Dienstag, 5. März 2019

Hummelissimo!

Heut ist Stefan Hummel fällig! Heut schau mer mal, was die Fine-Dining-Abteilung des Gasthaus Hummel auf dem Kasten hat ...

Drei Jahren ist es schon her, da habe ich mich zuletzt auf den Weg nach Wischenhofen gemacht. An einem Sonntagmittag. Im großen Saal habe ich damals hervorragend gemachte bairische Traditionsküche genossen.

Vorgenommen hatte ich mir bereits damals, irgendwann auch den innenarchitektonisch schicken, räumlich abgegrenzten "Feinschmeckerbereich" des Traditionsgasthauses auf einem Hügel über dem Naabtal, eine halbe Stunde Fahrt von Regensburg entfernt, nordwestlich gelegen, zu besuchen. Dass es so lange gedauert hat, dies in die Tat umzusetzen, bedauere ich nach dem heutigen Abend. Ohne vorab zu viel zu verraten: So gut habe ich selten gegessen ...
von Robert Bock


Links neben dem Eingang prangt das rote Schild des Guide Michelin mit Teller und Besteck. Das kenne ich von meinem Erstbesuch her noch nicht.

Vorbei am großen Fenster, wo ich Stefan Hummel und seinen Beikoch Michi (storstaderfahren) in ihrer blitzblank strahlenden Küche konzentriert werkeln sehe, stehen wir im Foyer. Keine zwei Sekunden vergehen und Hausherrin Stefanie Hummel höchstpersönlich nimmt meine Begleiterin und mich herzlich in Empfang, nimmt uns die Garderobe ab und verströmt dabei mit jeder Faser Gastlichkeit.

Stefanie Hummel wird uns und die Gäste an zwei weiteren Tischen an diesem Abend bedienen. Stets präsent, stets hochprofessionell, nicht steckensteif, sondern locker-lässig, gut gelaunt und, vor allen Dingen, in jeder Situation unumschränkte Herrin der Lage ist die zierliche junge Frau, nie um eine kompetente Antwort verlegen, wenn ein interessierter Gast ihr eine Frage zu den aufgetragenen Speisen stellt.

Selten ist mir bislang so bewußt geworden, wie wichtig und entscheidend es für das Erleben des Service sein kann, dass der Service persönlich zu 100% hinter Küche und Konzept steht, weil er das Leitbild des Lokals in personam verkörpert, selten auch gepaart mit offensichtlich präsenter Kochkompetenz was Ingredienzien und Zubereitungstechnik der servierten Speisen angeht.

Wie jeder Metzger ohne eine Metzgersgattin mit Feuer und Seele untergehen muss, so ist dies, dünkt mir, auch im Falle ambitionierter Köche. Kreative Spitzenleistung gedeiht im Windschatten eines freien Rückens, den eine Partnerin - im besten Sinne dieses Wortes verstanden - spenden können muss. Die mit mir befreundeten, mitlesenden Köche, die dies angeht, werden diese wohlmeinenden Zeilen hoffentlich auf sich beziehen und sich zu Herzen nehmen ...

Stefan Hummel, der in seinen Lehr- und Wanderjahren Station im Landhaus Feckl bei Stuttgart und im Restaurant Falconera am Bodensee (beide jeweils 1 Michelin-Stern und aktuell 17/20 Punkte im Gault&Millau) gemacht hat, hat, sagt mir mein Bauchgefühl, mit seiner Stefanie ein großes Los gezogen. Erlebt man beide gemeinsam, so wie ich am Ende dieses Abends, spürt man: Stefan und Stefanie lieben sich und passen hervorragend zusammen. Ideale Vorraussetzungen um beruflich gemeinsam Großes auf die Beine zu stellen.

Wir nehmen Platz mit Blick auf den Kamin in dem die Flammen züngelnd große Scheite Holz verzehren. Als wir vier kulinarisch beeindruckende Stunden später wieder aufbrechen, glimmt leise noch die Glut. Und wir sind mehr als nur satt und zufrieden. Vokabeln wie geflasht, begeistert und emotional berührt fassen unser beider persönliches kulinarisches Gesamterleben halbwegs angemessen zusammen.

Doch jetzt der Reihe nach:

Wir entscheiden uns für das 5-Gänge Menü zu 75 Euro pro Person. Das kann sich der Gast nach gusto aus vier Vor-/Zwischengängen und je zwei Haupt- und Dessertgängen individuell zusammenstellen.  Wer kein Desserttyp ist, nimmt eben vier Vor-/Zwischengänge. Dieses Konzept gefällt mir.

Die Weinkarte ist übersichtlich, in ihrer Zusammenstellung vorbildlich und nicht überbordend, aber ausreichend ausformuliert: Erstens viele offene Weine, die eine individuell auf jeden Gang abgestimmte Weinbegleitung ermöglichen und zweitens eine schöne Auswahl von Flaschenweinen und alles so bepreist, dass der Gast sich freut. Franken, das so nahe liegt und momentan die, nicht nur meiner Meinung nach, spannendste deutsche Weinbauregion ist, kommt mir persönlich zu kurz.

Wir wählen als Menübegleitung eine Flasche Riesling aus dem Weinviertel für 18 Euro. Eine gute Wahl, die mit nahezu allen Gängen harmoniert, auch weil der Österreicher bei rebsortentypischer Säure mit jeder Menge Körper, Zitrusfrucht und kräutrig-vegetabilen Noten punktet.

Ofenwarmes Brot mit dreierlei Aufstrich eröffnen den Abend solide, aber vergleichsweise unspektakulär: Pesto, Salzbutter und Guacamole, die beiden Letzteren verziert mit farblich wie geschmacklich schönen Microgreens, die Guacamole, mir persönlich einen Hauch zu salzig, hätte einen Spritzer mehr Limette vertragen.

Es folgt ein Gruß aus der Küche: Tatar vom Rind, eingelegte Sardelle, Wachtel-Spiegelei, marinierte Petersilienwurzel, Brotchip und ein Sößchen, das herb-säuerlich perfekt mit dem Ensemble harmoniert.

Jede andere kondensierte Beschreibung als großartig wäre untertrieben. Dieser Küchengruß eröffnet, ex post betrachtet, vielerlei Ausblick auf das, was folgen wird.

Des Gastes Gaumen kitzeln, ihn in Spannung und Vorfreude versetzen - das ist Sinn und Zweck eines solchen Starters oder Apero, wie man neumodisch dazu sagt. Weshalb?! Weil sich mancher Speisekartenschiller der Schreibweise Amuse-Gueule nicht sicher ist ...?

Der erste Gang zählt zum Besten, das mir je serviert wurde: Saibling mit Fenchel und Zitrusfrüchten.

Optisch wie geschmacklich phänomenal ersonnen und umgesetzt, die verwendeten Produkte von unbestechlicher Qualität und der Umgang mit ihnen meisterlich.

Sowohl den Saibling, als auch den Fenchel hat Stefan Hummel in je zweierlei  unterschiedlichen Varianten zubereitet. Der Fenchel taucht in Form angerösteter Saat und buschigem Grün zudem als Partner des Fisches auf. Der Fisch einmal "graved", einmal als rohes Tatar. Rosa Grapefruit, geflammte Pomelo und obendrein ein hinreissend mit dem draunterliegenden Salat von Fenchelbrunoise harmonierender Kegel aus Joghurtmousse. Chapeau, ganz, ganz große Klasse!

Der zweite Gang fällt, relativ zum ersten, leider ein wenig ab: Gebackenes Ei auf Trüffelrisotto.

Das Ei in seiner knusprigen Panko-Kruste ist im Kern wunderschön cremig-flüssig, aber zeugt leider von Verliebtheit des Kochs in seine Gemahlin. Stefanie Hummel nimmt  diesen Kritikpunkt - ihr meinerseits so beim Abtragen übermittelt - mit einem lachenden und einem weinenden Auge auf, jedenfalls aber souverän mit in die Küche.

Der Risotto ist mir persönlich eine 3-Minuten-Spur zu bissfest, die warme Hollandaise (oder ist es eine Sauce Mousseline?), der nature gegarte Stangensellerie und reichlich duftende Trüffelspäne entschädigen jedoch für diese handwerklichen Schwächen. Nicht zu vergessen: Immer wieder, Gang für Gang, kongenial zum Rest passende Microgreens. Großartig und stets aufs Neue verblüffend, wieviel Freude diese unscheinbaren Deko-Elemente bereiten!

Rehrücken mit Kräutersaitling und Birne. Klingt klassisch, schmeckt bombastisch! Serviert im cremeweißen, heißen Suppenteller. Das Reh ist perfekt gebraten, hocharomatisch und zart.

Dezent-süße Birne und tiefviolette, warme Holunderbeerensauce ergänzen sich hervorragend mit den einerseits gebratenen und andererseits als Füllung einer Teigtasche verarbeiteten Pilzen und dem Reh. Hier blitzt sie wieder auf, die hohe Kunst des Stefan Hummel, auf einem Teller ein Produkt in unterschiedlichen, spannenden Variationen umzusetzen. Wunderbar!

Ich habe mich im Hauptgang für Seezunge und Garnele mit lila Kartoffel entschieden. Den charmant in Zitrusfruchtsaft gebadete Chicoree hat die Karte unterschlagen, obschon ich ihn als ein Highlight dieses Tellers betrachte. Ebenso den grünen Spargel - gedünstet und als indisches im Pakorastil herausfrittiertes Geäst.

Wie der Spargel, tritt auch der Kohlrabi in mehrfacher Umsetzung in Erscheinung: Als Salat zu Julienne gehobel und als Batonnet gedünstet. Auch die lila Kartofffel tritt doppelt auf: als Püree und als Chips. Garnele und Seezunge sind perfekt gegart, aber in Relation zum bisher Erlebten unspektakulär, zudem hat die Seezunge eine Spur zu viel Natriumchlorid gesehen. Ja,ja: Stefan Hummels Verliebtheit ...

Der Hauptgang meiner Begleiterin - ich durfte kosten - gefällt mir besser (the gras is always greener on the other side of the fence):

Entenbrust, Thaicurry-Style mit Kimchi. Ein wahres Feuerwerk an optischen, olfaktorischen und geschmacklichen Eindrücken. Die Entenbrust ist unendlich zart, die eingeritzte Haut knusprig und aromatisch. Der Kimchi ist mit seiner wohldosierten Schärfe eine schöne Begleitung dieses in sich mutig komponierten und stimmigen Gerichts, das bissfeste Kohlgemüse und der gepoppte Reis sorgen für den gewissen Crunch ohne den ein Curry anderswo leider allzuoft Gefahr läuft, den Charakter von Altersheimküche anzunehmen.

Unverhofft beglückt uns Stefanie Hummel mit einem weiteren Gruß aus der Küche: Ziegenkäse mit Rosmarin von der Biokäserei Wohlfahrt mit Variationen von der roten Beete - eine abgespeckte Variante der Dessertalternative, für die wir beide uns nicht entschieden hatten. Wie schön, dass wir dieses großartige Ensemble kosten durften, offenbart es doch wie unumstritten meisterhaft Stefan Hummel mit - auf den ersten Blick - banalen Lebensmitteln vom Schlage Roter Beete umzugehen versteht.

Ja, eine geschmackliche Offenbarung ist dieses Kleinod von Küchengruß, ein Tellerchen, das mir - wie der erste Gang von Saibling, Fenchel und Zitrusfrüchten  und auch das abschließende Dessert lange in Erinnerung bleiben wird: Rote Beete als erdiges Sorbet, klassisch-europäischer Salat mit deutlicher Säure und als knuspriges Papadam, flankiert von einem säuerlich-süßen großartigen Cassis-Schaum. Der wiederum erinnert mich an meinen Erstbesuch und hat mich damals schon begeistert. Der Käse ist prima, aber hier Nebensache, die Beete ist der Hauptdarsteller und Stefan Hummel ein Regisseur, der sämtliche ihr innewohnenden Facetten auf einem Tellerchen so differenziert herausarbeitet wie Auguste Rodin dereinst den Kuss aus pentelischem Marmor.

Unser beider Dessert treibt Stefan Hummels Kunstfertgkeit, aus einem unscheinbaren Lebensmittel zu kitzeln, was zu kitzeln ist, auf die Spitze: Granny Smith und Karamell.

Meine Begleiterin mag sich vor lauter Ohhhs, Ahhhs und Mhhhs gar nicht mehr beruhigen; viel fehlt nicht und es kullerten ihr Tränen über die Wangen, so beglückt sie das süße Finale des Menüs. Gar holt sie sich beim Abtragen der Teller die Erlaubnis von Stefanie Hummel ein, den Koch für dieses Dessert küssen  zu dürfen - und setzt ihr Ansinnen tatsächlich beim Abschied - im Beisein von dessen Gattin versteht sich - in die Tat um.

Eine bessere Crème brulée hab ich noch nie gegessen, die Brocken von karamellisierter weißer Schokolade (BÄNG!) und natürlich der Granny Smith in sagenhaft facettenreicher Interpretation ergänzen sich zu einem denkwürdigen Finale. Kann man das besser machen? Nein!

Ein hervorragender Espresso beschließt, begleitet von sagenhaften, zur Faschingszeit passenden, auf der Zunge schmelzenden, warmen kleinen Krapfen, die herrlich nach Nüssen und Marzipan schmecken, den Abend.

Einen kulinarisch großartigen Abend! Ich durfte hohe Küchenkunst erleben: Spitzenprodukte, Regionalität, Saisonalität, kreativer und handwerklich meisterlicher Umgang mit den Lebensmitteln, klare kompositorische Linie in jedem Gang für sich gesehen und in ihrer Abfolge.

Klare, individuelle Handschrift des Kochs obendrein: Da weiß einer, was er tut, treibt nicht alle vier Wochen eine neue Sau durchs Dorf; kombiniert klassische französische Küche mit modernen Strömungen und mediterranen und asiatischen Einsprengseln mit Fingerspitzengefühl und Können.

Das alles genoss ich in stilvollem Ambiente, auf schlichtem, zeitlos-schönem Geschirr, guten Weingläsern mit einem Service erster Güte zu einem fairen Preis.

Der Guide Michelin attestiert dem Gasthaus Hummel in seiner aktuellen Onlineausgabe "eine Küche mit guter Qualität. Qualitätsprodukte, fachkundig zubereitet: einfach ein gutes Essen!" Spektakulär klingt dies nicht, allenfalls, na, sagen wir: solide. Nach meinem Dafürhalten ist diese Bewertung des Gasthaus Hummel durch den Guide Michelin eine glatte Frechheit. Sie ist für den klassisch-bairischen Teil des Lokals zutreffend, nicht ansatzweise aber für dessen Fine-Dining-Bereich.

Ich persönlich - aber mein Urteil ist niemandes Referenz! - würde fürs Fine-Dining sogar die adelnde Auszeichnung Bib Gourmand für untertrieben halten: Die Küche des Fine-Dining-Bereichs des Gasthauses Hummel in Wischenhofen hat an diesem Abend auf dem Niveau eines Sterns und 15-16 Punkten im Gault Millau gekocht. Weder braucht sie mit dem Gezeigten den Vergleich mit Anton Schmaus' Küche im Storstad, noch mit der eines Mathias Achatz scheuen. Knapp hinter dessen spektakulärer Küche im Restaurant Buchner in Welchenberg sortiere ich Stefan Hummels Küche in meinem unmaßgeblichen persönlichen Universum ostbayerischer Spitzenrestaurants an zweiter Stelle ein.

An sich überflüssig zu erwähnen, verbinde ich diesen Bericht abschließend mit einer uneingeschränkten Empfehlung, Familie Hummel bald einen Besuch abzustatten.

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