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Freitag, 20. Dezember 2019

Über dem Gasthaus Jakob funkeln die Sterne

Mitte Dezember ist es in Niederbayern gegen 18 Uhr bereits stockfinster. Kein Mondschein am Himmel, von Ferne funkeln die Sterne.

Ich verlasse die A3 an der Anschlussstelle Bogen-Schwarzach. Nach Perasdorf, genauer nach Haigrub habe ich dem Navi aufgetragen, zu lotsen.

Es dauert nicht lange und ich finde mich auf engen, kurvigen Sträßchen wieder und hoffe, dass die Erde nicht vielleicht doch eine Scheibe ist, dass sich hinter der nächsten scharfen Kurve nicht Finis terrae vor mir auftut und ich mit aufjaulendem Motor über den Rand der Erdenscheibe in einen alles verschlingenden Weltenabgrund stürze ...
von Robert Bock
Welcher Teufel hat drei Gastronomen geritten, mitten im niederbayerischen Nirgendwo ein Restaurant mit hohem kulinarischem Anspruch zu eröffnen? Mona Haka, Michael und Andreas Ammon heißen die im positiven Sinne verrückten jungen Leute, die meine charmante Begleiterin und mich herzlich in Empfang nehmen.

Ich habe sie im Sommer bei Ludwig "Lucki" Maurers Kulinarikfestival in Neukirchen b.Hl. Blut kennengelernt. Dort hatte ihnen der "Fleischpapst" aus dem nahen Schergengrub für ihre Station einen Platz auf der Sterneköche-Terrasse zugewiesen. Völlig zurecht, denn ihr Festivalbeitrag war für meinen persönlichen Geschmack einer der besten eines insgesamt hochkarätigen Angebots an Gaumengenüssen. Hohe Zeit also, die Kunst von Küchenchef Michael Ammon näher zu betrachten ...

Das Gasthaus Jakob erweckt, trotz heimeliger Illumination, in der Dunkelheit von außen nicht den Eindruck, dass es sich um ein Lokal mit anspruchsvoller Küche handeln würde.

Bayerische Hausmannskost, gut bürgerliche Küche, ja ... Drinnen setzt sich der Eindruck fort. Gediegen holzvertäfelt rustikal präsentiert sich der Gastraum. Keine Spur von Kitsch jedoch. Man hat aus dem, was man vorfand, mit Geschmack und Fingerspitzengefühl ein gemütliches Ambiente geschaffen.

In den kommenden vier Stunden werde ich mich, soviel sei vorab verraten, auf bequemem Gestühl sehr wohl hier fühlen.

Wir hatten vorab bereits beschlossen, das (große) 4-Gang-Menü (66€) samt korrespondierender Weinbegleitung (28€) zu bestellen.

Kulinarisch öffnet sich der Abend unspektakulär mit selbstgebackenem, hervorragendem Brot, einem portugiesischem Olivenöl und je einer Nocke gesalzener Butter und Griebenschmalz. Dieser Gruß aus der Küche greift den rustikalen Schick des Ambientes auf und wiegt den unbedarften Gast in "gut bürgerlicher Sicherheit".

Der zweite Gruß aus der Küche verschärfte die Gangart ohne den Bezug zu Ambiente, Region und Saison zu verlieren. Mitnichten, denn was könnte diese Philosophie besser wiederspiegeln als auf einem Heutbett servierter Rote-Bete- Kaviar mit Maronencreme und karamelisierter Walnuss?

Hier noch ein aromatisches Pülverchen, dort noch ein crispy Waffelchen, das alles selbstverständlich hausgemacht. Die Microgreens entfalten nicht nur dekorativ, sondern auch aromatisch passend ihr Potenzial.

Andreas Ammon, der für den Wein zuständig ist, serviert uns bereits zum Amuse-gueule in hervorragenden Gabriel-Gläsern den Begleiter zum noch vor uns liegenden ersten offiziellen Gang des Menüs: Ein Grüner Veltliner vom Schloss Halbturn aus Niederösterreich. Ein schöner, leichter Einstieg. Trocken, ausgeprägte Zitrusfrucht und ein charmantes Pfefferl, küss die Hand, Madame.

Der 1. Gang: Barbarie-Entenbrust | Cranberry | Walnuss | Marone 

Den Brückenschlag vom Amuse-gueule hierher erkennt ein jeder, der auf solche Details achtet. Der Teller wirkt üppig dekoriert. Die Entenbrust als solche unter Cremetupfern (Sellerie! Großartig!) und Vinaigrette nur zu erahnen.

Mir persönlich ist das an miteinander wettstreitenden Aromen zu viel des Guten - meine Begleiterin hingegen ist vor Begeisterung aus dem Häuschen. So verschieden sind die Geschmäcker.

Meiner Überzeugung nach, die niemand teilen muss, ist ein Gericht dann perfekt, wenn man nichts würde weglassen können, ohne dem Gericht Klasse zu rauben, hinzufügen nur, wenn es dessen Klasse steigert. Vulgo: Weniger ist mehr. Manchmal. Und wenn man wie ich dieser Devise der italienischen und (authentischen) griechischen Küche anhängt.

Der Küchenchef höchstpersönlich überrascht uns mit einem weiteren, in der Menüfolge nicht annoncierten Zwischengang!

Beef Tatar | Kichererbse | Couscous | Kaffeeöl

Man widme seinen ersten Blick dem wunderschönen Teller. Generell: Im Gasthaus Jakob bezaubert das Geschirr. Mit viel Gefühl wählt man die Unterlage zum Gericht und trägt dem Wagner'schen Gesamtkunstwerksgedanken damit - gewollt oder nicht - Rechnung.

Froh bin ich, das "Pülverchen" auf Basis von Kaffee-Olivenöl zuerst gekostet zu haben. Die Arabica-Aromen, vereint mit zarter griechischer Olivenfrucht, knallen an Zunge und Gaumen, dass es nur so eine Freude ist. Wie er das Kaffee-Olivenöl in "Pulver" verwandelt hat, verrät mir der Küchenchef auf Nachfrage - ich weiß dieses Küchengeheimniss aber zu bewahren. Ätsch!

Dieses Gericht ist in seiner Komposition und seinen wohlüberlegten Verweisen in die arabisch-orientalische Küche an sich ein Hammer. Leider aber dominiert spitze Essigsäure in der Vinaigrette das Ensemble. So spitz, dass sie meine Sensorik unempfänglich macht für die feinen Aromen der einzelnen Komponenten. Der betörende Kaffee verschwindet nahezu, das hochwertige rohe Rindfleisch (ich habe es, wie das Kaffee-Olivenölpulver gottseidank vor der Vinaigrette gekostet) ebenso hinter einem Essigvorhang. Was würde ich anders machen? Der Säure Süße zur Seite stellen (Zucker, Honig, Feigenmarmelade, ...)? Grenadine statt Vinaigrette? Das großartige Essig-Elixier Spyridoula's 100% "Amelie" aus dem nordgriechischen Epirus statt allzu rassen Essigs? Michael Ammon hat es jedenfalls in seiner Waffenkammer, ich weiß es, auch weil ich den würfelförmigen Flacon im Entrée des Gasthauses erspäht habe. Die Vinaigrette einfach weglassen? Mit Sicherheit weiß man erst was funktioniert, wenn man ein Wagnis eingeht.

Gut, dass uns Andreas Ammon eine fruchtige Aromenbombe aus dem Bullenheimer Paradies in Mittelfranken zur Seite gestellt hat: Die Scheurebe im Bocksbeutel vom Weingut Meier-Schmidt ist für sich gesehen Zungenfasching, so quirlig tanzen die Fruchtaromen. Von exotischer  Passionsfrucht über Stachelbeere bis Eisbonbon ist alles da, was man von einer exquisiten Scheurebe erwarten darf. Lukas Schmidt ist nicht ohne Grund einer meiner Helden in meiner Blog-Rubrik Müller-Thurgau-Maniacs.

Allerdings: Wäre die Scheu nicht trocken, sondern halbtrocken ausgebaut gewesen, hätte sie der spitzen Säure der Vinaigrette vermutlich Paroli geboten - so hisste sie im Widerstreit leider schnell die weiße Fahne.

Der offizielle 2. Gang zählt zu den besten Fischgerichten, die ich je gegessen habe und holt mich in der Menüfolge wieder zurück in die Saison und heimische Gefilde.

Ja, rustikal klingt das Ensemble, aber wie filigran es der Küche doch gelungen ist: Black Cod | Champagnerkraut | Dijon-Senf.

Das Kraut ist hauchfein gehobelt und schmilzt in seiner wunderbar sahnigen Sauce förmlich auf der Zunge. Die Säure hält sich dezent im Hintergrund, so dass der butterzarte, auf den Punkt perfekt gegarte und hoch geschmackvolle (fette) Kohlenfisch aus dem Nordpazifik die Bühne hat, die er verdient. Davon mehr, das könnt ich jeden (Frei)tag essen!

Der trockene Grauburgunder vom Weingut May aus Retzbach in Franken ist die perfekte Wahl zu diesem Fischgang. Keine Spur träge und ölig, wie Grauburgunder gerne einmal ausfallen, sondern frisch und dennoch kraftvoll. Wunderbar der Grip an Zunge und Gaumen durch die beinahe kaubare Mineralik, die Frankens Böden ihren Weinen spendieren. Franken halt: Es gibt in Deutschland derzeit für mich persönlich keine spannendere Weinregion!



Zwischengang: Sorbet: Das mich ein "Gaumenputzer", wie man derlei Intermezzi vor dem Hauptgang gerne etwas despektierlich zu nennen pflegt, je so flashen würde, hätte ich nicht vermutet. Hier mutiert das Intermezzo zu einem kulinarischen Highlight: Kalamansi | Chassis | Thymian.

Bei der Kalamansi (auch: Calamondinorange) handelt es sich um eine wahrscheinlich aus China stammende Kreuzung aus Mandarine und einer Kumquat-Art. Nie habe ich bislang eine solche Frucht in ihrer Naturform gekostet, aber was Michael Ammon da für ein Sorbet gezaubert hat, schlägt alles, was ich in an Zitrusfruchtsorbet bislang kannte.

Löffelchen für Löffelchen sprühen in meinem Schädel förmlich Funken! Erfrischend so, als klatschte man mir ein pitschpatschnasses Handtuch ins Gesicht! Der herb-süße, erdige Chassisschaum und der kongenial dazugesellte Thymian setzen dieser Zitruswucht die Krone auf. Nie hat für mich ein Sorbet-Zwischengang seine Aufgabe so begeisternd erfüllt, wie dieses kleine Meisterwerk.

Zum Hauptgang tauscht der Sommelier die Gläser aus. Gläser vom Allerfeinsten, wuchtige, hauchdünn geblasene Rotweinkelche der Marke Zalto.

Mehr braucht ein Weinfreund nicht lesen und er weiß, dass man im Gasthaus Jakob, am Rande der Erdscheibe, das Thema Wein zelebriert. Und das, ohne Etikettentrinkerei zu unterstützen.

Die Auswahl der Weine wird Neureichengesindel aus der Immobilienbranche und Spesenrittern jeglicher Couleur, die den Wert von Weinen nach deren Preis und Parkerpunkten bemessen,  nicht viel sagen, aber wer etwas von schönem Wein versteht, erkennt sofort: Hier, in Perasdorf-Haigrub Hausnummer 19 kennt man sich, von spürbarer Begeisterung für edlen Traubensaft getragen, mit diesem Thema sehr gut aus.

Die Zalto-Gläser machen Bekanntschaft mit einem großartigen Rotwein aus Portugal: Ein 2016er Olho de Mocho Reserva. Wuchtig, stoffige Tannine, Duft von Veilchen und Lavendel, rotes Steinobst. Bäng! 

Was passt zu diesem Portugiesen? Genau: 2erlei vom Rind | Filet | Backerl | Sellerie | Schmorgemüse. Der Hauptgang.

Wir haben das Filet "bleu" bestellt und perfekt im gewünschten Gargrad wird es uns serviert.

Das Fleisch ist von hervorragender Qualität, butterzart und aromatisch. Das Backerl - *hach. Ich liebe Rinds- und Ochsenbackerl, bereite sie mir gerne selber zu. Besser kann man die nicht machen.

Von Alpha bis Omega ist dieser Teller eine Sinfonie, ein Hochamt der regionalen, saisonalen Küche unserer Breiten. Man könnte der Küche an dieser Stelle zu viel Traditionsbewusstsein und zu wenig Wagemut vorwerfen. Genau das will ich nicht. Denn - wie bereits der Fischgang - besser kann man das nicht machen! Und immer wieder dieses Aufgreifen zurückliegender Gänge: ein Rädchen greift ins andere, ein Menü bis hierher perfekt komponiert; den Zwischengang mit Beef Tatar außer Acht gelassen, denn dieser zählte schließlich nicht zur Menüfolge und läuft daher außer Konkurrenz.


Kann das Dessert mithalten? Zum Ausklang des Menüs nochmals neue Gläser. Solche die einem roten Dessertwein aus der Pfalz in der Machart eines Portweines angemessen sind: Einem 2014er Porteo vom Weigut Dr. Wehrheim in Birkweiler.

Why red? Because of reasons: Dessert: Schokolade |  Lebkuchen | Sanddorn | Orange. Schoko und Lebkuchen "mal anders" schreien nach Rot und Restsüß! Andreas Ammon weiß genau, was er tut ...

Man muss kein Hohepriester der Kochkunst vom Schlage eines Heiko Antoniewicz sein, um zu erkennen, dass Regionalität und Saisonalität aromatisch auch hier perfekt ins Bild gesetzt werden.

Zudem wird in Form der herben Zitrusnoten der Orange gar der überwältigende "Gaumenputzer" wieder aufgegriffen. Mehr Advent wäre vermutlich nur Mandarine gewesen, aber damit wäre Michael Ammon vielleicht ins Klischeehafte abgeglitten - so nicht. Dieses Dessert ist ausgereift und ausgewogen und bewegt sich, wie schon Fisch-, Sorbet- und Hauptgang, durchgängig auf Sterneküchen-Niveau.

Die optisch an griechisches Loukoumi erinnernde, stichfest-cremige Lebkucheninterpretation ist prallvoll mit den typischen Aromen: Zimt, Nelken, Piment, Macis, Ingwer, Sternanis - you name them. Große Klasse! Und erst das Sanddorn-Sorbet! Präziser kann niemand das Spiel von Süße und Säure herausarbeiten wie dies der Küche hier geglückt ist. Sorbets scheinen, gemessen am heutigen Abend, eine herausragende Stärke Micha Ammons zu sein ...

Obwohl: Von Glück kann keine Rede sein, da wir uns dem Abschluss dieses denkwürdigen Menüs nähern: Er weiß genau was und wie er es tut, dieser Michael Ammon - auch wenn er, vermutlich jugendlichem Schöpferdrang und Ungeduld geschuldet, für meinen persönlichen Geschmack in den aufgezeigten Details ein-, zweimal übers Ziel hinausgeschossen ist an diesem Abend.

Das sehe ich ihm gerne nach, denn endlich erlebe ich mal wieder einen Koch, der die Idee vom Gesamtkunstwerk und spannungsgeladener Komposition eines Menüs verstanden hat. Saisonalität, Regionalität, höchste Qualität der Lebensmittel und handwerkliche Meisterschaft präsentieren sich als Einheit. Gepaart mit dem herausragend guten, herzlichen Service von Restaurantleiterin Mona Haka und Sommelier Andreas Ammon hat man uns ein kulinarisches Erlebnis von sehr hoher Güte beschert.

Die Food-Journale haben das Gasthaus Jakob bereits entdeckt und man erntet zurecht gute Kritiken. Lediglich der Gault&Millau hat wieder mal geschlafen ... Man arbeitet dort mit Verve am eigenen Untergang, der deutsche Verlag hat die Zusammenarbeit bereits aufgekündigt, um sich dem in Profikreisen hochgeschätzten Gusto zuzuwenden ...

Meinem Dafürhalten nach wird man dieses Restaurant in der kommenden Ausgabe des Guide Michelin erstmals eingetragen finden. Wenigstens mit einer Bewertung "Bib Gourmand". Meiner unmaßgeblichen Meinung nach vielleicht sogar mit einem Stern. Man ist der begehrten roten Plakette mit dem blauen Stern verdammt nahe, näher als den über Niederbayerns Himmelszelt funkelnden Gestirnen, von der in der Einleitung dieser Kritik die Rede war ... Ich würde es den drei leidenschaftlich agierenden Gastronomen von Herzen gönnen.

Stern hin oder her: Man wird noch viel Positives hören und lesen über das Team des Gasthaus Jakob, dessen bin ich mir sicher. Selbstverständlich spreche ich eine uneingeschränkt Empfehlung aus, baldmöglichst dort einen Tisch zu reservieren. Am besten noch bevor Münchens Bussi-Gesellschaft - nach Erscheinen des Guide Michelin 2020 - in Scharen in den Vorwald pilgern wird ...

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