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Freitag, 13. Januar 2017

Entenjung im Gasthaus Steidle in Regensburg

Im Gasthof Steidle, Am Ölberg 13, in der Regensburger Altstadt bereite man original Oberpfälzer Küche zu, verkündete eine Radioreportage am Neujahrstag auf Bayern 2.

Von Enten- und Ganserljung war aus dem Munde der Wirtin und Köchin Lisa Weindl höchstselbst die Rede: alles was in oder an einer Ente oder Gans an Essbarem befinde: Herz, Magen, Leber, Kragen, Flügerl. In einer g'schmackigen handgemachten Soß' mit - selbstverständlich! - handgemachten Semmelknödeln.

Ich lag mit einem auf doppelte Größe angeschwollenen Schädel von Silvester im Bett, und war von jetzt auf gleich hellwach! Steidle-Wirt? Am Ölberg? Wie kann das sein, dass ich da noch nie zum Essen war ...?
von Robert Bock

Seit 1991 betreiben Lisa Weindl und Wolfgang Petzold ihr kleines Lokal. Rund 100 Meter abseits der Gesandtenstraße wünschen sich in diesem Eck der Altstadt Fuchs und Hase gute Nacht.

Das Lokal ist winzig. Falls wir uns nicht verzählt haben, finden sich gerademal sechs Tische darin, an denen summa summarum allenfalls 30 Personen mit schmalem Gesäß Platz finden dürften.
"Ehemals Geheimtipp, langsam und natürlich gewachsen, ist der Steidle ein Einzelstück und genießt Seltenheitswert. Kochen ist bei uns noch echtes Handwerk. Neben heimischen finden sich auch mediterrane Gerichte auf dem wöchentlich wechselnden Speisezettel. Die stets frischen Zutaten stammen zum Teil aus eigenem Anbau, die Weine direkt vom Winzer; die Biere sind die besten der Region. Die abwechslungsreiche Küche orientiert sich an den Jahreszeiten und bietet jeden Tag aufs Neue etwas Besonderes."
Soweit die Website des Gasthofs Steidle.

Der angesprochene "wöchentliche Speisezettel" verkündete just für den Abend meines Geburtstages Entenjung!

Klarer Fall: Da müssen wir hin. So etwas habe ich zuletzt vor vielleicht 40 Jahren bei meiner Oma gegessen. Auf keiner Speisekarte war es mir seither jemals aufgefallen.

Kein Wunder: Die Speisekarten vieler hiesiger, sich bairisch nennender Gasthäuser, gleichen eher einer mcdonaldisierten Schweinsbraten-Obatzdn-Viertelenten-Monotonie, orientiert am kleinsten gemeinsamen Nenner des Durchschnittsgeschmacks.

Kaum einer in der Stadt hat noch Innereien auf der Karte - und wenn, dann meist die dem dem Tier entfremdeten Wohlstandsbürger noch ansatzweise vermittelbaren Klassiker wie Kalbsleber oder Saurer Lunge. Gut, das Hofbräuhaus am Alten Rathaus führt auf seiner aktuellen Karte Schweinezüngerl und Herz vom  Rost. Wo aber finde ich in der Innenstadt regelmäßig Schlachtschüssel oder gar Gerichte, die mittlerweile Exotenstatus geniessen, wie Hirn, Euter, Hoden, panierten Kalbsfuß - oder eben Enten- und Ganserljung? Hierfür, so dachte ich bis Neujahr, müsse ich raus aufs Land, wenn mich der Glust packt.


Aber nein: Der Gasthof Steidle präsentiert solcherlei Gerichte nebst einer grundehrlichen, überschaubaren und weitgehend oberpfälzisch-bairischen, handgeschriebenen Karte. Und das zu für die Altstadt fairen Preisen.

Die Biere stammen von verschiedenen Brauereien. Unter anderem auch von Lindner in Kötzting. Derzeit auch deren Bock für 3,60 EUR die Halbe aus der Bügelflasche. Den bestellen wir, nehmen einen tiefen Zug und wähnen uns im Himmel: Welch ein würziges Bier! Flüssiges Manna - Schwarzbrot, so muss es sein! Großartig! Es würde nicht das letzte Glas bleiben an diesem Abend ...

Wie bitte ...? Wein? Ach so ... Nein, heute ausnahmsweise kein Wein, heute Bier. Obwohl die Weinkarte des Steidle-Wirt von großem Sachverstand zeugt: Schöne Frankenweine vom Weingut Michael Melber in Rödelsee, da kaufe ich selbst vor Ort gern ein. Melbers Weine sind lebendig, ändern sich im Lauf der Zeit, mal zeigen sie sich verschlossener und verpuppen sich, um sich bei der nächsten Flasche ein paar Wochen später in völlig neuem Gewand zu präsentieren. Dazu viel Österreich, wenig Italien und Frankreich. Diese Weinkarte hat ein Gesicht. Das sage ich nicht oft - meine treuen Leserinnen und Leser wissen es ...

Leider ist das hausgemachte Apfel-Gänseschmalz mit Brot aus und muss erst neu angesetzt werden. Wir wählen deshalb als Vorspeise, die wir uns teilen, einen Klassiker, der tauglich ist, grundlegende Kompetenz in Sachen bairischer Küche zu offenbaren: "Obatzter, jede Portion frisch angemacht, dazu Gurkerl und zwei Scheiben Brot, 7,90 EUR".

Was uns geliefert wird, läßt jedes Obatzda-Fans Herz höher schlagen. Ohne Übertreibung: Einen derartig gelungenen, schmackhaft-würzigen, cremigen Obatzdn habe ich lange nicht gegessen. Schon gar nicht hier in unserer Gegend, wo man sich leider zu oft entweder Convenience-Ware bedient, diese aufhübscht oder gar den Versuch zu unternehmen scheint, den Convenience-Obatzdn aus dem Kühlregal nachzuempfinden. Kaum einer scheint sich für den Dekorationslangweiler Nummer Eins zu schade zu sein, ihn mittels eines Eiskugelportionierer auf den Teller zu drappieren ... Solche Mätzchen mögen Preissn und Ossis so pfundig und urig finden wie eine kugelförmig gegossene Sulz - ich finde sie als abgedroschen und als Verhöhnung des Gastes.

Dieser Obatzde im Gasthof Steidle hat in seinem Gesamtkonstrukt Charakter. Dieser Obatzde ist tatsächlich wie versprochen frisch angemacht. Das schmeckt, wer je selbst einen gemacht, an ihm herumgetüfftelt und optimiert hat; das schmeckt selbst, wer je einen frisch angemachten gekostet hat.

Nicht nur das: Die verspochenen Gurkerln entpuppen sich als buntes Potpourri milchsauer eingelegten Gemüses - hausgemacht, da gehen wir jede Wette ein! - Senfgurken, Karotten, Zwiebeln. Einfach ein Genuss. Wie bei Oma, denn die meisten Mütter bringen heute so etwa gar nicht mehr zuweg. Kultur geht uns verloren, unwiderbringlich an die Industrie, wenn wir nicht aufpassen und uns des Grundwissens um die Konservierung von Lebensmitteln aus eigener Ranch wieder besinnen ...
Gut, irgendwas ist immer: Die Cornichons sind wohl zugekauft, die Kalamata-Oliven ein linder Stilbruch, den wir verzeihen, ebenso das etwas überlagert wirkende und allzu dünn aufgeschnittene Schwarzbrot. Dieser wunderbare Obatzde, das essigsaure Gemüse und der Bock aus Kötzting, der einen beängstigenden Trinkfluss entfaltet - das war ein prima Start in den Abend!

Im Hauptgang zweimal Entenjung mit Semmelknödel zu 9,80 EUR.

Herzen, Leber, Mägen, Krägen, Flügel, Brustfleisch - oh, wie wundervoll schmecken diese vielgeschmähten Leckereien! 

Die Soße ist ein Gedicht. Reinlegen möchte ich mich, so sämig, aromenschwanger und dezent gesäuert schmeckt sie.

Der Semmelknödel zählt zu den besten seiner Art, die meine charmante Begleiterin und ich - so unser übereinstimmendes Urteil - je zu uns genommen haben. Zusammen sind wir 95 Jahre alt, da blickt man auf eine beachtliche Semmelknödelselbsterfahrungshistorie (welch ein Wort-Ungetüm!) zurück. Dem schweigend geniessenden Kritiker bleibt nichts weiter, als der Küchenchefin ein uneingeschränktes Lob auszusprechen. Wer dieses Entenjung probiert, wird danach süchtig. Wer sich's entgehen läßt, verpasst möglicherweise eine große kulinarische Erfahrung, die ihren Reiz im Regionalen, Rustikalen und - wie sagen flachwortschätzige BR-Feuilletonisten gerne? - Aus-der-Zeit-Gefallenen entfaltet.

Obwohl: Nose-to-Tail ist dank Fergus Henderson und Lucki Maurer einer der angesagtesten Trends moderner Kulinarik: Nicht nur die Filetstücke des Muskelfleisches werden gegessen, sondern das ganze Tier. Was früher gang und gäbe war, wird heut zum Zeitgeist stilisiert. So mancher Wohlstandsbürger fragt sich, was das alles sei, was man da in und an einem Tier so findet - und ekelt sich davor ...

Pervers! Wer Tiere tötet, um sie zu verspeisen, sollte es nicht anders halten: Ganz oder gar nicht! Zumal das magere Muskelfleisch ernährungsphysiologisch ohnehin nur zweite Wahl gegenüber den Innereien ist. Weshalb, glaubt ihr, gebührt bis heute der Aufbruch traditionell dem Jäger ...? Das war vor 50.000 Jahren so, das ist bei heute lebenden Jäger- und Sammler-Völkern noch immer so - und auch in unseren "zivilisierten" Breiten.

Zum Dessert wählt meine Begleiterin eine Lavendel-panna-cotta mit Beerenmus für 5,90 EUR, ich entscheide mich für ein Gläschen Vin Santo mit Cantucci (3,50 EUR).

Die Lavendel-panna-cotta wird in einem Einweck-Glas serviert. Zwei Drittel Panna cotta, darüber das säuerliche Beerenmus. Prägnand, aber keineswegs zu stark parfümiert ist die eingekochte Sahne. Der Lavendel harmoniert gut mit dem Beerenmus.

Meinen persönlichen Geschmack trifft dieses Dessert nicht zu 100 Prozent. Ich hätte das Beerenmus beiseite gelassen und stattdessen ein paar kandierte Lavendelblüten oder einen Spiegel aus geliertem Lavendellikör obenauf gesetzt.

Die zugekauften Industrie-Plätzchen werten das Werk leider ein wenig ab. Das Thema "Lavendel und Panna cotta" verdient meines Erachtens mehr Beachtung, als ich mir dessen bislang bewußt war. Sehr kreativ und anregend!

Meinem Vin Santo fehlt es leider ein wenig an Süße im Rückgrat und an Wucht im Bauch. Bei Salvatore Scata im Federico II habe ich schon wesentlich begeisterndere Tröpfchen dieser Art genossen. Vielleicht ist das Fläschchen schon zu lange offen, vielleicht die Nachfrage im Gasthof Steidle nach diesem Dessertwein zu gering? Ich würde diesen Vin Santo in heutiger Verfassung kein zweites Mal bestellen.

Unterm Strich bleibt uns ein überaus gelungener kulinarischer Abend in Erinnerung. Kleinere Abstriche trüben das Gesamtbild wenig, denn zu großartig war die handwerkliche Perfektion der Speisen. Wenn man anderswo solche Küche als "gut bürgerlich" bezeichnet, dann war dies hier heute "bestmöglich bürgerlich".

Wolfgang Petzold, der den Service schmiss, war präsent, freundlich und vermittelte jedem Gast das Gefühl Teil einer Familie zu sein. Das Ambiente ist gemütlich, liebevoll gestaltet und innerhalb des Gesamtkonzeptes stimmig.

Der Gasthof Steidle zählt zu den wenigen Lokalen in Regensburg, die mich innerhalb der letzten Monate begeistern konnten.

Was Bairische Küche betrifft ist es im Stadtgebiet bis auf Weiteres meine unangefochtene Nummer Eins. Logisch, dass wir eine klare Empfehlung aussprechen, das Lokal mit einem Besuch zu beehren. Reservierung scheint dringend erforderlich.


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