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Dienstag, 28. Juli 2015

Kaffeekultur im "190°" in Regensburg

copyright 2015 Robert Bock
Neuerdings kann man im Parkhaus am Dachauplatz wieder für eine Stunde kostenlos sein Auto deponieren. Ob das ausreichen würde, meine Bankgeschäfte zu erledigen und anschließend noch einen Kaffee zu trinken ...? Es ist schon nach zehn Uhr und ich habe heute nichts gefrühstückt. Nachdem ich im  selbstauferlegten Dienste der Restaurantkritik unterwegs bin, ist abseits des  "Auswärtsessens" der Tritt auf die Bremse angesagt.
In der Bank: am Schalter vor mir ein älterer Herr, der offenbar ein Sparkonto eröffnet. Die Bankerin klärt ihn vorschriftsmäßig über die Risiken des Online-Bankings und Datenschutzaspekte auf. Der Senior amüsiert sich: "Online? Wer - ich ...?" Auch das gibt's noch im Zeitalter der Digitalisierung ... Nach weniger als zehn Minuten habe ich erledigt, was virtuell nicht zu erledigen ist und habe noch 45 Minuten Zeit, bis die kostenlose Stunde Parken rum sein wird. Wohin? Am Brixener Hof 6, angegliedert an die  traditionsreiche Kaffeerösterei nebst Feinkosthandel Rehorik, gibt es seit einiger Zeit schon eine Café-Bar, namens "190°" und genau dorthin zieht es mich.
von Robert Bock

copyright 2015 Robert Bock
Der Name des Rehorik-Cafés rührt her von der Rösttemperatur von 190 Grad Celsius, bei der es zum "First Crack" komme; ein überaus kritischer Moment im Zuge des Röstens von Kaffeebohnen, erfahre ich von der Titelseite der Speisenkarte. Werde in diesem Temperaturbereich aus Unachtsamkeit oder Unkenntnis geschludert, sei es schwer, die über 1000 verschiedenen denkbaren Aromen aus den Bohnen zu kitzeln. Ein ungewöhnlicher, aber möglicherweise vielen Menschen uneinprägsamer Name für das Café - aber was solls: Ob Gäste wie ich sagen oder denken "Gehen wir zum Rehorik Kaffeetrinken" oder "ins 190-Grad", aus Sicht des Familienbetriebes, der inzwischen in vierter Generation Kaffee röstet, dürfte das Jacke wie Hose sein. Hauptsache, die Gäste kommen gerne und sie kommen wieder ... Das läßt mich an eine alte Weisheit des Qualitätsmanagement denken: "Qualität ist, wenn der Kunde wiederkommt und nicht das Produkt". Ob ich wohl wieder hierher kommen werde, nach meinem heutigen Petit Déjeuner?

copyright 2015 Robert Bock
Das Café ist schmal, schlauchförmig angelegt und führt recht weit in das sehr tief von der Straße weg in den Raum ragende uralte Gebäude hinein ... Die Luft ist schwanger vom Duft frisch gerösteten Kaffees ... Das Interieur ist modern, hell und wirkt auf mich aufgeräumt. Ich wähle denTisch am äußersten Ende des Schlauches, direkt neben der gläsernen Wand, hinter der die Kugel-Kaffeeröstmaschine gerade in Aktion zu bewundern ist.

Es ist schwülheiß an diesem Tag im "190°". Draußen steht die Luft und die Hitze, die die Röstapparatur abstrahlt, trägt das ihre dazu bei. Ich beneide den jungen Mann hinter der Glaswand nicht, der unter diesen Bedingungen hochkonzentriert zu Werke geht, damit die Charge Kaffeebohnen keinesfalls versaut werde. Die Kunden von Rehorik müssen je nach Sorte deutlich bis deutlichst tiefer in die Tasche greifen als im Supermarkt, wenn sie sich ein Pfund Kaffee kaufen  - da sollte dem höheren Preis schon ein Plus an Qualität und Genuss gegenüberstehen, wenn der Kunde wiederkommen soll. Rehorik hat einen guten Ruf zu verteidigen - und das tagtäglich. Man bemüht sich überzeugend und kommuniziert das dem Gast in der informativen Speisenkarte und Infobroschüren. Man begebe sich regelmäßig in die Plantagen der Lieferanten, unterstütze und initiiere selbst Fair-Trade-Projekte, die ökologisch nachhaltig seien, lese ich. Wer auch immer sich diese kommunikationspolitischen Maßnahmen ausgedacht hat, er versteht sein Fach: Mir macht es Spaß, ein Geschäft mit dem Gefühl zu verlassen, etwas schlauer zu sein, als beim Betreten.

Etwa drei Minuten läßt mir der Service Zeit zum Überfliegen der Karte, ein junger Mann und eine junge Dame teilen sich an diesem Vormittag den Dienst am Gast, dann steht der Herr zu Diensten. Ich bestelle zwei Spiegeleier mit Speck zu 3,70 EUR von der umfangreichen Standardkarte, die eine Auswahl vorhält, die zu jeder Tageszeit den kleinen und größeren Hunger zu stillen in der Lage sein sollte. Ich ernähre mich außerhalb von Restaurantbesuchen strikt Low-Carb nach LCHF-Paleo-Prinzipien und in dieser Hinsicht ist das Angebot an Eier-Speisen erfreulich vielseitig. Rühreier oder Spiegeleier, lieber "Plain Vanilla" oder mit Schinken oder Speck?

Ansonsten umfangreiche Frühstücksangebote, die ich nicht memoriere. Mein Tischnachbar bestellt sich ein Frühstück mit Rühreier mit Schinken, Wurst, Käse, Gemüsegedöns - sieht sehr schön aus; könnte ich gegebenenfalls ein andermal darauf zurückkommen, sinniere ich - doch bin ich kein ausgeprägter Frühstücker ... nie gewesen.

Auch eine interessante Wochenkarte fällt mir in die Hand, auf der sich vom Kaffee der Woche über Cocktails und frische Pasta und Gnocchi auch Salate & Co finden. Gottlob keine Putenstreifen diese Woche ... Was wäre heute mein Favorit, wenn ich etwas von dieser Karte wählen müsste, überlege ich ... Panzerotti mit Sepia & Kartoffeln in Knoblaucholivenöl & Kirschtomaten - kleine Portion zu 9,40 EUR und groß zu 13,80 EUR? Klingt interessant ... Da wagt sich die Küche eines Kaffeerösters an wirklich origineller italienisch angehauchter Küche, ohne sich protzig "Mediterrane Küche" auf die Brust zu tätowieren und sich damit selbst unverhohlen weitschweifiger Konzeptlosigkeit zu bezichtigen. Ob die Küche des "190°"es drauf hat, den Gast mit ihren schön zu lesenden und fantasieanregenden Pasta- und Gnocchi-Gerichten zu bezaubern, beurteile ich nicht ohne Kostprobe und lasse es deswegen offen. Beinahe hätte ich die Kuchenvitrine vergessen - ja, die gibt es auch, aber ich habe sie keines näheren Blickes gewürdigt, um mich nicht in Versuchung zu führen.

copyright 2015 Robert Bock
Was den Kaffee angeht, hab ich Bock auf etwas anderes, als die immergleichen italienischen Kaffee-Spezialitäten, die es hier selbstverständlich auch gibt; ich will einen handgefilterten Kaffee aus einer speziellen Glaskaraffe namens Chemex probieren. Welchen Kaffee ich gerne in der Kanne hätte, fragt mich mein Berater, zwei Tassen passten hinein; Kostenpunkt 5,40 EUR. Hmm - eine milde Sorte konveniere mir, sage ich und folge schließlich seiner Empfehlung, es mit einer Sorte aus Brasilien zu versuchen. Die ginge von der Aromatik her in Richtung Nougat und geröstete Haselnüsse.

Wenig später erscheint er am Tisch mit Chemex-Karaffe samt Filtertüte und Kaffeepulver, Waage (!) und einem Aufgießkännchen heißen Wassers. Ich frage, ob ich das feierlich Prozedere fotografieren dürfe, was er mir gestattet und erklärt mir, es wären exakt 20 Gramm Kaffees im Filter, gießt einen ersten Schwall auf, damit der Kaffee quelle, läßt mich daran riechen, wartet kurz, dann gießt er das restliche Wasser auf und der Kaffee tröpfelt vor meinen Augen ins gläserne Gefäß. Das gefällt mir: Hier wird Kaffeekultur erlebbar; Dienstleistung tangibel, wie Marketingexperten sagen.

Als der Kaffee durchgelaufen ist, nimmt er den Filter aus der Karaffe, läßt mich wieder riechen, dann schenkt er mir ein. Ich probiere einen ersten Schluck: Mhhh ... sehr eigenständig der Charakter, aber ob ich ohne den Hinweis auf Nougat und Haselnuss selbst darauf gekommen wäre? Als Weintrinker bin ich zwar einigermaßen versiert im herausklabustern von Aromen an Nase, Zunge und Gaumen, aber was Kaffeegenuß auf Kennerniveau angeht, so ist das eine mir eher noch fremde Welt. Wein ist kalt bis zimmerwarm - Kaffee heiß und seine spezifische Aromatik will erst erschlossen sein. Das Infomaterial bei Tisch liefert mir diesbezüglich interessante Lektüre.

Ich fasse mich kurz: Der Kaffee war sehr schmackhaft und weckte meine Neugier auf das Verkosten anderer Sorten - ein andermal. Die Zeit lief: das Parkhaus ...

copyright 2015 Robert Bock
Die Spiegeleier mit Speck kamen nebst einem Brötkörbchen, in dem je drei kleine Scheiben eines Ciabatta und Mehrkornbrotes sowie ein 10g-Quader abgepackter Butter lagen. Beides ließ ich aus Diätgründen links liegen und konzentrierte mich auf die Spiegeleier mit Speck. Man kann Spiegeleier meines Erachtens nicht wesentlich besser braten als diese gebraten waren - aber man könnte es meiner Erfahrung nach schneller. Zwischen Kaffeegenuss und dem Eintreffen fester Nahrung lagen etwa 20 Minuten.

Wer behauptete, jeder Depp sei in der Lage , gute Spiegeleier zuzubereiten, der versteht meines Erachtes von dieser schlichten Speise nicht sehr viel oder schenkt ihr beim Zubereiten oder Verspeisen zu wenig Achtsamkeit. Gerade die vermeintlich simplen Gerichte zeigen, was die Küche kann oder nicht kann. Auch daheim: Ich tüfftle, tue und mache - ich halte mich für keinen schlechten Hobbykoch - aber die Qualität der Spiegeleier von Madame erreiche ich noch immer nicht. Obwohl ich zigmal zugeschaut habe ... Es scheint mir wie mit Zauberkunststücken: Du weißt ganz genau, dass du gleich sehenden Auges ausgetrickst wirst, aber am Ende bist du wieder reingefallen ... Ich geniesse, frag sie meistens, wie sie das nur hinbrächte, sie lächelt nur und sagt Jo mei ... Mit gebratenem Lachsfilet die gleiche Leier, aber das ist ein anderes Thema ...

Der Speck, ein formidabler Südtiroler, kein klassisches, geräuchtertes Wammerl, die Eier dezent gewürzt mit Salz, Pfeffer und einem Hauch mediterraner getrockneter Kräuter. Sehr schön! Nur steigerungsfähig, wären die Eier in Butter gebraten worden. Über Butter geht mir persönlich wenig, wenn es ums leckerste Fett zu Eierspeisen geht.
Das zum Braten der Eier verwendete Fett war geschmacklich schwer zu identifizieren, was der würzigen Aromatik des Südtiroler Specks und der Kräuter geschuldet war. Vielleicht war es sogar Butter, vielleicht auch Butterschmalz? Muss ich offen lassen ... Meine Referenz an Spiegeleiern "ohne Alles" in der Regensburger Gastronomie sind und bleiben die Spiegeleier in der "Kuchenbar" in Stadtamhof; alleine schon wegen des Buttergeschmacks und des - nach meiner persönlichen Vorliebe - ideal cross gebratenen Rands des Spiegeleis und des - wie auch hier - flüssigen, aber warmen Dotters. Das "190°" ist ab heute aber meine Regensburger Benchmark in der "Mit-Speck-Kategorie".

Beim Abräumen meines Tellers eine höfliche Nachfrage, ob die Eier gemundet hätten, auf Nachfrage eine prompte Auskunft bzgl. der geographischen Herkunft des Specks, die meine Vermutung bestätigte und darauf schließen läßt, dass im "190°" nicht nur die Küche, sondern auch der Service wissen, was dem Gast serviert wird. Vorbildlich.

Zum Abschied überreichte mir der freundliche, wie kompetente junge Mann noch ein Klappkärtchen mit Bewertungsskalen der verschiedenen Kaffeesorten des Sortimentes, in die könne man - Besuch für Besuch - seine persönliche Bewertung der goutierten Varietäten auf einer fünfstufigen Skala eintragen. Praktisch, falls man auf den Geschmack gekommen ist, denn wie soll man sich im Laufe der Zeit auch an jede bereits gekostete Sorte sowie den subjektiven Geschmackseindruck erinnern können, wenn man kein Elefantengedächtnis hat?

Die Zubereitung meiner Spiegeleier dauerte für meinen persönlichen Geschmack zu lange - würde ich es trotzdem vor Ablauf der Stundenfrist ins Parkhaus schaffen ...? Nun aber flott ...

copyright 2015 Robert Bock
Yeah! Glück gehabt: nach 59 Minuten schiebe ich das Ticket in den Automaten und komme ohne Zusatzgebühren davon. Bankgeschäfte plus gepflegtes kleines Frühstück im "190°" ist also durchaus machbar - jedoch würde ich mich sehr freuen, wenn die Küche beim nächsten Mal einen Zahn zulegen könnte, damit ich meine frisch gesammelten Kräfte nicht in einem Rennen gegen die (Park-)Uhr gleich wieder vergeude. Vielleicht schadets aber nicht, die Kalorien auf diese Weise gleich wieder zu verbrennen ...

1 Kommentar:

  1. Hallo, vielen Dank für diesen kulinarischen Bericht.
    Vielleicht sollten Sie ein Spendenkonto eröffnen, damit Sie sich das Parkhaus in Regensburg leisten können ;)

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