Eigentlich war dieser Sonntagmittag anders geplant: Wiederholungsbesuch im Brauereigasthof Goss in Deuerling.
Pech gehabt. Selbst wenn du um 11 Uhr dort auf der Matte stehst, hast du an einem Sonntag mittlerweile ohne Reservierung keine Chance mehr einen Platz zu bekommen.
Was jetzt? Eichhofen fällt mir ein und schlage den dortigen Brauereigasthof meiner charmanten Begleiterin vor. Das sei nicht weit weg und ich sei dort vor rund 20 Jahren einmal eingekehrt. Beeindruckt habe mich der Gasthof der Schlossbrauerei Eichhofen damals ganz und gar nicht, gebe ich ihr zu bedenken. Das sei auch der Grund gewesen, ihn mehr oder weniger aus meinem Gedächtnis zu tilgen ... Aber 20 Jahre sind eine lange Zeit. Wer weiß, vielleicht ist dort inzwischen vieles anders ...?
von Robert Bock
Keine drei Kilometer vom Parkplatz des Brauereigasthofes Goss in Deuerling entfernt, stellen wir den Wagen in Eichhofen ab.
Wuchtige Kupferkessel glänzen hinter der verglasten Fassade der Schlossbrauerei Eichhofen. Seit 1692 wird hier Bier gebraut. Man rechnet sich zu den ältesten Brauereien Bayerns.
Wir queren die Straße und betreten den Biergarten. Während beim Goss für Halbzwölf ausreserviert ist, herrscht hier gähnende Leere.
Halt nein, drei "Frühschöppler" beäugen uns schweigend misstrauischen Blickes und halten sich dabei an ihren Biergläsern fest. So pflegen wohl überall in Bayern echte Landeier Fremde zu beäugen, die ihr Territorium betreten, wenigstens vermittelt ein rein gebrautes Bier hier Halt in Zeiten unberechenbaren, steten Wandels ...
Im hinteren Teil des von mächtigen, alten Baumriesen beschatteten Biergartens am Lauf der Laaber, weisen Schiefertafeln auf Reservierungen hin. Im vorderen Teil sind reichlich Tische frei.
Der Biergarten macht einen sehr gepflegten Eindruck. Hochbeete mit frischen Kräutern nähren unsere Hoffnung, dass die Küche auf frische Zutaten Wert legt. Auf einem Bänkchen unter einem der Bäume liegt neben orientalischen Kissen die aktuelle Ausgabe des Slow-Food-Magazins aus. Nein, dies ist nicht jener Brauereigasthof, den ich von früher kenne, das ist, soviel ist jetzt schon klar, eine andere Liga.
Kaum haben wir Platz genommen, erscheint ein freundlicher Ober in schnieker, schwarzgehaltener Uniform und bringt uns Speisen- und Getränkekarte. Was wir trinken möchten, wissen wir noch nicht, erklären wir ihm, wir wollten das vom Essen abhängig machen.
Die Speisekarte dieses oberpfälzer Brauereigasthofes überrascht mit asiatischem Einschlag.
Klassische bairische Küche ist zwar vorhanden, spielt aber eher eine Nebenrolle: Schwein-E-braten (kein Schweinsbraten) in Dunkelbiersoße mit Reiberknödel, wahlweise mit Sauerkraut oder Salat, Wildschweinragout mit Semmelknödel und Holundersoße (!), Geschmorter Bug vom Rind - der zwar mit Blaukraut, aber auch mit Süßkartoffelcreme ...
Zwei Suppen, beide modern-international, sämtliche Vorspeisen nicht-bairischen oder gar oberpfälzer Charakters ... An Hauptgerichten außerdem: Vegetarisches Thai-Curry, Hirse-Risotto mit Shitake-Pilzen und Blumenkohl-Kurkumawurzel-Creme, In Kokosöl konfierte Lachsforelle mit Avocado, Gurke und Schwarzem Sesam-Fleur de Sel ... Holla, die Waldfee! Solche Küche in Eichhofen?!
Der Eindruck drängt sich auf, dass Küchenchef Felix Wagner die klassisch-bairische Küche eher widerstrebend auf der Karte führt. Viel lieber würde er, hat es den Anschein, asiatisch-international zu kochen, doch allein darauf zu setzen, verbietet sich in einem Brauereigasthof (ausgerechnet!) in ländlicher Idylle und ihm selbst möglicherweise die Geschäftsleitung.
Da ich vegetarische Gerichte allenfalls als Bestandteil einer Menüfolge oder Beilage zu Fleisch, Fisch oder Meeresfrüchten schätze, bestelle ich den Schweinsbraten mit Reiberknödel und Salat. Meine charmante Begleiterin ist mental noch immer so auf Goss'sches Schäuferl fixiert, dass auch sie sich für den Schweinsbraten entscheidet - allerdings mit Sauerkraut. Uns interessiert ferner, ob die Option mit Salat statt Sauerkraut den Preisunterschied von 1,60 EUR rechtfertigt.
Ein Aperitif sticht uns ins Auge: Der "Schloßtrunk" - Aperol mit Märzenbier. "Zweimal vorab den Schloßtrunk, Herr Ober, und zum Essen ein Dunkles und ein Märzen."
Märzenbier mit Aperol, stilvoll serviert in einem langstieligen Weißweinglas, entpuppt sich als hochinteressante Angelegeheit. Ich rate zum Ausprobieren.
Die beiden Eichhofener Biere sind süffig, würzig und perfekt temperiert. Das darf, ja muss man in einem Brauereigasthof auch so erwarten. Müsste ich mich zwischen dem Märzen vom Goss und dem Eichhofener entscheiden, ich wählte Goss.
Doch das ist meinen rein subjektiven Geschmacksvorlieben geschuldet. Meine charmante Begleiterin halte es ebenso, sagt sie. Auch das nicht repräsentativ für die Allgemeinheit.
Der Schweinsbraten macht optisch einen sehr guten Eindruck. Jeweils zwei dicke Scheiben vom Kamm, ohne Kruste. Schön durchwachsen, das Fleisch butterzart, saftig und innen einen Hauch rosa. So gut gebraten habe ich einen Schweinsbraten noch nirgendwo gegessen.
Dem regionalen Fleischlieferanten - ein umfangreiches Verzeichnis der Partnerbetriebe der Gegend ist der Speisekarte angefügt - gebührt ein Teil der Anerkennung.
Die Soße ist offenkundig sauber gezogen, sie ist hell - es wurde dankenswerterweise nicht mit Zuckercouleur nachgeholfen - und ihr fehlt es nach unser beider Meinung etwas an Salz. Kein Problem, der Ober ist prompt mit einer Salzmühle zur Stelle. Wäre mit Soßenpulver gearbeitet worden, man hätte es am penetranten Salz-Glutamat-Geschmack bemerkt. Hier ging beim Ziehen der Soße alles mit rechten Dingen zu, jedoch hätte ich persönlich die Soße mit erstens noch mehr Dunkelbier (oder Bock) im Ansatz rezeptiert und zweitens deutlicher reduziert.
Die Reiberknödel sind der große Schwachpunkt dieses Mittagessens.
Sie sind arg klein, in der Mitte findet sich ein nicht-angeröstetes Weißbrotwürfelchen und ihre Konsistenz erinnert an Vollgummireifen.
Ob es sich um Fertigknödel handelt, halte ich zwar nicht für ausschließbar, tippe aber auf handgedreht. Trotzdem sollte es nicht das Bestreben der Küche sein, Industrieknödel nachzuempfinden. Gegenüber dem Kartoffelknödel von Goss, drei Kilometer weiter - der meiner Meinung nach beste Knödel weit und breit! -, ist der Eichhofener leider bei uns beiden mit Pauken und Trompeten durchgefallen.
Schade, denn das Sauerkraut mit Speck und Kümmel zum ausgezeichneten Schweinernen ist ebenso Weltklasse wie der Salat und dessen Dressing. Ja, der Aufpreis für Salat gegenüber Sauerkraut ist gerechtfertigt: Dieser Beilagensalat ist aus frischesten Komponenten und optisch wie geschmacklich eine Pracht - weit mehr als ein Beilagensalat, sondern eine vollwertige Beilage.
Der Biergarten füllt sich langsam. Typisches Slow-Food-Publikum. Damen in ihrer Lebensmitte mit ergrauten langen Haaren und völliger Absenz von Make-up, Männer in ockerfarbigen Baumwollchinos und über die Schultern drapierten dunkelblauen Pullovern. Ja, der Luftzug kann spät im August für böse Nackensteife sorgen ... Man bestellt auffällig häufig Vegetarisches. Wenigstens Bier dazu, keinen Kamillentee ...
Es sitzt sich lauschig hier am Fluß und wir erfreuen uns am Publikums-Panoptikum. Uns ist nach Verlängerung. Die Dessertkarte offeriert nette Schweinereien. Meine charmante Begleiterin überredet sich in Rekordzeit zu einem Orangenschaum mit Zitrusfrucht-Salat und Valrhona-Crumle, ich denke schlicht und lasse mir ein hausgemachtes Schokoladeneis bringen.
Mein Schokoladeneis auf Hirse-Poppies schlägt jedes Schokoladeneis, das ich in meinem Leben kosten durfte. Es erinnert eher an eine stark heruntergekühlte Mousse au Chocolat, als an eine Eiscreme, ist sensationell aromatisch und ergänzt sich aufs wunderbarste mit den Tupfern von (Heidelbeer?)marmelade, die mit Piment gewürzt scheinen. Dieses Eis muss man probiert haben, zählt man sich zum Kreis der Schokoladenfreunde!
Nicht minder herausragend ist auch das Dessert meiner charmanten Begleiterin. Der Orangenschaum schmilzt fein süß-säuerlich auf der Zunge, der Crumble schmeckt nach frisch gerösteten Haselnüssen und dieser himmlischen Valrhona wie "Hanuta deluxe". Der Zitrusfrüchtesalat dazu ist wunderbar, ein Hauch von Alkohol darin macht sich sehr gut.
Eichhofen sollte man tunlichst nie ohne ein Dessert im Bauch verlassen, empfehlen wir beide! Großes Kino zu vertretbarem Preis.
Unterm Strich sind wir beide sehr zufrieden mit unserem Sonntagmittag in Eichhofen. Luft nach oben gibt es unserer persönlichen Meinung nach beim Thema Reiberknödel und bei der Konzentration der Schweinsbratensoße. Auch würden wir uns bei den Suppen und Vorspeisen zumindest jeweils eine bairische Alternative wünschen. Beabsichtige ich Schweinsbraten zu essen, mag ich vorab eben lieber eine Leberknödel- oder Griesnockerlsuppe, als eine Blumenkohl-Kokos-Suppe mit Granny Smith und Mandeln, so interessant diese auch klingen und möglicherweise schmecken mag.
Der Stringenz dieses Gedankens Rechnung zu tragen: Auch eine Dessertalternative aus der bairisch-/österreichischen Küchentradition (Bairisch Creme, Salzburger Nockerl, Kaiserschmarrn, ...) stünde der Karte eines bairischen Brauereigasthofes gut zu Gesicht.
Der Service war ausgezeichnet, stets präsent und sehr freundlich, das Ambiente (auch innen) sehr gepflegt und mit Liebe gestaltet und die Toiletten tiptop.
Die Küchencrew um Küchenchef Felix Wagner verfügt unverkennbar über mehr als bloß solide handwerkliche Fähigkeiten.
Widmet man sich künftig den Mühen der Ebene, also der Bairischen Küche, mit ebensolcher Liebe zum Detail wie beispielsweise dem Komponieren asiatisch-internationaler (fleischloser) Gerichte und großartiger Desserts, dann wird man - meinem Gefühl nach - künftig sehr, sehr viel Positives über den Brauereigasthof in Eichhofen hören und lesen können.
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