am Heimatherd die Flügel gestutzt werden ...?

2 Kommentare:

  1. Hallo Herr Bock, das Märchen, der Guide Michelin würde in seine Sternewertung auch Ambiente, Service, Weinkarte mitberücksichtigen, stimmt einfach nicht ! allein schon deshalb, weil es im Michelin für Service, Restaurantausstattung, Wein eigene Wertungen gibt, die roten oder schwarzen Gabeln, eine stilisierte Traube etc. Auch in Interviews distanziert sich Herr Ellis regelmässig von dieser Behauptung. Und wenn Sie sich die Michelin-ausgezeichneten Lokale zb in Asien ansehen, werden Sie dort ein, zwei Sterne finden für Lokale , die optisch Schnellimbissen ähneln, wo man eine Stunde oder mehr anstehen muss, mit andren Leuten an einen Tisch plaziert wird, wo zum Essen Tee, Bier etc getrunken wird.

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    1. Die einen sagen so, die anderen sagen anders ...

      "Michelin arbeitet mit fix angestellten Testern, die dort gerne „Inspektoren“ genannt werden. Größter Kritikpunkt: Sie geben sich nach ihren Restaurantbesuchen als Michelin-Tester zu erkennen und geben oft auch ein mündliches Feedback an die Köche weiter. Kann die Anonymität so gewahrt bleiben? „Die Inspektoren wechseln sich so oft ab, Überschneidungen finden nicht statt“, lautet die Argumentation. Beim Test selbst wird bei Michelin auf viele unterschiedliche Kriterien wert gelegt, vor allem spielen auch „nebensächliche“ Beobachtungen eine Rolle: Ist der Abstand zwischen den Tischen zu eng? Gehen die Teller vom Nachbarstisch voll oder leer zurück? Wesentlich natürlich: die Qualität des Service sowie die Qualität der Grundprodukte und die Küchenleistung. Jeder Michelin-Tester war – bevor er erstmals allein auf Testtour geht – bereits drei bis sechs Monate mit einem erfahrenen Kollegen unterwegs, um sich mit der Kultur dieses Guides vertraut zu machen."

      https://www.rollingpin.de/magazin/ausgaben/103/die-tester-der-guides/

      Am Ende zählt immer der Gesamteindruck aus allen Komponenten. Tester sind auch nur Menschen und unterliegen der Beeinflussung durch die Wechselwirkung der vielfältigen wahrnehmbaren Einzelkomponenten eines Restaurant-Erlebens, egal welchen Schmuh die Redaktion offiziell nach außen geben mag.

      Gruß Robert Bock

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