Mittwoch, 5. August 2020

Lunchen in Würzburg: Im Herzog sechs

In Würzburgs schöner Altstadt, genau gesagt in der Herzogenstraße 6, hat, kurz bevor dieser verdammte Virus unser aller Leben mächtig durcheinanderzuwirbeln begann, ein neues Restaurant namens Herzog sechs eröffnet.

Michael Wirth gehört das Lokal und er hat sich für sein Projekt einer Café-Restaurant-Bar eine illustre junge, hochmotivierte Küchenbrigade geangelt.

Die hatte sich - an anderer Wirkungstätte im Restaurant Wiener Dog in Veitshöchheim - zuletzt 15 hervorragende Punkte im Gault&Millau erkocht.

Stephan Jamm heißt der Küchenchef, der die junge Truppe um Peter Bauer und Kevin Kusterer anführt. Ich zähle den Koch aus dem mittelfränkischen Bullenheim zu den größten Talenten am Herd, die Deutschlands Gastronomie vorzuweisen hat und bin mir sicher, man wird noch viel von ihm hören.

Geschlossen haben sie Ende 2019 dem zu Flyeralarm gehörendem Wiener Dog den Rücken gekehrt und sich der Herzogenstraße Hausnummer 6 in Würzburg zugewendet. Dort war aber an ein sofortiges Loslegen nicht zu denken, dort war zunächst eine grundlegende Renovierung und Modernisierung fällig.

Alle, inklusive Inhaber, haben in die Hände gespuckt und ein zur Studentenstadt stilistisch passendes Schmuckstück geschaffen. Halb Würzburg war gespannt auf das Opening und das Herzog sechs avancierte binnen weniger Tage im Hochbetrieb zu einem Hotspot des guten Geschmacks in der altehrwürdigen Stadt am Main. Und dann kam das Virus, und dann kam der Lockdown, und dann, wie bei jedem von uns, die eher widerwillige Akzeptanz der normativen Kraft des Faktischen.
von Robert Bock
Michael Wirth hielt die hochkreative Truppe um Küchenchef Stephan Jamm zusammen, ja zerriss sich für sein Team, damit dieses - trotz fehlendem Umsatz seines Lokals - ein Auskommen in den ersten harten Wochen des kompletten Gastro-Lockdowns hatte.

Gemeinsam stand man die schweren Zeiten bis zur Lockerung des Corona-Regimes durch. Hat sich das Durchstehen der Leidenszeit gelohnt?

Ich war in der Gegend  und wollte mich vor Ort beim Lunch vergewissern: Entfachen Stephan Jamm und seine Brigade noch immer dieses kulinarische Funkeln und Glitzern, das ich beim AromiA-Festival 2019 erleben durfte?

Dort war ich nicht als Gast, sondern ging ich als rechte Hand an der Station von Spyridoula Kagiaoglou meinem Hobby nach. Im Line-up von Spitzenköchen wie Kolja Kleeberg, Benedikt Faust, Bernhard Reiser und Heiko Antoniewicz eine besondere Herausforderung und Freude. Schräg gegenüber unserer Station auf einem Ausflugsschiff, werkelte da dieser mir bis dahin gänzlich unbekannte Stephan Jamm ...

Sein Festivalbeitrag war damals mein persönlicher Flash des Abends, sein und seiner rechten Hand Peter Bauer sympathisches, kollegiales und bescheidenes Auftreten eine Wohltat. Der Griechin und mir war damals sofort klar und ist es noch heute: Da reift ein künftiger Sternekoch heran, einer von dem man noch viel hören, lesen und schmecken wird. Uns davon mit unserem Sensorium zu vergewissern, sind wir an einem heißen Freitag im Juli zum Mittagessen im Herzog sechs.

Tags zuvor haben Spyridoula und ich als mittlerweile eingespieltes Gourmetfestival-Team Seit' an Seit' mit Ludwig "Lucki" Maurer sowie den Sterneköchen Michael Ammon (Gasthaus Jakob, Perasdorf) und Fabian Denninger (Entenstuben, Nürnberg) das Grand Opening des Weinguts Meier Schmidt in Ulsenheim kulinarisch gerockt ... Heute wollen wir uns zur Erholung von diesem anstrengenden Vortag in Würzburg mal bedienen lassen.

Leider ist der Küchenchef heute nicht anwesend. Aushäusige Verpflichtungen. Schade. Sehr, sehr schade ... Wie gerne hätte ich wieder mal ein wenig mit Stephan gequatscht. Zuletzt war ich hier, da bogen die Modernisierungsarbeiten auf die Zielgerade ein, aber das Lokal war noch nicht eröffnet.

Kevin Kusterer (sein Vater Michael betreibt im nahen Karlstadt am Main ein formidables, gut sortiertes kleines Feinkostgeschäft namens Schmackofatz, dessen Besuch ich hiermit anrege) und Peter Bauer schmeissen den Laden heute in der hochmodern ausgestatteten Küche, die in das verwinkelte Kellergeschoss regelrecht hineingegossenen wurde.

Man könnte auch von einer Kombüse sprechen: So in etwa habe ich die Enge im Original U-Boot aus dem  Kinoklassiker "Das Boot" von Wolfgang Petersen in den Filmstudios in München-Geiselgasteig in Erinnerung. Wer in dieser Umgebung auf höchstem Niveau kocht, liebt seinen Beruf und weiß sich und seine Arbeitsabläufe hervorragend zu organisieren ...

Patron Michael Wirth und eine junge Dame, deren Namen ich leider vergaß zu erfragen, kümmern sich an Theke und im Service um die zahlreichen Gäste die im und an den Tischen vor dem Lokal sitzen. Sie haben in den Mittagsstunden alle Hände voll zu tun. Das freut uns. Noch verbieten die Corona-Spielregeln eine mögliche Vollauslastung des Raums. Jeder Gastronom muss mit allem, was er hat kämpfen, wenn er wirtschaftlich überleben will.

Abends bietet die Küchebrigade des Herzog sechs Fine-Dining auf hohem Niveau von wenigstens 15 Punkten im G&M, vormittags gediegenes Frühstück und Mittags eine kleine aber feine Lunch-Karte. Unkomplizierte, kreative leichte Küche zu Preisen, die sich jeder leisten kann. Frühstück, Kaffeetrinken, Mittagessen: Im Herzog sechs ist tagsüber alles möglich.

Wir bestellen hausgemachte Limonaden. Zur Auswahl stehen: Himbeer-Limette, Basilikum-Fenchel und Zitronenverbene-Ingwer. Wir werden sie im Laufe unseres Aufenthalts alle probieren.

Eine schmeckt besser, als die andere. Eine wunderbare Erfrischung für 3,90 Euro pro 0,3-Liter-Glas. Zutaten erster Qualität, nicht zu viel und nicht zu wenig Zucker. Genau so machen solche Limonaden richtig Freude und löschen an einem brütend heißen Tag wie diesem blendend den Durst.

Die Mittagskarte der Woche: Zwei Vorspeisen, drei Hauptgänge, ein Dessert. Mehr muss nicht sein, vor allem nicht, wenn alles so interessant klingt wie die offerierten Speisen ...

Wir beschließen uns zum Entrée eine Vorspeise zu teilen.

Grillgemüse mit gebratenen Garnelen und Feigendressing (11€).

Alle Zutaten sind von feinster Güte und wurden kompetent verarbeitet. Doch irgendetwas scheint mir persönlich nicht hundertprozentig rund zu sein ... Ist es die eher schlichte Präsentation, sind es die eher schwach ausgeprägten Röstaromen, die ich persönlich einem Grillgemüse abverlange? Ist es das mir persönlich eine Nuance zu säurelastige Feigendressing ...?

Preislich erschließt sich mir zudem die Differenz von 2 € in Relation zu unseren beide folgenden Hauptgerichten (9€) nicht. Die drei Garnelen können diesen ja wohl kaum verursacht haben.

Der Hauptgang schlägt an Genuss, Harmonie und Raffinesse so gut wie alles, was ich in letzter Zeit serviert bekam: Gegrillte Aubergine mit Gewürzjoghurt und Hummus.

Ein herausragend komponiertes Gericht, womöglich inspiriert von Starkoch Yotam Ottolenghi:


Hier sieht, riecht und schmeckt man die Handschrift und das Können des Küchenchefs, auch wenn er sein Talent zur filigranen Präsentation zum Lunch nicht auslebt wie am Abend. Hier aber muss meines Erachtens auch ein Unterschied sein. Lunch ist Lunch und Dinner ist Dinner. Punkt.

Die Aubergine ist perfekt gegaart, wundervoll aromatisch und fleischig. Vor allem: nicht vollgesogen mit Öl und damit gut verdaulich. Dem Hummus hätte ich persönlich ein wenig (mehr) Tahin oder ein, zwei Tropfen gerösteten Sesamöls gegönnt. Auch ein Spritzer mehr Zitronensaft hätte meinen ohnehin schon großen Genuss noch gesteigert. Das Olivenöl: duftig, geschmeidig, fruchtig: erste Güte. Überflüssig zu erwähnen, wer den Küchenchef mit seinem Olivenöl beliefert ... Es gibt nach meinem Dafürhalten bei aller persönlichen Voreingenommenheit kein besseres Olivenöl auf diesem Planeten als jenes der mir gegenüber speisenden Tegernheimer Olivenölqueen. Wenn so viele Spitzenköche damit arbeiten, hat das gute Gründe.

Die schonend und damit aromabewahrend getrockneten Scheiben verschiedener Sorten von Oliven sind ein großartiges Beiwerk, noch mehr die karamellisierten gerösteten Haselnüsse. Fantastisch! Der Gewürzjoghurt ist wundervoll orientalisch abgeschmeckt, Zitronenabrieb, Parmesanspäne, würzige Kräuterdeko ...  Kein Ding zu viel und keines zu wenig.

So sieht großer Genuss aus: Zutaten bester Qualität, kompetente Handwerkskunst, ein überragendes Talent die Harmonie im Koordinatenraum von salzig, süß, scharf , sauer, bitter und umami auszuloten und mit unterschiedlichen Texturen zu spielen.

Das beherrscht ein Stephan Jamm und seine Jungs haben seine kulinarische Sprache so verinnerlicht, dass sie sie selbst in dessen Abwesenheit umzusetzen beherrschen. Jederzeit würde ich diesen Hochgenuss für faire 9 Euro wieder bestellen und rate es jedem, es mir gleich zu tun, wenn er sich denn irgendwann nochmal auf der Karte des Herzog sechs findet. Einer wie Stephan Jamm platzt halt vor neuen Ideen, die der Realisierung harren und wiederholt sich deshalb ungern. Wer selbst gerne kreativ kocht, weiß, was ich meine ... Aber fragen kostet ja nichts.

Dem Herzog sechs in der Herzogenstraße 6 in Würzburg spreche ich eine uneingeschränkte Empfehlung aus. Ich freue mich darauf, dort irgendwann auch am Abend ein Menü zu genießen. Sobald geschehen, werde ich berichten.


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