Donnerstag, 29. März 2018

Storstad-Notizen

Was soll ich über Anton Schmaus noch schreiben, was nicht bereits über ihn und sein Restaurant Storstad geschrieben wurde?

Storstad ist ein Wort aus dem Schwedischen. Selbst das weiß in Regensburg längst jeder, der ein Faible für gutes Essen hat, und bedeutet Großstadt.

Der Name des einzigen Regensburger Sterne-Restaurants irritiert ...

Großstadtflirren über den Dächern der mittelalterlichen Altsstadt?
Wer vom Land stammt, dichtet Regensburg bisweilen großstädtisches Flair an. Es ist so lange noch nicht her, da urteilte der Satiriker Wiglaf Droste (Berlin, Leipzig), das Beste an Regensburg sei der Zug nach München. Es ist eben alles eine Frage der Perspektive ...

Großstadt finde in den Köpfen statt, formulierte Anton Schmaus in einem Interview mit der MZ im Herbst 2014; sei, was man draus macht. Ist es die helle, offene Architektur im skandinavischen Stil? Ist es die bunte Vielfalt der Gäste, der ungezwungene Umgang des Servicepersonals untereinander und mit den Gästen? Die dröhnende Rockmusik, die tagsüber beim Mis en place die erstaunlich kleine Küche beschallt und das ehrgeizige junge Team um Anton Schmaus und seine kongeniale rechte Hand Josef Weig zu neuen Taten treibt? Der Stil der Küche, der, ähnlich des bunten Vielvölkergemischs einer echten Metropole, ein Schmelztiegel verschiedenster Kulturen ist ...?
von Robert Bock


Ich wage das nicht zu entscheiden. Sicher aber ist: Kochen ist auf jedem Niveau ein schöpferischer Akt - auf dem eines Anton Schmaus ist es nicht bloße Nahrungszubereitung, sondern eine Spielart der Kunst.

Vergänglicher Kunst, die wir über unsere Sinnes- und Verdauungsorgane erfassen und flüchtigem Genuss anheimgegeben ist. Verschwunden sind diese sinnlichen Erfahrungen dann, aber leben idealerweise in unserer Erinnerung fort, wenn dem Team eines Restaurants in seinem Zusammenwirken Großes geglückt ist. Wen je ein Restaurantbesuch zu Tränen gerührt hat, weiß, was ich meine ...

Die weniger vergänglichen Werke der Musik, Malerei, Bildhauerei und der Literatur vermögen, obgleich nicht unmittelbar unseren Magen, so doch ebenso unsere Seele zu berühren. Warum deshalb nicht eine der profiliertesten Autorinnen und Lyrikerinnen Regensburgs zu Wort kommen lassen, wenn es ums Thema Storstad/Großstadt geht?

Lisa Weicharts Lyrik schätze ich sehr und viele ihrer feinsinnig gedrechselten Gedichte waren und sind mir liebe Inspiration und Seelenarznei. Ich habe Lisa Weichart für diesen Artikel um ein Großstadtgedicht gebeten. Sie hat mir die folgenden,  atmosphärisch dichten Verse zur Verfügung gestellt. Sinniere jeder selbst, was Großstadt ihm bedeutet und folge damit der Aufforderung von Anton Schmaus, selbst zu formulieren, was ihm Großstadt ist:


Großstadt

Du bist mein Land
mit Flüssen aus Teer,
Beton statt Sand,
Stahl im Lichtermeer.

Draußen wäre ich
ganz ohne Halt;
irgendwo fräßen mich
Acker und Wald.

Der Himmel erst dort:
so rahmenlos weit,
trieb‘ die Seele mir fort,
verwehte die Zeit!

In dir bin ich immer
und bleibe es gern,
Appartement - zwei Zimmer,
die Ampel: mein Stern.


Für mich ist, was die Küche des Storstad angeht, DIE bemerkenswerte Neuigkeit - und das meine ich keineswegs ironisch -, dass Anton Schmaus mittlerweile (wieder) mit Butter arbeitet. Mit reichlich Butter sogar, davon durfte ich mich überzeugen: Braune Butter, mit Trüffeln aus dem Périgord, ein bombastischer Gang mit Blumenkohl und Maronen.

Dieses Leuchtfeuer großer französischer Küchentradition verströmt an diesem Abend üppig "klassischen" Glanz, wo in den zurückliegenden Jahren frisch-fruchtige Fusion-Küche mit asiatischem Einschlag die Erwartungshaltung prägte. Sagenhafte 17 Punkte ist dem Gault&Millau dieser Stil wert gewesen, zum Aufsteiger des Jahres hatte man Schmaus in der Ausgabe 2015 gekürt - mittlerweile (Ausgabe 2018) sind es immer noch sehr, sehr gute 16 Punkte, aber im Universum des Gault&Millau liegt zwischen 16 und 17 Punkten eine kleine Welt ...

Drei Jahre ist es her, da tat der Sternekoch in einem Interview mit der MZ kund, Butter passe nicht mehr zu der Richtung seiner Küche, die vegane Küche werde stärker kommen, prognostizierte er damals.

Ob Anton Schmaus, der einer Viechtacher Gastronomen- und Hoteliersfamilie mit 13 Generationen Tradition enstammt, auf seine Mama oder Oma gehört hat (Bub, sei gscheid und nimm an Butter!), weiß ich nicht. Ich werde ihn nach dem Mokka darauf ansprechen und er wird sinngemäß antworten, er wolle sich nicht von irgendwelchen selbstauferlegten Geboten und Verboten maßregeln lassen. Feine, kreative Gerichte aus hochwertigsten Zutaten frisch und mit einem Hauch von Frucht, das seien allerdings wesentliche Leitplanken, die für ihn persönlich nicht diskutierbar seien.


Erstaunlich, dass sich diese Absichtsbekundung nur bedingt im 6-Gänge-Menü (125 EUR) spiegelt, dessen ich als Gast meiner guten Freundin Spyridoula Kagiaoglou anläßlich ihres, eine Woche zurückliegenden Geburtstages, den ich mit ihr als helfende Hand beim AromiA-Festival in Würzburg verbracht hatte, teilhaftig werden darf.  Anton Schmaus und das Storstad arbeiten seit Jahren mit dem von der Griechin aus Tegernheim produzierten Weltklasse-Olivenöl von der Peloponnes.

Der Fahrstuhl beamt uns in die oberste Etage des Goliathhauses, schnurstracks ins schick ausgestattete Restaurant. Linkerhand führte der Weg zur Vinbaren (Weinbar), rechterhand ins Allerheiligste der Regensburger Top-Gastronomie. Anna Schmaus, des Sternekochs charmante Gattin, eine Schwedin, nimmt uns in Empfang und geleitet uns an den Tisch.

Ich sitze mit Blick auf die Domfassade, meine Gastgeberin mit dem für die meisten Damen mutmaßlich spannenderen Blick aufs Restaurantgeschehen.

So hat man es für uns entschieden. Die angestaubten Knigge-Regeln hätten es umgekehrt erfordert, denn schließlich muss Er rechtzeitig Ihr etwaig drohende Gefahr erkennen, um Sie ritterlich beschützen zu können.

Aber erstens: Mach das mal einer Frau klar! Zweitens verkehren im Storstad keine Räuberbanden, sondern kultivierte Menschen von hoher Kultur und drittens legen Anna und Anton Schmaus keinen gesteigerten Wert auf anachronistisches "Schicki-Micki-Gehabe". Sie wollen Spitzengastronomie zu keinem Erlebnis werden lassen, das Schwellenangst provoziert, weil sich das Personal vornehmer dünkt als die Gäste.

Diese Philosophie wird konsequent umgesetzt und spiegelt sich folglich auch in der Arbeit des Service. Wie Servicechefin Barbara Berger diesen so meisterhaft koordiniert, entzieht sich meiner Kenntnis. Jede Servicekraft scheint jedem Tisch zugeteilt. Anderswo wäre das gleichbedeutend mit der leider zu oft gemachten Erfahrung, dass letztlich niemand für deinen Tisch zuständig ist, aber im Storstad klappt das aus dem FF.

Aus dem Ober, der uns die Speisekarte bringt, sprudeln unerfragt diverse Vorschläge von Champagner über Sekt bis Prosecco hervor, ohne dass er sich erkundigt, ob überhaupt und gegebenenfalls welche Art von Aperitif uns vorschwebe.

Nur Prickelndes ...? Ich unterbreche den jungen Mann in einem Augenblick, da er kurz Atem schöpft. Mag sein, dass die meisten Gäste zum Aperitif Schaumweingetränke präferieren, aber ich würde mir eine differenziertere Auswahl an Alternativen (Portwein, Sherry, ...) , gerne auch auf einer Karte zuammengestellt, wünschen. Auch um sich gemeinsam in aller Ruhe zu beraten, bevor man zur Bestellung schreitet.

Wir bestellen beide einen (hervorragenden) trockenen Sherry und eine Flasche stilles Wasser. Wunderbare Sherrygläser aus Zwiesel. Vorweggenommen: Die Weingläser werden allesamt von beeindruckender Qualität sein, hauchdünn und augenscheinlich mundgeblasen, und mit Bedacht dem jeweiligen Wein und seinen Charakteristika angemessen gewählt.

Wir studieren in Ruhe die Speisekarte. Meine Gastgeberin schlägt das 6-Gänge-Menü vor, die Weinfrage soll/darf/muss ich entscheiden. Die offerierte Weinfolge zum Menü würde im Falle unseres 6-Gänge-Menüs 80 Euro pro Person kosten und wird in der Speisekarte leider mit keiner Zeile näher beschrieben.

Ich bin aus verschiedenen Gründen kein Freund vorgegebener Weinfolgen, verstehe aber, dass Weinlaien sich gerne auf diese Option einlassen und sich möglicherweise auch nicht weiter dafür interessieren, welche Weine und warum ihnen speziell diese zum betreffenden Gang serviert werden. Ohne konkret zu wissen, was mir letztlich serviert werden wird, lasse ich mich jedoch nicht - schon gar nicht, wenn andere bezahlen! - auf die Katze im Sack ein. Nicht für ein Äquivalent von 80 Euro für in etwa eine Flasche Wein (unterstellt je Gang 0,1 Liter  - selbst das geht aus der Karte leider nicht hervor). Ob 80 Euro fair oder frech sind kann ich nicht beurteilen - dazu fehlte es, wie beschrieben, an Information.

Die hervorragend ausgestattete Weinkarte des Hauses wird uns erst auf Nachfrage gebracht. Offenbar verlässt man sich im Storstad auf den Sex-Appeal der vorgegebenen Weinbegleitung.

Die Sommelière übt sich in Absenz, auch erkundigt sich niemand, ob wir Beratung wünschen. Man traut uns möglicherweise genügend Sachverstand zu, eigenständig eine Wahl zu treffen.

Mein Auge fällt auf eine Flasche 2016er Silvaner pur mineral des Weinguts Rudolf Fürst in Bürgstadt, im fränkischen Mainviereck. Mit 26 Euro ist diese (wie eine große Handvoll anderer Weine ebenfalls) erstaunlich moderat bepreist, muss man im Einzelhandel als Endverbraucher doch rund 13 Euro für diesen formidablen weißen Menübegleiter bezahlen.

Rudolf Fürst ist berühmt für seine Spät- und Frühburgunder, der Buntsandstein im Mainviereck am Centgrafenberg und anderen Spitzenlagen machts möglich. Auch eine Auswahl seiner Rotweine findet sich auf der Weinkarte, wir werden zum Hauptgang ein Glas des Fürst'schen Frühburgunders bestellen - eine vorzügliche Begleitung zum Mangalitza-Schwein mit Rosenkohl, Pflaume und Apfel. Schön, dass uns diese Extrawurst ermöglicht wurde - nicht jeder Weinkeller läßt sich auf solche Sonderwünsche ein und zapft zwei Gläser aus einer ungeöffneten Flasche. Meist wird man auf die sehr überschaubare Auswahl offener Weine verwiesen.

Surprise, Surprise: Kein Brot, kein Aufstrich oder Dip eröffnet den Abend - eine prächtige Schieferplatte mit Variationen von der Beete für zwei Personen als Amuse bouche. Feine Petitessen, die eine Erwartungshaltung für den weiteren Abend evozieren: Saisonal wie regional deutet diese in Richtung Mitteleuropa oder  Skandinavien - weniger nach Asien.

Der offiziell erste Gang der Menüfolge greift die Erwartungshaltung, die der Gruß aus der Küche installiert hat, lückenlos auf: Carpier Lachs / Lauch / Sauerrahm / Haselnuss. Der Fisch aus der Hand des katalonischen Räucherpapstes Carlos Piernas, erst karamellisiert, dann kaltgeräuchert, ist in Geschmack und Textur ein erster Höhepunkt des Abends.

Optisch herausragend ist ferner die Lauchterrine, beides unprätentiös untermalt von den herb-frischen Noten des Sauerrahms und der dezenten Salzigkeit des Kaviars. Großartig ist dieser Gang! Ich habe, so glaube ich zu diesem Zeitpunkt wenigstens, den roten Faden des Menüs verstanden und bin gespannt auf den nächsten Streich, der sogleich folgt. Es wird zügig geschickt im Storstad, für meinen Geschmack schon beinahe etwas zu flott, denn schließlich wollen die Eindrücke eines Menü-Kapitels gemeinsam diskutiert sein und müssen sich erst einmal innerlich sortieren und setzen, bevor man aufnahmebereit für den nächsten Gang ist.

Königskrabbe / Zitrusfrüchte / Buttermilch. Dieser Gang, der meine Gastgeberin regelrecht in Verzücken versetzt, nötigt mir selbst zunächst ein Stirnrunzeln ab.

Handwerklich wurde fraglos hervorragend gearbeitet und von der Qualität der Rohstoffe her gibt es kein Jota Ansatzpunkt für Kritik - mir aber sind die säuerlichen Grapefruit-, Blutorangen- und Kumquatnoten des kalten Fruchtsüppchens zu weit weg von der Erwartungshaltung, die die ersten beiden Gerichte in mir haben entstehen lassen. Ich fantasiere jetzt laut vor mich hin, aber eventuell hätte ein Mix der Gattung Moosbeeren und Heidelbeeren eine Alternative für die Süppchengrundlage sein können. Das hätte dem Gericht einen eher nordischen Drall verliehen, den ich persönlich stimmiger empfunden hätte. So wirkte dieser Gang auf mich nicht "logisch". Möglicherweise verstehe ich Anton Schmaus' Logik diesbezüglich bloß nicht ...

Ich habe mein Besteck noch in Händen und sinniere noch ein wenig perplex der butterzart im Munde schmelzenden Königskrabbe nach, da steht unvermittelt ein Holzbrett auf dem Tisch, wie ich es mir auch in einem Biergarten vorstellen könnte:

Hausgebackenes Röstzwiebelbrot, gesalzene Butter mit Zwiebelrelish und Pesto mit gerösteten  Pinienkernen.

Ein weiterer Gruß aus der Küche. An dieser Stelle in der Speisenabfolge wirkt er auf mich deplaziert.

An die allererste Stelle, also unmittelbar vor die Variationen von der Beete gesetzt, wäre er (meiner Logik nach) nachvollziehbar und kulinarisch stringent positioniert gewesen, hier aber, nach dem herb-säuerlichen Zitrussüppchen mit Buttermilch und der Königskrabbe, hat er in meinem Augen nichts verloren und zertrümmert die Eindrücke dieses Ganges regelrecht. Sollte jedoch ein Akt schöpferischer Zerstörung das Ansinnen gewesen sein, so ist der Coup gelungen.

Isoliert betrachtet: Die Komponenten des "Brotzeitbrettls" fallen zu unspektakulär, ja erstaunlich gewöhnlich aus - zu gewöhnlich, um an Stelle 4 der Abfolge punkten zu können. Handwerklich sind alle Bestandteile zwar gediegen gemacht, wenngleich von überschaubarem Schwierigkeitsgrad, entfalten aber keinen Wow-Effekt. Zudem: Sie werfen mich zurück auf den gerade verlassenen Pfad meiner skandinavisch orientierten Erwartungshaltung im Übergang vom Winter zum Frühling, auch wenn das Pesto das leider zum hausgebackenen Röstzwiebelbrot, meinem Geschmack nach, so gar nicht passen will, irgendwo im Sommer und im Mittelmeerraum zu verorten ist. Die Keimlinge von der mehr als gewöhnlichen Gartenkresse, wie man sie ganzjährig im rechteckigen Schälchen in jedem Discounter bekommt, fasse ich in einem Sternelokal als Humoreske mit ironischem Augenzwinkern auf, die man im Hauptgang mit einer Garnitur aus Tomatenschnitz und krauser Petersilie zum Running Gag hätte fortspinnen können.

Würde mich der folgende Gang - Meeresfrüchte / Pasta / Miso / Xo / Edamame - auf eine Reise Richtung Mittelmeer genommen habe, wäre das Pesto auf dem Brotzeitbrettl eine verständliche Brücke gewesen.

Doch führt die Tour plötzlich in Gefilde, die mich an erste wagemutige Gehversuche meiner eigenen Studentenküche erinnern: Stückige, in Fetzen gerupfte hausgemachte, recht dick geratene Pasta mit zu viel Biss, eine wilde Frutti-di-mare-Mischung in nicht hervorhebenswerter Qualität und all das unter einem knusprigen (!), sehr, sehr scharfen Xo-Schaum (für mich bis dato eine kulinarische Unbekannte), dessen Machart allerdings für sich gesehen, große Kochkunst offenbart.

Die gekochten, unreif geernteten grünen Sojabohnen (Edamame), die man in Japan als Beilage zum Bier nascht, passen meines Erachtens geschmacklich nicht zum Gesamt dieses multikulturellen Cross-Over-Gerichts, zumal die für meinen Gaumen zu ausgeprägte Schärfe des Xo-Schaums die feinen Aromen der Hülsenfrucht bedingungslos niederhält. Es sollte der in meinen Augen schwächste Gang des Abends sein. Einen trifft es immer, diesen mit aller Wucht.

Ebenfalls unter einem Schaum - der jedoch nun fluffig, nicht knusprig - verbirgt sich der nächste Gang: Seeteufel / Kokos / Blaukraut / Ingwer. Holla, wo sind wir? Asien, Mittelmeer, Skandinavien?

Jetzt ist der kulinarische Cross-Over in meinen Augen zwar gelungen, jedoch beeinträchtigt erneut eine zu ausgeprägte Schärfe die Wahrnehmung der zarten Aromen der ansonsten gekonnt orchestrierten Grundkomponenten.

Ich esse gerne scharf und geize auch am eigenen Herd nicht mit scharfen Gewürzen, aber Anton Schmaus meint es an diesem Abend nun bereits beim zweiten Gericht in Folge zulasten der Ausgewogenheit seiner Komposition zu gut mit dieser in der europäischen Spitzenküche eher dezent eingesetzten Geschmackskomponente. Schade, denn ansonsten haftet dieser spektakulär unspektakulären Komposition ein Hauch von Meisterwerk an.

Wir rechnen mit dem Fleischgang, da grüßt uns erneut die Küche mit einer Komponente der 8-Gang-Variante des Menüs: Blumenkohl / Périgord Trüffel / Ei / Marone.

Der erste Gang des Abends der mir ein Wow! in die Seele schreibt, einem Effekt, den ich persönlich einer Sterneküche abverlange.

Wow! auch, weil ich mich wieder in der Spur finde, die von der Beete über den Lachs reichte und dann so abrupt verlassen wurde.

Handwerklich wie geschmacklich ist dieser Gang ein Kunstwerk, schlicht und klar in seiner Linie, so, meines Erachtens, nicht verbesserbar, ein großer Wurf! Und Butter, reichlich braune Butter.


Wir fragen uns, wie hat der Meister das gemacht? Die intensiv nach Blumenkohl duftende Eischneehaube, das auf den Punkt äußerlich feste, aber innen flüssige Eigelb, das sich beim ersten Löffelstupser warm in die Maronencreme ergießt ... Großartig!

Ein Gericht wie dieses macht, so unscheinbar es auf den Fotos daherkommt, für mich den Unterschied zwischen gehobener und echter Spitzenküche aus. Große Kochkunst muss einem einigermaßen versierten Hobbykoch handwerkliche Rätsel aufgeben, die zu ergründen ihn kitzeln. Wenn der Küche eines Lokals der Klasse des Storstad dies nicht gelänge, wäre sie keines Sternes würdig. Nach dem knusprigen Xo-Schaum nun also der zweite Kracher dieser Richtung ...

Der sich anschließende Hauptgang erweist sich ohne Abstriche als würdig, diesem Meisterwerk zu folgen: Mangalitza Schwein / Rosenkohl / Pflaume / Apfel.

So großartig das mit Eicheln gemästete ungarische Schwein gebraten ist, die frittierten Rosenkohlblätter - auch hier wieder eine unscheinbare Komponente - stehlen ihm doch tatsächlich die Show!

Sehr klassisch ist dieser Hauptgang, kein Schischi, kein aufgesetzter Show-Effekt: Schlichte Perfektion weniger, perfekt verarbeiteter Komponenten herausragender Qualität, die in die Saison passen, gerahmt von einer Sauce mit Stand, Finesse und Kraft. Ein Hauch von Tamarinde hätte möglicherweise die klassichen Schmaus'schen Leitplanken auf fruchtige Säure mit asiatischem Touch eichen können, aber oft ist weniger mehr. In diesem Fall vermutlich die optimale Entscheidung der Küche.

Der Frühburgunder aus Bürgstadt komplettiert den Genuss dieses Hauptganges - selten dass ein solcher diese Bezeichnung auch verdient! Wer Franken keine großen Rotweine aus der Burgunderfamilie zutraut, sollte sich bei Gelegenheit mit einem Tröpfchen aus dem Hause Rudolf Fürst oder des Weingutes Stich im Löwen (ebenfalls Bürgstadt) vom Gegenteil überzeugen lassen.

Zum Dessert: Mandarine / Tandoori / Erdnuss. Plötzlich wieder Asien, plötzlich wieder ausgeprägte Schärfe (vom Tandoori Masala und dem schneidend scharfen Mandarinensorbet).

Insgesamt in Ordnung, aber weder optisch noch geschmacklich ein wirklich beeindruckendes Dessert, wie es das Finale eines Abendmenüs in einem Sternerestaurant meines Erachtens verdient.

Zum kräftig-schokoladigen Mokka - klassisch aus dem Briki serviert - schickt uns die Pattiserie einen letzten Gruß:
Buttrige Makronen und Praliné, die es wohl irgendwie am Chef vorbei über den Pass geschafft haben, denn so zerfleddert im Anschnitt kann das in einem Sternelokal keine Absicht gewesen sein.

Die Küche schickt noch einen allerletzten Gruß, speziell und ausschließlich für ihre Olivenöllieferantin: Ein Törtchen, ein hinreissendes Törtchen, samt brennender Geburtstagskerze.

Eine schöne Geste, über die sie sich von Herzen freut. Ich darf ein Löffelchen probieren: Cremig-schokoladig - Weltklasse! Hätte ich persönlich als Dessert klar vorgezogen!

Das Papier auf dem die Makronen lagen, zitiert Bert Brecht: Erst das Fressen, dann die ... Moral.

Ja, frage ich mich, was ist nun die Moral von der Geschicht ...?


Anton Schmaus schaut vorbei, um sich zu erkundigen, wie es uns geschmeckt habe und ob wir zufrieden sind.

Ich atme tief durch, wiege meinen Kopf, ringe um passende Worte, denn ich will ehrlich sein: Licht erlebte ich und Schatten. Der Chef erkundigt sich explizit nach meiner Meinung, so will ich ihm auch meine Eindrücke schildern, die zu diesem frühen Zeitpunkt freilich weniger geordnet sind als heute. Eine derartige Fülle an sinnlichen Eindrücken will intellektuell verdaut sein. Das dauert ...

Der Sternekoch wirkt für zwei, drei Sekunden angefasst. Ganz ehrlich: Wer sieht sich schon, zumal wenn er wie Schmaus seit Jahren auf der Überholspur fährt, begeistert mit Kritik konfroniert? Ich verdeutliche ihm mein Problem mit der mir persönlich fehlenden bzw. nicht verständlichen Linie seines Menüs. Auch dass bei manchen Gerichten ein Zuviel an Schärfe die Zartheit des Aromenspiels beeinträchtigt habe, erwähne ich. Ich lobe ausdrücklich den Gang mit dem Carpier-Lachs den großartigen Blumenkohlgang, den Hauptgang - im speziellen die frittierten Rosenkohlblätter - den Service, insbesondere einen jungen Ober aus Serbien, der seine Aufgaben hervorragend gemeistert hatte.

Anton Schmaus nimmt sich Zeit, hört zu, fragt nach, erklärt und erläutert Beweggründe seines Handelns. Nicht mit allem ist er einverstanden, was ich vorbringe. Das erwarte ich auch nicht. Er steht für seine und seines Teams Leistung gerade, ich für meine subjektive, sehr persönlichen Eindrücke an diesem Abend. Er ist mir keine Rechenschaft schuldig. Man kann es nicht jedem Recht machen. Und wer dies versuchte, machte es letztlich niemandem Recht ...

Für mich wird eines deutlich: Vor mir steht ein Könner seines Faches in einer Umbruchphase seines kreativen Schaffens. Er lotet aus, probiert und experimentiert. Er bricht mit selbstauferlegten Regeln und Konventionen seiner Zunft. Das tut er in der stillen Überzeugung, dass neue Ufer nur erobern wird, wer Grenzen überschreitet.

Würde das Regelbrechen allerdings zum Grundprinzip ohne konkretem Ziel und erkennbarem schöpferischen Zweck, nähme es irgendwann, eher früher als später, Züge der Manieriertheit und Selbstparodie an und die Überraschungseffekte um des Effektes willen, ödeten an. Genau das unterstelle ich Anton Schmaus nicht. Sein Regelbrechen scheint mir im besten Sinne ein Akt schöpferischer Zerstörung, die altes unterpflügt, um fruchtbaren Boden für das noch unbekannte Neue, seinerseits Regelschöpfende zu bereiten.

Die Frage ist: Versteht und toleriert dies der zahlende Gast? Durchschnittsverdiener betrachten einen Besuch in einem Sternekokal als Feiertagsangelegenheit auf die man sich lange vorher freut und für die man an anderer Stelle Einschnitte im Budget vornimmt, denn schnell sind im Storstad am Abend 180-200 Euro pro Person verausgabt. Hat der Gast Geduld? Läßt er dem kreativen Handwerker Findungsphasen durchgehen?

Wie werden die Profi-Tester von Guide Michelin, Gault&Millau usw. mit Schmaus' gegenwärtigen Brüchen, Sprüngen und Wagnissen umgehen?

Das sei ihm egal, meint Schmaus. Es liege ohnehin nicht in seiner Hand und so manche Beurteilung seiner und seiner Kollegen Kochkunst verstehe er längst nicht mehr. Er wolle sich ums Kochen kümmern, um die Weiterentwicklung seiner persönlichen Handschrift, um den Spaß beim Tun - nicht darum den Kritikern zu gefallen. Gut so, Recht hat er!

Dass ihn die Abstufung von 17 auf 16 Punkte im Gault&Millau mehr wurmt, als er zugeben will, spüre ich in seiner Körpersprache. Wem würde es nicht so gehen? Gut - das ist meine persönliche Meinung -, dass der Gault&Millau auf dem besten Wege ist, sich durch Unprofessionalität selbst überflüssig zu machen. Längst hat ihm in Profi-Kreisen der Gusto den Rang an fachlicher Kompetenz, Glaubwürdigkeit und Nachvollziehbarkeit seiner Kritiken abgelaufen.

Nach einer guten halben Stunde amüsanter Plauderei über den Fußballgott und die Welt der Kulinarik verabschiedet sich der Hausherr. Nicht ohne sich herzlich für die kritischen Anmerkungen meinerseits zu bedanken. Auch das unterscheidet den Profi vom Rest: Er wehrt konstruktive Kritik nicht ab, er fordert sie ein, weil sie ihm Möglichkeit bietet, sich zu verbessern.  

Anton Schmaus ist ein hochtalentierter Koch, der viel zu jung ist, um für den Rest seines Lebens den gleichen Stiefel rauf und runter zu kochen, so wie dies manch großer Name der Szene, vornehmlich in Frankreich, zu tun pflegt. Dafür kocht Schmaus zu gerne, dafür forscht er zu gerne, dafür geht er zu gerne kalkulierte kulinarische Risiken ein.

Anton Schmaus / Spyridoula Kagiaoglou
Wir Gäste dürfen gespannt sein, wohin uns die kulinarischen Entwicklungslinien unseres  Sternekoches führen werden.

Einstweilen hoffe ich als Fußballfan, dass der Chefkoch des DFB-Teams Die Mannschaft mit seiner Kunst im Sommer zum fünften Weltmeistertitel kochen wird. Ohne gepflegten Mampf kein gepflegter Kampf ... Millionen Deutsche und eine Griechin aus Tegernheim drücken ebenfalls die Daumen.

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