Dienstag, 6. Oktober 2015

Im Wirtshaus D'Feldwies in Übersee am Chiemsee

copyright 2015 Robert Bock
Man kann nicht nur Trachten in Übersee am Chiemsee kaufen, sondern auch gepflegt einkehren. Dem Wirtshaus D'Feldwies in der Greimelstraße 30 in Feldwies/Übersee haben wir heuer bereits zweimal besucht und fühlten uns beide Male dort wohl und gut bewirtet.

Zuletzt auf unserer Heimreise aus dem Urlaub im Süden im August, die uns zur Mittagszeit am Chiemsee vorbeiführte: "Wie schauts aus, Madame: Hunger?", frag ich - "Aber sicher!", sagt sie. und setzt den Blinker rechts ...

Man nehme die Ausfahrt Übersee auf der Autobahn A8 und keine zwei Minuten später gelangt man ans Ziel: Ein stattlich anzusehendes Chiemgauer Traditionswirtshaus, das an dieser Stelle seit 1554 existiert und auf eine bewegte Geschichte zurückschaut, über die man sich im Hausprospekt ins Bilde setzen kann. Um die Jahrtausendwende sei das Traditionswirtshaus zu einem Schandfleck verfallen, erfährt man auf der Homepage der Feldwies. Dann geschah Bemerkenswertes ...
von Robert Bock

"In einer "Rekordzeit vom November 2003 bis zum Mai 2004 wurde das Wirtshaus völlig neu auf- und ausgerichtet, die Steine blieben weitgehend übereinander, einige Fenster sind geblieben, die Innentüren, aber ansonsten ist sehr viel völlig neu hergerichtet worden. Zum Betrieb der Gaststätte haben sich schon über 1500 Privatpersonen mit einer oder mehreren Aktien an der D'Feldwies Wirtshaus AG beteiligt, um ihr Wirtshaus selbst zu führen und vorab die gesamte Einrichtung zu kaufen, das Personal einzustellen und den Betrieb zu organisieren. So sitzen Sie beim Lesen dieser Zeilen in einem Wirtshaus, das von einer Bürgeraktiengesellschaft betrieben wird und vielleicht ist Ihr Nachbar auch Aktionär, dem auch ein Teil dieses Wirtshauses gehört. Auch Sie können Aktionär werden!"
Stilvoll-schlicht bayerisch, ohne in widerlichen, überdekorierten Landhauskitsch zu verfallen, ist das Interieur in den Stuben gestaltet. Ob allerdings jeder Preiss versteht, dass ihm der Wegweiser Abort den Weg zur Toilette weißt, bezweifle ich ... Der Biergarten ist gemütlich und ruhig, auch wenn für Schatten in erster Linie mittels Schirmen gesorgt werden muß, die Karte mit einer Vorder- und Rückseite übersichtlich, regional (Chiemsee-Fische!) und saisonal ausgerichtet: warme und kalte Speisen und Brotzeiten; Klassiker neben vom Zeitgeist angehauchter Cuisine bavaroise. Das Bier kommt vom Hofbräuhaus in Traunstein.

copyright 2015 Robert Bock
Meine Geschäftsleitung konnte es natürlich nicht lassen und bestellte sich für 10,50 EUR ihren Schweinsbraten mit reschem Krusterl in Holzfasslbiersauce und Krautsalat nicht mit dem vorgesehenen Semmelknödel, sondern mit Kartoffelsalat.

Viel verbales Marketinggeklingel, aber sie bekam eine schöne Portion mit einer etwas deplatziert wirkenden, riesigen Scheibe Tomate. Sie rieb sich trotzdem freudig die Hände: Nach zwei Wochen öde gewordener immer gleicher istrischer Küche, ist der erste ordentliche Schweinsbraten in einem oberbayerischen Wirtshaus doch ein Grund zur Freude, oder?

copyright 2015 Robert Bock
Mir hingegen war nach einem Schnitzel Wiener Art mit Kartoffelsalat und Preiselbeeren für ebenfalls 10,50 EUR.

Beide hatten wir an der Qualität des Fleisches nichts auszusetzen: Schweinsbraten prima, das Schweineschnitzel von ordentlicher Dicke, zart, saftig und geschmacklich ausgezeichnet, die Panade knusprig, wellig, genau richtig in tiefem Fett in der Pfanne, wie ich vermute, gebraten - leider nicht in Butterschmalz, sondern in Pflanzenöl. Die alte Unsitte, die sich wohl nur langsam wird ausrotten lassen.
Vom geschmacklichen wie gesundheitlichen Standpunkt her, sind Butter- oder Schweineschmalz den geschmacksneutralen Pflanzenölen (Raps-, Sonnenblumen-, Erdnuss-, Sojaöl,... Ausnahmen: Kokos- und Olivenöl) mit ihrem massiv hohen Anteil entzündungsfördernder Omega-6-Fettsäuren, die bei hohen Temperaturen zudem zu schädlichen Trans Fetten degenerieren können, überlegen. Mein Appell an alle mitlesenden Profiköche: Bereitet Eure Schnitzel, Backhendl etc. bitte in Butterschmalz zu: Eure Gäste werden sich die Finger nach Euren Gerichten ablecken!

Der Kartoffelsalat hatte für unseren Geschmack zu viel mittelscharfen Senf am Dressing - zudem keinen ausgesprochen wohlschmeckenden - und dieser drängte sich folglich stark in den Vordergrund. Bei unserer letzten Einkehr hier im Juni, aßen Madame und ich Fleischpflanzerl mit Bratensauce (hervorragend!) - damals war der Kartoffelsalat dazu perfekt. Wir werten die zu hohe Senfzugabe von daher als "Betriebsunfall" und nicht als systematischen Fehler.

copyright 2015 Robert Bock
Auf der Karte finden sich leider die - unseres Erachtens - üblichen "kulinarischen Kardinalsünden" wie Putensteaks auf dem Salat - hier weingstens nicht in Streifen ausgelobt. Wird Pute in Bio-Qualität aus artgerechter Haltung verarbeitet ist das für uns persönlich ok - wird es aber unserer persönlichen Erfahung nach (den Service fragen ...) in den seltensten Fällen. Um den widerwärtigen Auswüchsen der Massentierhaltung wirkungsvoll zu begegnen, müssen Gastronomie und Verbraucher ihre Einstellung und ihr Verhalten ändern. Solange Putenfleisch aus konventioneller Produktion viel zu häufig als Schwamm für obskure Cocktails aus Antibiotika und anderem Dreck auffällt, sollte man meiner Meinung nach darauf verzichten und sehr gezielt anständig erzeugtes Fleisch einkaufen, wenn es denn unbedingt Pute sein muss.

"Gestreift" ist in der Feldwies die Hähnchenbrust (Thematik nahezu analog wie bei der Pute) auf dem "Ladysalat". Ob dieser das Übersee-er Pendant zum Frauenparkplatz darstellt und ich ihn als Mann nicht bestellen darf?  Für einen Wimpernschlag fühle ich mich als Mann diskriminiert und vermisse ebenso lang eine Gentleman-Alternative  auf der Salatkarte.

Zu den Getränken: Mein Radler (3,10 EUR) war ausgezeichnet. Madame beging einmal mehr ihren klassischen Fehler und bestellte in einem bayerischen Biergarten einen Weißwein. Ein Grüner Veltliner aus Niederösterreich diesmal (0,25 Liter zu 3,90 EUR) - der war nicht von erwähnenswerter Qualität und an diesem heißen Sommertag a priori schon zu warm temperiert an den Tisch geliefert worden. Vorschlag: Man schaffe sich kleine Weinkühler für die Karaffen an - schon wäre das Problem befriedigend gelöst.

Das leidige Thema Wein: entweder g'scheit oder gar ned, ist diesbezüglich unser Standpunkt. Italienische und französische Weine braucht unseres Erachtens in einem bayerischen Wirtshaus so lange niemand, solange aus Bayern/Unterfranken ausgezeichnete Weine beschafft werden können. Die Niederösterreicher auf der Getränkekarte sind diesbezüglich gerade so akzeptabel, leider war der erwähnte Grüne Veltliner, der Madame kredenzt wurde, von unterdurchschnittlicher Güte und unzureichend temperiert. Möglicherweise ist ein Aktionär der Feldwies lokaler Weinhändler mit verkümmerten Heimatbewußtsein und fehlenden Kontakten nach Mainfranken?

An den Details erkennt man die Schlüssigkeit eines gastronomischen Konzeptes: Hier wird unserer Meinung nach geschludert. Zudem: Im Juni hatten wir diese italienischen und französischen Weine gekostet: Sie lieferten keine stichhaltigen Argumente gegen unsere These ... Kann oder will man Wein nicht halbwegs kompetent servieren, dann sollte man ihn meines Erachtens lieber komplett von der Karte nehmen. Der Chiemgau ist Bierland - das sollen Preissn und frühpensionierte Musiklehrerinnen dann eben auf die harte Tour kapieren ... Lieber so, als einen Weinfreund verprellen. Ein lauwarmes, abgestandenes Bier würde jeder Baier von innerer Größe nicht akzeptieren - warum solch lieblos behandelten Rebensaft?

Mit welcher Begründung - außer dem Abfischen überschüssiger Liquidität des Gastes? - für einen durchschnittlichen Espresso 2,20 EUR in Rechnung gestellt werden, bedarf unseres Erachtens eingehender Erläuterung. Jeder Preis, der in einem Wirtshaus wie der Feldwies 1,50 EUR übersteigt, ist unserem Empfinden nach unanständig. Das generelle Preisniveau der Feldwies ist - um keinen schiefen Eindruck zu vermitteln - ansonsten anständig und der gebotenen Qualität und Portionsgröße angemessen.

Fazit: Trotz kleinerer Schwächen: D'Feldwies ist für uns persönlich am Chiemsee eine gute Adresse für eine Einkehr, denn wir haben in der Gegend schon wesentlich schlechtere Erfahrungen gemacht.

Konzentriert man sich als Gast auf ihre bayerischen Kernkompetenzgerichte und trinkt ein gepflegtes Bier, statt eines Weines, ist man unserer selbstverständlich nicht umfassenden persönlichen Erfahrung nach bestens bedient und wir können einen Besuch des Gasthauses unter diesen Vorzeichen bedenkenlos empfehlen.

Geöffnet ist von 10-24 Uhr, kein Ruhetag. Durchgehend warme Küche von 11:30-22:00 Uhr.


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