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Samstag, 24. November 2018

Z'Kalsing setzt man sich Etappenziele

Z'Kalsing, in der Weiberwirtschaft, setze man sich Etappenziele, erfuhr ich neulich über die Facebookpräsenz dieses charmanten Gasthauses in der 80-Seelen-Gemeinde zwischen Roding und Michaelsneukirchen.

Eines habe man erreicht, schrieb Wirtin und Küchenchefin Susanne Stangl nicht ohne berechtigten Stolz: Man habe Aufnahme in die 2019er-Ausgabe des im Buchhandel erhältlichen Slow Food Genussführers gefunden.

Endlich!, füge ich hinzu, denn nur wenige Wirtshäuser, die ich kenne, leben die Philosophie der Slow Food Bewegung so mustergültig wie die Weiberwirtschaft z'Kalsing. Grund genug für mich, hinzufahren. Erstmals nicht an einem Sonntag, sondern einem Donnerstag; spüren und erschmecken, was unter der Woche möglicherweise anders dort ist, als an einem Großkampftag mit Sonntagsbraten- und Knödelpublikum.
von Robert Bock


Ich begleite Stangls Olivenölieferantin, Spyridoula Kagiaoglou aus Tegernheim. Sie hat mir angeboten, sie nach Kalsing zu begleiten. Sie habe  der frisch gebackenen Slow-Food-Genussführer-Wirtin Nachschub zu liefern und wolle Susi Stangl persönlich zum Erreichen ihres Etappenziels gratulieren.

Man investiert eine gute halbe Stunde Fahrt durch herrliche Landschaft, wenn man sich von Regensburg aus an der Walhalla vorbei Richtung Altenthann/Brennberg nordöstlich hält. Wer je wie ich den Arber-Radmarathon in Angriff genommen hat, kennt und liebt diese abwechslungsreiche Strecke; kennt sie jedoch im warmen Lichte angebrochener Hochsommertage. Jetzt ist November, jetzt ist es längst finster und ersatzweise malt sich mein Gedächtnis die herrliche Aussicht auf sanft geschwungene Hügel in die Dunkelheit hinein.

In Kalsing sind und bleiben die Gehsteige - soweit existent - 365 Tage im Jahr hochgeklappt. Ein kalter Wind pfeift über die Hügelkuppe südöstlich von Roding, auf der sich die Häuser ducken. Kein Wunder steht hier ein Windrad ...

Spyridoula Kagiaoglou & Susanne Stangl
Das Licht in der Gaststube, das aus kleinen Fenstern auf die Straße fällt, verbreitet heimelige Vorfreude. An zwei Tischen tafeln Gäste.

Später wird der halbe Schützenverein auf eine Brotzeit vorbeischauen und die Wirtsleute in Reimen, holpriger als jeder Wanderweg im Nationalpark, um die Übernahme der Schirmherrschaft für einen Schützenevent bitten.

Dorfleben ... Man liebt oder hasst es. Ich kann ihm mit den Jahren aus der Ferne durchaus positive Seiten abgewinnen.

Susi Stangl und ihr Mann, im Hauptberuf Tierarzt, empfangen uns herzlich und die  Olivenölspezialitäten meiner Begleiterin in ungeduldiger Vorfreude auf künftige Schandtaten in der Küche. Das Kaffee-Olivenöl wird die Chefin noch an diesem Abend in Kombination mit ihrem selbstgemachten Kürbiskernöl-Eis zum Einsatz bringen.

Sie ist Köchin mit Leib und Seele, das kennt man ihr an, wenn sie mit Funkeln in den Augen vom Kochen und guten Lebensmitteln spricht. Regionalität, Saisonalität, Nachhaltigkeit - allesamt Attribute der Slow-Food-Philosophie: Susi Stangl lebt diese Ideale in der Tradition ihrer Mutter, die das Back-to-the-Roots-Projekt Weiberwirtschaft - konzeptionell seiner Zeit damals weit voraus - aus der Taufe gehoben hat, und lebt sie mit dem Anspruch sie Schritt für Schritt immer konsequenter umzusetzen.

Traditionelle Oberpfälzer Küche nach alten Familienrezepten mit Zutaten von Produzenten weitmöglichst aus der Region; Wertschöpfungsketten, die nicht anonym sind, sondern vom einander Kennen und Vertrauen geprägt sind: Wissen, wo das Essen herkommt, dass man respektvoll mit Tier und Pflanze umgeht und seinen Lieferanten vertrauen kann. Daraus gekochte Gerichte serviert man besten Gewissens und mit Stolz dem Gast, der diesen Aufwand hoffentlich zu schätzen weiß.

Dass dieser Gast - in Relation zum regionalen gastronomischen Umfeld - für Spitzenqualität auch etwas tiefer in die Tasche langen muss, hat, als Susi Stangl das Szepter von ihrer Mama übernahm, nicht jeder Stammgast goutiert. Ein Schweinsbraten für mehr als Sechs Euro Achzig?! Ja, spinnts etz, d'Susi?! In meinen Augen spinnt, wer so einen billigen Schweinsbraten frisst, ohne sich zu fragen, wie der so billig sein kann, aber das ist ein anderes Thema ...


Es sei ein langer, zäher Kampf gewesen, die bedingungslos auf Qualität fokussierte Philosophie ihrer Küche durchzusetzen, Publikum aus weiterer Entfernung für ihre Weiberwirtschaft zu begeistern. Dass Slow Food auf sie aufmerksam wurde, dass man sie sogar in den Slow Food Genussführer aufgenommen hat, das sei ihr ein wichtiges Etappenziel gewesen erzählt sie, als sie sich, als etwas Luft ist, zwischen Hauptgang und Dessert, zu uns an den Tisch setzt.

Neuerdings halte man sich eine eigene Schafherde - Coburger Fuchs - und produziere auf diesem Wege sein eigenes Lammfleisch für die Küche. Gerichte mit Lammfleisch aus eigener Ranch?! Hallo, wie geil ist das denn?!

Ich habe mir eines bestellt, das ich so nirgendwo auf einer Speisekarte gesehen habe: Beuscherl vom Lamm mit greizten Knedlscheiben ... Nose-to-Tail: Alles Essbare vom Tier soll verarbeitet werden, nicht nur die sogenannten "Edelteile" wie Filet, Keule oder Schulter. Auch Milz, Lunge, Herz, Zunge, Leber und Nieren. Für die Wolle der Schafe habe man auch eine Idee, die gerade Gestalt annehme. Mehr will Susi Stangl nicht verraten.

Wir haben uns zur Feier des Tages eine Flasche Riesling kommen lassen. Dass es sich um eine Literflasche handeln würde, habe ich beim Studium der kleinen aber kompetent zusammengestellten und verfassten Weinkarte doch glatt überlesen. Gut, dass die Griechin fahren muss. Der Abend verspricht für mich geschmeidig zu werden ...

Der Rheinhesse vom Weingut Finger ist für einen Literflaschenwein von erstaunlicher Qualität: Knackige, rieslingtypische Säure, schön eingebundene rheinhessentypische Frucht und frisches, angenehmes Moussieren. Mirabellen, Aprikosen, Pfirsich und ein Hauch Limettenschale.

Mit Sicherheit kein großes Gewächs, aber das will er auch nicht vorgauckeln. Im Einstiegssegment von Rieslingpapst Robert Weil aus Kiedrich im Rheingau habe ich für doppelt so hohe Preise schon Weine gekostet, die nicht ein Drittel so viel Spaß bereitet haben.


Hoppla, was ist das? Die Chefin höchstpersönlich serviert uns einen Gruß aus der Küche: Garnele auf Safranrisotto mit feinem griechischem Olivenöl.

Die Garnele stammt aus nachhaltiger Zucht in Oberbayern - ein Produkt, von dessen Qualität mich jüngst bereits der qualitätsversessene Stefan Marquard überzeugen konnte.

Susi Stangl hat sie perfekter als perfekt gebraten; um ehrlich zu sein, mir fällt nicht in den Sinn, je eine bessere Garnele gegessen zu haben. Der Risotto ist harmonisch abgeschmeckt, der Reis hat mir persönlich eine Spur zuviel Biss, was aber den großartigen Gesamteindruck dieses Küchengrußes allenfalls minimal schmälert.

Mein Beuscherl vom Lamm mit greizten Knedlscheiben ist mir ein Gaumenschmaus vom Allerfeinsten. Saures Lüngerl (vom Schwein), diesem Gericht ähnlich, mag ich sehr gerne und würde es gern öfter bestellen. Leider aber findet es sich nurmehr selten auf der Speisekarte eines Wirtshauses. Lamminnereien in Form einer Art von Suppe kannte ich bislang vor allem in Form der Mageritza, der Ostersuppe, mit der in ganz Griechenland nach dem Christos anesti in der Kirche in der Osternacht daheim das Fasten gebrochen wird.
Die cremige Soße ist wunderbar rund im Spiel von Süße und Säure, die Innereien weich und aromatisch. Die greizten Knedlscheiben, separat serviert, brocke ich in den Teller mit dem Beuscherl. Gemeinsam ein Essen, das ein ungemein sättigendes, wohliges Gefühl im Bauch vermittelt. Und, ja, der Riesling passt perfekt dazu!

Meine Chauffeurin hat sich gebratenes Karpfenfilet mit Rote Beete-Kartoffel-Püree und Kohlrabigemüse bestellt.

Das Gericht ist eine Augenweide, jede Zutat spielt geschmacklich seine Stärken aus statt überwürzt zu wirken.

Das Karpfenfilet ist auf den Punkt perfekt gebraten, dezent glasig im Kern und nur ganz wenige, karpfentypisch filigrane Gräten, sind der Grätenzange der Küchenchefin entgangen.

Ja, wenn das so ist, brauchen wir noch ein Nachspeiserl.

Die Dessertkarte liest sich verlockend. Hausgemachter Kaiserschmarrn, hausgemachter Apfelstrudel, hausgemachte Küchl oder Zimtnudeln - hausgemachtes Eis ...

Jawohl, Eis. Drei Kugeln bitte. Eine besser als die andere, vor allem nicht penetrant süß wie oft, so dass die Eigenaromen sich schöner entfalten.

Das Eis vom dunklen Weißbier und das Joghurteis verlieren in meiner Gunst knapp gegen das bereits erwähnte Kürbiskernöleis mit einem Tropfen von Spyridoulas Kaffee-Olivenöl.

Olivenöl, produziert auf der Peloponnes von einer im oberpfälzischen Tegernheim lebenden Griechin, edler Arabica-Kaffee aus Äthiopien, geröstet in der Rösterei des Klosterstadels im oberpfälzischen Pielenhofen von einem waschechten oberpfälzer Röstmeister - beide Komponenten mittels eines geheimen, ausgebufften Verfahrens, dass Spyridoula Kagiaoglou selbst ertüfftelt hat, miteinander vermählt. Susis göttliches Eis und Spyridoulas Kaffee-Olivenöl, gemeinsam ist das Gaumensex. Probiert das, wenn Ihr die Weiberwirtschaft aufsucht!

Summa summarum: Es lohnt sich auch mal nicht am Sonntag nach Kalsing zu fahren. Die Karte hat seit meinen letzten Besuchen nochmals deutlich an Kontour und "oberpfälzer Stallgeruch" hinzugewonnen. Die Aufnahme der Weiberwirtschaft in den Slow Food Genussführer ist nur folgerichtig.

Dies sei ein Etappenziel gewesen, hat Susi Stangl auf Facebook verkündet. Welches ist das nächste? Wenigstens ein nächstes Ziel muss es, legt man den Begriff "Etappenziel" so aus, wie er gemeint ist, schließlich geben.

Ich bin neugierig, werfe dieses Ziel und jenes in den Raum. Susi Stangl gibt sich sibyllinisch. Sie könne sich vieles vorstellen, sagt sie lächelnd und ich traue ihr und ihrem Team eine ganze Menge zu ...

Fazit: Die Weiberwirtschaft z'Kalsing ist für mich uneingeschränkt empfehlenswert. Unbedingt, sofern noch nicht geschehen oder schon länger her, besuchen! Reservierung ratsam.


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