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Freitag, 22. Juni 2018

Sieben Gänge Stefan Marquard

Wer mit dem Namen Stefan Marquard, dem (Mit-)Begründer des jungen, wilden Kochens in Deutschland, dem Rockstar unter den Köchen nichts anzufangen weiß, schaut keine Kochsendungen und ist kulinarisch vermutlich in den 1980er Jahren steckengeblieben.


Stilbildend war und ist dieser Stefan Marquard, ein kreativer Tüftler vor dem Herrn, was das Ersinnen und Optimieren neuer Kochtechniken angeht. Die Zahl der von ihm ausgebildeten Nachwuchsköche, die es im Lauf der Zeit zu Reputation in der Szene geschafft haben, ist Legion: Lucki Maurer, Helmut Schwögler, Sebastian Völkl, Johann Pilz um nur eine kleine Handvoll herauszugreifen.

Neulich hatte ich Gelegenheit im oberbayerischen Langenbach (Nähe Moosburg und Freising) einem kulinarischen Abend mit Stefan Marquard beizuwohnen. Augustin "Gustl" Keller, Metzgermeister und Fleischsommelier, und seine Schwester Barbara hatten zu einem kulinarischen Mega-Event in die Räumlichkeiten von Feinkost Keller geladen. Es sollte ein Abend großer kulinarischer Klasse werden ...
von Robert Bock

Der Protagonist des Abends...

Das fragwürdige Etikett "TV-Starkoch" wird Marquard nicht gerecht. In jungen Jahren hat er sich mit seinem Restaurant Drei Stuben in Meersburg einen Michelin-Stern und überragende 18 Punkte im Gault&Millau erkocht, Kollegen wie Tim Mälzer müssen fehlende Meriten dieser Art mit großer Klappe kompensieren ...

Stefan Marquard ist nicht nur eine brilliante Rampensau und ein talentierter Entertainer, er versteht es tatsächlich hervorragend und mit anscheinend nie ermüdender Kreativität zu kochen.

Seit 2005 ist der Schwager von Helmut Schwögler (Restaurant Schwögler, Bad Abbach) auf verschiedenen TV-Kanälen präsent und begeistert seither mit unkonventionellen Kreationen einen großen Kreis von Fans jeden Alters.

Stirnband, Kinnbart, Hornbrille mit dicken Gläsern, Jeans und T-Shirts, bedruckt bevorzugt mit Rockband-Motiven, sind die Markenzeichen des mittlerweile 54 Jahre alten, in Schweinfurt geborenen Unterfranken dessen Vater ein angesehener Küffner in Volkach am Main war. Frankens Weine & deftige Küche in den Genen, lernte der junge Stefan 1981 erst Metzger, dann Koch. Eine kluge Verbindung, die trägt.

Die Location ...


Feinkost Keller ist seit mittlerweile 110 Jahre eine erste Adresse in Sachen Fleisch und Wurst in der Region zwischen Moosburg und Freising. Heute darf man ohne zu übertreiben behaupten: die erste.

Von einer klassischen Metzgerei zu sprechen, verbietet allein der Anblick des imposanten Gebäudes mit seinem großzügigen, lichtdurchflutetem Interieur, das Augustin "Gustl" Keller, der junge Chef der "Genuss.Erlebniswelt" 2016 eröffnet hat.

Wirtshaus und Metzgerei in einem, gelebte bairische Tradition mit zukunftsweisendem Konzept  und zeitgemäßem Gewand durch Integration einer Event-Location für Kochkurse und Veranstaltungen wie jene mit Stefan Marquard.

Stefan Marquard & Augustin "Gustl" Keller
Gustl Keller habe schon immer Metzger werden wollen, schreibt er auf der Homepage seines Unternehmens. Nie sei für ihn ein anderer Beruf in Frage gekommen. Schon als Kind sei er mit Leib und Seele dabeigewesen und habe seinen Vater bei der Arbeit begleitet; Metzger zu sein: der Beruf schlechthin!

Glücklich, wer wie Gustl Keller früh seine Berufung gefunden hat und diese konsequent und leidenschaftlich lebt!

v.l.n.r.: Stefan, Spyridoula, Barbara, Gustl
Wer den umtriebigen Gustl kennenlernt und sich mit ihm über Genuss und gutes Essen unterhält, dem fällt sofort das Lodern in seinen Augen auf, wenn er erzählt, was er künftig noch alles mit seinem vielköpfigen, treuen Team um seine sympathische Schwester Barbara - Seele und erdender Pol des Unternehmens - auf die Beine stellen will. Auch die charmante Frau Mama, die in München ein angesehendes Geschäft mit italienischer Feinkost betreibt, hilft ihren Sprösslingen regelmäßig aus. So auch an diesem Abend.

Auf sein Team läßt der Gustl nichts kommen - und sein Team nicht auf seinen Chef.

Zwar greife ich zeitlich vor, aber nie werde ich vergessen, wie Gustl Keller gegen Ende dieses denkwürdigen Abends mit brüchiger Stimme und Tränen in den Augen seinem vielköpfigen Team vor versammeltem, tosend applaudierendem Publikum für dessen unermüdlichen Einsatz über die zurückliegenden Tage hinweg dankt.

Briefing des Starkochs vor dem Start in den Abend
Ja, Tage, nicht Tag: Ein Stefan Marquard fordert jene, die das Glück haben, mit ihm kochen zu dürfen. Der Starkoch duldet kein Larifari beim Mise en place, er fordert und fördert. Auch wenn er gut gelaunt ist und kumpelhaft kommuniziert: Marquard weiß das Maximum aus jedem Teammitglied herauszupressen. Über 300 Personalstunden hätten alleine die Tage der Vorbereitung verschlungen, so Gustl Keller ...

Mit Werten und Emotionen führt man Menschen in unserer Zeit. Nur wer authentisch ist, seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wertschätzt und ihnen dies auch wie Stefan, Gustl und Barbara zeigt, darf darauf hoffen, dass sich ein Team zerreißt und das von in der Früh bis kurz vor Mitternacht.

Würde mich ein junger Mensch fragen, wo er eine Lehre als Metzger/in oder Fachverkäufer/in im Lebensmittelhandel antreten solle, ich würde ihm oder ihr ohne Zögern Feinkost Keller in Langenbach empfehlen.

Der Abend ...

Samstag. Etwa 50 erwartungsfrohe Gäste haben sich in den Räumen der Genuss-Erlebniswelt von Feinkost Keller in Langenbach eingefunden. 279 Euro kostet das 7-Gänge-Menü mit komplexer Weinbegleitung, primär bestritten vom Weingut Eichenstein aus Meran.

Die Südtiroler, deren exquisite Weine Feinkost Keller führt, haben Martin, einen jungen Oenologen aus Nals, als Markenbotschafter geschickt, der kompetent und ohne ausuferndes Wein-Latein das Publikum durch die Weine dieses Abends begleitet. Zwei talentierte Gstanzl-Sänger mit weiblicher Harfenbegleitung lockern den Abend in den Pausen zwischen den Gängen auf hohem Niveau und jeder Menge Lokalkolorit auf.

Stefan Marquard wird zu großem Anteil mit Fleisch und Wurstwaren aus Keller'scher Produktion sowie griechischem Olivenöl und Essig-Elixieren von Spyridoula Kagiaoglou kochen. Nicht zum ersten Mal. Marquard weiß die Produkte der Olivenölqueen aus Tegernheim zu schätzen: Was in deinen  Rohstoffen an Klasse und Qualität nicht drin ist, kitzelst du als Koch an Geschmack im Leben nicht heraus. Wer an den Zutaten spart, spart definitiv an falscher Stelle. Feinkost Keller kocht und produziert sein umfangreiches Antipasti-Angebot tagtäglich mit dem Sterneköcheöl der Griechin, das man dort, wie ihre Essig-Elixiere aus Nordgriechenland, auch für zuhause kaufen kann.

Stefan Marquard teilt an diesem Abend sein unglaubliches Wissen und viele, viele Tricks bereitwillig mit den Gästen, nimmt sich Zeit für jede Frage, schreibt unermüdlich Autogramme, posiert für Selfies mit dem Star ... Mich persönlich hat das Thema "Rückwärtsgaren" angefasst - sensationell wie zart und saftig Fleisch, Geflügel und selbst Fisch mit dieser von Marquard ausgetüftelten und perfektionierten Methode gelingt.

Gang für Gang annonciert Marquard persönlich den Gästen, schildert detailliert, wie er zubereitet wurde und welche Rohstoffe wie und weshalb zum Einsatz kamen. Gustl Keller erklärt, worauf es beim Kauf und der Zubereitung erstklassigen Fleisches, Spyridoula Kagiaoglou bei der Verwendung von Olivenöl und Essig-Elixieren in der anspruchsvollen Küche ankommt. Wer will, wird nicht nur mit vollem Bauch, sondern auch mit jeder Menge Tipps, Tricks und Wissen den Heimweg antreten.

Die Stimmung ist locker und gelöst, die Gäste allesamt gut drauf. Stefan Marquard hat das Motto des Abends ausgerufen: "Fühlt Euch wie zu Hause, aber benehmt Euch nicht so." Es kann losgehen ...


Das Menü ...


Das Menü
Amuse Gueule: Kushi - Essen an Stäbchen als Amuse Gueule
1. Gang: Focaccia mit gelegtem Pressack - ein leckerer, aber eher unspektakulärer Einstieg
2. Gang: Camouflage von Alt & Jung auf Mais und Wiese  - mein persönliches Highlight dieses Menüs; großartig die kalte Polenta mit Kokosnuss zum Carpaccio von der Rinderhüfte!
3. Gang: Bayerischer Gamba im Poulardenflügel mit scharfen Brüstchen auf lauwarmem Spargelsalat - handwerklich aufwändig und herausragend umgesetzt; eine Idee zu viel Salz! Wer war da verliebt?
4. Gang: Saibling mit Melone und Süßkartoffel auf Biltongfäden - perfekte Melange von butterzartem Fisch, Frucht und getrocknetem Fleisch: BÄNG! Marquard in Bestform, obwohl er an sich nicht als Freund der Kombination von Fleisch/Fisch und Obst gilt.
5. Gang: Gnack und Wadl vom Stauferico auf Kraut und Rüben  - die Schwarte der Kreuzung aus Iberico- und heimischem Schwein (großartiges, nussiges Fleisch, perfekt zartrosa gegart!) als Popcorn und ein Krautsalat zum Niederknien. Große Kunst!

6. Gang (I): Mal so Mal so von der Rinderschaufel mit Kohlrabiklee und Honigschalotten

6. Gang (II): Dry-Aged Rinderschaufel mit ...
6. Gang (III): Dreierlei geile Saucen und gegrillte Focaccia zum Gegrillten
7. Gang: Beeren im Dreck mit Milch und Speck - hervorragend auf die vorangegangenen Gänge abgestimmtes Dessert mit Speck-Parfait. Nicht zu süß und nicht zu schwer. Ungewöhnliche Kreation, rundum gelungen.

Das Team nach der Schlacht - Danke für den großartigen Genuss Euch allen!

Fazit ...

Auch wenn der Preis für diesen Abend manchem auf den ersten Blick stolz erscheinen mag, war er doch fair für das Gebotene. Stefan Marquard ist es gelungen, aus dem Küchenteam von Feinkost Keller Kochkunst auf hochklassigem Niveau zu kitzeln. Gang für Gang ein Hochgenuss, Gang für Gang Zutaten vom Feinsten, kompetent, kreativ und mit tiefem Gefühl für Aromenlandschaften komponiert und umgesetzt. Schöne Weine, mit Überlegung ausgewählt, passend zu jedem Gang. Auch der Service: Flink, unauffällig, präzise, freundlich und gelassen - perfekt.

Ein Abend mit Stefan Marquard lohnt sich. Falls sich Gelegenheit ergibt - vielleicht wieder einmal bei seinem Schwager Helmut Schwögler in Bad Abbach beispielsweise, wo er regelmäßig als Gaststar antritt? - ich rate Euch hinzugehen.

Bei Feinkost Keller steigen künftig Spitzenkönner wie Wolfgang Müller und Lucki Maurer in den Ring - könnte einen Trip nach Langenbach lohnen.

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