Sonntag, 24. April 2016

Christoph Hammel: Der wiedergeborene Hermann Müller-Thurgau und seine Mission

Würdet Ihr diesem Mann eine Flasche Müller-Thurgau abkaufen?

Heute geht es ausnahmsweise mal nicht ums Essen - heute geht es um dessen Begleitung. Um den Müller-Thurgau: Einen Weißwein, der durch lieblosen, primär auf Quantität, weniger auf Qualität zielenden Umgang in Weinberg und Keller gewaltig an Reputation verloren hat.

Wie: Kein Riesling, kein Burgunder oder Chardonnay? Ausgerechnet um Müller- Thurgau soll sich's drehen? Muss das wirklich sein ...?

So tief in ihrem Ansehen sind die Weine der von Hermann Müller-Thurgau aus dem Schweizer Kanton Thurgau 1882 im Rheingau, genauer: in Geisenheim aus Riesling und Madeleine Royale gekreuzte Rebsorte gesunken, dass die wenigsten Weinenthusiasten - zu denen ich mich, anders als zu den Weinkennern zähle - auch nur eine Augenbraue lüpfen, wenn ihnen ein Gläschen dieses Weines angeboten wird. Im Gegenteil: rasch ziehen viele ihr Degustationsglas zurück, auf dass es nicht versehentlich davon benetzt werde ...

Zechwein in Literflaschen, ausgelobt als gefällig und unkompliziert (schlimmer ist nur noch das Versprechen, es handle sich um einen Terrassenwein); wo anders als unten im Regal des Discounters, sofern man sich dort überhaupt die Mühe gemacht hat, sie aus den bunten Kartons zu holen, ist er zu finden: so malt sich der Wein-Wissende das aus, denkt er an einen typischen "M-Th": Unter vier, was sag ich: unter drei Euro der Liter, ideal gegen abstehende Hemden, weil er so sauer ist, dass es einem die Arschbacken zusammenzieht, und aromatisch niedrigstmöglich dimensioniert. Oder aber halbtrocken, pappig, flach und gerade gut genug, sich einen anstrengenden Arbeitstag ex post halbwegs schön und lebenswert zu trinken. Warum also ausgerechnet Müller-Thurgau?
von Robert Bock

Neulich in Geisenheim, dem Geburtsort der Müller-Thurgau-Rebe
Ich persönlich habe eine große Schwäche für den Müller-Thurgau und ich weiß auch warum: Es gibt mittlerweile nämlich wieder ein paar Winzer, die sich das "Projekt M-Th" zu ihrer persönlichen Herausforderung erkoren haben.

Das müssen Menschen sein, denen der Mainstream - auf Deutsch gesagt - am Allerwertesten vorbeigeht, weil sie einen eigenen, einen Charakterkopf besitzen und ihr Fähnchen nicht in jedes laue Modelüftchen halten, die an Traditionen festhalten, weil sie vom Herzen her wissen, dass sie des Bewahrens wert sind.


Hermann Müller-Thurgau (1850-1927)
In Franken bin ich auf eine Handvoll dieser eigenwilligen Persönlichkeiten gestoßen: Die Meintzingers in Frickenhausen, Georg Zang in Sommerach, der sich gar an Spätlesen dieser Rebe traut - nicht zu vergessen Thomas Braun aus Fahr und die Burrleins aus Mainstockheim. Höchstwahrscheinlich gibt es derer noch mehr - für Tipps bin ich jederzeit dankbar und offen.

Auch hier, in Regensburg, im Stadtteil Oberwinzer, belegt das Hobbywinzerehepaar Merkl, dass sie einen ausgesprochen filigranen, facettenreichen Müller-Thurgau auf ihre wenigen Flaschen zu ziehen in der Lage sind. Da werden Träume wild: Der Baierwein, welches Dorado dämmert hier seinen Dornröschenschlaf!

Sie alle beweisen ein Händchen für die belächelte Rebe, sie alle scheinen von der Überzeugung beseelt, dass gerade im Vielgeschmähten Großes schlummert.

Südtirol konfrontierte mich mit dem glatten Gegenteil: Müller-Thurgaus in schicken Flaschen und aus noch schickeren Vinotheken wie jene in Kaltern am See, Tramin und Nals-Margreid braucht in dieser Form kein Mensch. Schade um die verschwendeten Ressourcen ... Die Plörre in Rivaner umzutaufen, um den Laien hinters Licht zu führen, verändert nicht den schalen, sauren, toten Inhalt mancher Flasche. Nur mit dem Herzen sehe man gut, sagt der kleine Prinz im berühmten Buch von Antoine de Saint-Exupéry. Wer kein Herz für diese Rebe hat, den wird sie offensichtlich nicht belohnen.

Christoph Hammel vom Weingut Hammel & Cie. aus Kirchheim/Weinstraße in der Pfalz, sieht nicht nur aus wie der wiedergeborene Hermann Müller-Thurgau, er ist nun auch der erste Winzer aus der Pfalz, der mir einen M-Th ins Glas gewidmet hat, der rundum überzeugt, ja, der begeistert! Nicht nur mich, nein auch Madame. Wobei sie sich von der bombastischen Aromatik und mineralischen Wucht an Nase, Zunge und Gaumen vom 2015er schon beinahe erschlagen wähnt. Ehrlich gesagt: Man erwartet so ein Feuerwerk nicht, wenn man eine Flasche Müller-Thurgau köpft. Weshalb auch, und selbst wir nicht, die wir keine Gelegenheit auslassen, wenn es darum geht, das Müller-Thurgau-Universum zu erforschen.

Große Tradition steht auf der schlanken, gestalterisch überaus geglückten Flasche - die Reben wurzeln seit bald 70 Jahren in der Pfälzer Erde der Lage "Mühlheimer Hochgericht" und der Wein lagert in einem Fass aus Pfälzer Eiche, das der Urgroßvater von Christoph Hammel einst im heimischen Buntsandsteinkeller aufgestellt hat. Die Hammels bauen seit 1732 Wein an. Acht Generationen. Wenn das keine Tradition ist, was ist Tradition dann?

Ich kenne diesen Charakterkopf im besten Sinne leider (noch) nicht persönlich. In einer Diskussionsgruppe von Wein-Liebhabern in Facebook stießen wir zufällig aufeinander.

Ich hatte eine Verkostungsnotiz zu einem konkreten Müller-Thurgau 2014 aus Kaltern am See gepostet, was prompt einige Südtirolwein-Fans dieser Gruppe auf die Palme brachte. Warum kann man sich denken: Sie fiel nicht sonderlich schmeichelhaft für den Erzeuger aus. Meiner Ansicht nach völlig zurecht, weil mich diese ausgemergelte saure Plörre auf die Palme gebracht hatte. Wer versaut sich schon gerne für hart erarbeitetes Geld den Abend? Ihr etwa? Kein Weinfreund jedoch mag es, wenn man seine Lieblingtströpfchen geringschätzt, es ist nicht anders als bei der Diskussion um den Lieblingsfußballverein ...

Christoph sah die Sache im Grundsatz ähnlich wie ich: Auch seine Erfahrungen in jüngerer Zeit mit M-Th's von südlich des Brenners seien durchwachsen ausgefallen. Er finde das schade, schrieb er, finde, es stecke mehr in dieser Rebsorte, als man ihr gemeinhin zuzubilligen bereit sei. Er liebe diese Rebe und habe sich in hitzigen Diskussionen im eigenen Weingut durchgesetzt, dem Müller-Thurgau seinen Platz im Sortiment zu lassen, an ihm zu schrauben und zu basteln: schauen, was geht ... Das gefällt mir.

Er bot mir an, mir ein Fläschchen seiner Interpretation des M-Th zu Probierkonditionen zukommen zu lassen. Auf die sei er stolz, weil sie zeige, was ginge ... Schon war ich angefixt. Klar ist Christoph ein guter Verkäufer seiner Sache, wie seiner Weine! Ich ziehe meinen Hut vor seinem rundum professionellen Marketing-Auftritt. Auch sein Rauschebart, die gezielte optische Nähe zum großen Rebenzüchter Müller-Thurgau passen ins Konzept; nichts, aber auch gar nichts scheint mir dem Zufall geschuldet ...

Ich schrieb ihm klipp und klar: Er gehe das Risiko ein, dass ich seinen M-Th verreissen würde, wenn er den Erwartungen nicht entsprechen würde, die er in mir geweckt habe. Kein Problem, meinte er, damit müsse er leben und schließlich könne man es nicht jedem Recht machen. Wir einigten uns auf je ein Fläschchen M-Th, Scheurebe und Sauvignon. Ich würde den Wein, zum normalen Listenpreis bezahlen und Christoph den Versand auf seine Rechnung nehmen, der ansonsten erst ab 12 Flaschen kostenlos sei. Soll ich vorab überweisen? Nein, Rechnung liege der Sendung bei, ich solle überweisen, wenn ich zur Bank gehe - Baiern seien ehrliche Leut', meint er. Virtuell die Hand auf den Deal und gesagt getan ... Zwei Tage später klingelt der kackbraun gewandete UPS-Mann und hat einen Karton für mich im Arm.

Schreiten wir also zu unserer Verkostungsnotiz: 

9,50 EUR kostet das Fläschchen mit 0,75L Inhalt. Das ist viel für einen Müller-Thurgau, aber das ist das Tröpfchen durchaus wert.

Im Glas - einem Weißweinkelch aus Spiegelau - zeigt sich der 2015er von hellem Gelb, fast von der Farbe weißer Gummibärchen. In der Nase enfaltet sich mit steigender Temperatur des Glasinhaltes ein Kaleidoskop von überraschend vielschichtigen Aromen: Zunächst weiße Blüten (Holunder etwa), Grapefruit und Limetten, im Lauf der Zeit gesellen sich Banane, Äpfel, Sternfurcht und eine Eisbonbonnote hinzu, die an eine Scheurebe erinnert. Großes Kino für die Nase. Kenn ich ansonsten höchstens von einem erstklassigen Riesling oder Rieslaner.

An Zunge und Gaumen sind es zunächst nicht die Aromen selbst, sondern die Art und Weise ihrer Entfaltung, die in ihren Bann ziehen: Der Wein rollt sich auf der Zunge aus wie ein Handtuch auf der Liege eines Swimmingpools an einem noch kühlen Sommermorgen: An der Zungenspitze tut sich zunächst wenig, je näher der Wein dem hinteren Drittel der Zunge und dem Gaumen kommt, um so entschlossener packt er zu.

Wie saftig, mundfüllend und speichelflussanregend kann ein M-Th nur sein? Mineralisch ist er, ja. Man möchte meinen, man lutsche an einem Brocken Kalk oder Gips. Die sortentypischen gelben Äpfel spielen interessanterweise keine Hauptrolle in Christoph Hammels Orchestrierung: Ananas, weiße Pfirsiche, reife Mispeln, leises "Pfefferl", erinnernd an einen Grünen Veltliner und wenn er wärmer wird, klopft reife Stachelbeere an ... Und dieses feinperlige Moussieren, beinahe ein Kitzeln ... Dieser Wein macht Spaß. Er ist noch jung, gib ihm ein Jährchen Zeit, dann dürfte er zu noch beeindruckenderer Form auflaufen.

Christoph Hammels Müller-Thurgau hat das Zeug zum Mahnmal und Vorbild: Seht her, ihr lustlosen und uninspirierten Winzer dieser Welt, die ihr diese wunderbare Rebsorte so stiefmütterlich behandelt: So geht das! So geil kann ein Müller-Thurgau verdammt nochmal schmecken! Hängt Euch rein, beweist der Welt, dass niemand einen Chardonnay zu trinken braucht, der nach nicht viel mehr als nach dem Boden schmeckt, auf dem er gewachsen ist, wenn es auch einen Müller-Thurgau auf der Weinkarte gibt. Wie? Ihr mögt ohnehin viel lieber Chablis als Chardonnay? Madame! Wo ist mein Schreikissen !?

Spaß beiseite: Aus einem hässlichen Entlein kann ein stolzer Schwan werden. Christoph Hammel und ein paar wenige seiner Kollegen haben bewiesen, dass es geht!

2 Kommentare:

  1. Unbedingt auch seine Scheurebe verkosten...!

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    1. Schon geschehen:

      2015er Scheurebe trocken | Kirchheimer Steinacker | Weingut Hammel & Cie. | Kirchheim a.d. Weinstraße | 6,95 EUR/0,75L

      Im Glas: Hell, Akazienhoniggelb, sanfte Perlage.

      In der Nase: Ananas, Honig, weiße Johannisbeeren, reife Abate-Fetel-Birnen, weißer Pfirsich, Drachenfrucht (Cherimoya); blumig - nahe am Eindruck eines klassischen Rielsing Kabinett; auch einem gelungenen M-Th zum Verwechseln ähnlich.

      An Zunge und Gaumen: bei 6 Grad: grüne Äpfel (Granny Smith), grüne Paprika, Öl von grünen Limetten; wird er wärmer: Mango, Papaya, Ananas. Sehr mineralisch, moussierend im vorderen Drittel der Zunge, blumiger Abgang. Die sortentypische Eisbonbon-Note fehlt nahezu gänzlich. Wird der Wein zu warm, verliert er an Charme, wirkt zunehmend alkoholisch (13%) und eher träge: Gut, aber nicht zu tief kühlen. Sehr enge Spannweite optimaler Trinktemperatur; wenn diese getroffen wird, allerdings ein großes Vergnügen.

      Fazit: Sehr interressanter, da nicht unbedingt typischer Scheu. Bei einem Blindtest hätte ich vermutlich auf einen Riesling Kabinett getippt. Die Bouquettraube tritt gegenüber dem Riesling als Kreuzungselternpartner eher in den Hintergrund.
      Feiner Tropfen zu hellem Fleisch, Geflügel und kräftigem Fisch wie Waller oder Thun. Süffig; trinkt sich leer wie nix ...

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