Betreffenden sei angeraten, rund 110 Kilometer Strecke straight nach Norden, an Weiden vorbei (ja, selbst das sollte man sich zumuten, wenn man den Tunnel schonmal hinter sich hat!), Richtung Hof nach Wiesau (Kreis Tirschenreuth) in die Industriestraße 8 auf sich zu nehmen. Nicht aber, ohne vorher einen Tisch im Restaurant Holzfellas zu reservieren, denn die Chancen stehen - meiner unmaßgeblichen Meinung nach - gut, dass sich dieses Lokal zu einem "kulinarischem Hotspot" entwickeln könnte. Vergleichbar dem Restaurant Soulfood im oberpfälzischen Auerbach, wo sich Michael Laus Jahr für Jahr einen Stern im Guide Michelin erkocht.
Vergangenen Samstag hatte ich Gelegenheit in besagtem Restaurant Holzfellas in Wiesau ein 5-Gänge-Menü zu goutieren, das mir jedenfalls diese Richtung andeutet ...
von Robert Bock ...
Entré |
In einem alten Bahnhofsgebäude hat die Ziegler Group 2019 mit viel Aufwand einen von viel, viel Holz geprägten, räumlich großzügig bemessenen Genussstempel mit angeschlossenem Hotel geschaffen, in dem ich mich bei warmem Licht unmittelbar wohl fühle.
Der Küchenchef heißt Ingo Mark und fügt sich mit dem kulinarischen Konzept seiner Küche nahtlos in das von Liebe zur Heimat, Bodenständigkeit und Aufbruch in die Moderne geprägtem Konzept der Lokalität ein.
Die drei jungen Damen des Serviceteams sprechen selbstverständlich den hiesigen Dialekt und eine von ihnen gar mit dezentem tschechischem Einschlag. Auch das ist die Oberpfalz des 21. Jahrhunderts im Grenzland zu unseren tschechischen Nachbarn, von denen uns einst der "Eiserne Vorhang" trennte.
Um es vorweg zu nehmen: Die drei Damen werden ihre Aufgabe an diesem Abend hervorragend meistern: Präsent, charmant, freundlich (aber ohne "aufdringlich freundlich" zu sein) und flott kümmern sie sich um das Wohl der zahlreichen Gäste.In Zeiten des Mangels an kompetentem Servicepersonal darf sich das Restaurant Holzfellas glücklich schätzen, personell wie fachkundig so vergleichsweise üppig besetzt zu sein.
Ingo Mark, Anfang 30, der seine Ausbildung bei Star- und Sternekoch Alexander Herrmann im oberfränkischen Wirsberg absolviert hat, überschreibt das Entré seines Menüs, für das wir uns entscheiden werden, mit "Heimat". Es gibt auch ein Menü für Vegetarier, das sich durchaus interessant liest. Das Heimat-Menü ist in 3 und 5 Gängen zu haben. Wir entscheiden uns für das volle Heimat-Programm für 64 Euro.
Das Menü "Heimat" |
Die Weinkarte ist zwar nicht sehr umfangreich, dafür aber klug zusammengestellt. Wir schwanken zwischen einem Grünen Veltliner aus Wagram/AUT und einer Cuvée vom Mukateller und Riesling vom Weingut Korell an der Nahe. Auch weil wir in Person von Daniel Meis einen Mitarbeiter dieses Weingutes aus der Nähe von Bad Kreuznach persönlich kennen und dessen oppulente Weine, die wir bei ihm vor zwei Jahren bei einem kulinarischen Event im Fränkischen Ulsenheim verkostet haben, durch die Bank sehr gemocht haben.
Menübegleiter von der Nahe |
Die Weine der Karte des Holzfellas sind meines Erachtens fair bepreist und bewegen sich überwiegend im Bereich zwischen 29 und 39 Euro je Flasche. Weine aus der Oberpfalz ("Baierwein"), die den Heimatansatz untermauern würden, suche ich leider vergebens, Franken ist vertreten. Wiesau selbst steuert das Mineralwasser bei, das wir dazu bestellen.
Brot mit Aufstrichen und Kresse |
Knuspriger Chili-Cheese (vegan) |
Jeder darf zu diesem Thema stehen, wie er mag, aber ich halte es für einen kulinarischen Irrweg, Käse oder Fleisch mit allerlei Chemie geschmacklich und texturell nachzuahmen. Kämen etwa vernünftige Menschen auf die Idee einen "Carnivoren Kopfsalat" aus Schweinehack zu basteln und darauf auch noch stolz zu sein?! Meine Begleiterin ist von dem veganen "Käse"-Lolli begeistert, mein Herz erwärmt er ebensowenig wie Silikonbrüste mich erregen würden.
Der 1. Gang:
Apfelholzgeräucherter Hirschschinken / Kürbis / Kerne / Nussbutterapfel / Grüner Apfel
Handwerklich und optisch setzt Ingo Marks Küche hier ein erstes Ausrufezeichen. Zwar ist mir der butterzarte Hirschschinken mehr als nur eine Spur zu salzig, aber der Rest des Ensembles schmeckt überzeugend und fügt sich zu einem saisonal wie regional stimmigem Ganzem. Nice to know, dass der Schinken über Apfelholz geräuchert wurde, aber ich schmecke etwaig existente sortentypische Nuancen dieses Holzes nicht heraus.
2. Gang:
Kraftbrühe vom Machanaier Suppenhuhn | Gebackene fette Henne | Erbse | Frikassee
Leider kann mir der Service meine Frage nicht beantworten, ob es sich bei der annoncierten "Fetten Henne" als Zutat tatsächlich um die gleichnamige Zimmerpflanze handelt, ausschließen will ich dies nicht. Falls ja: Ein kulinarischer Geniestreich, zumal in der Zusammenschau mit dem Geflügel-Thema des Gerichts. Die Kraftbrühe wird am Tisch in die schönen tiefen Teller angegosssen: Diese Kraftbrühe, so schlicht sie ist, ist einer meiner persönlichen Höhepunkte des Menüs. So hervorragend kann Schlichtheit schmecken, wenn eine Küche ihr Handwerk zelebriert!
3. Gang:
Schweinekinn & Oberpfälzer Garnele | Kinn gegrillt | Garnele konfiert | eingelegte Radieschen | Meerrettichmajo | Krustentiersud | Garnelenchip
"Surf & Turf" meets "Nose to Tail". Und das in "regional". Eine wunderbare Komposition, in der für mich das gegrillte Schweinekinn, das ich bewußt noch nie als Hauptdarsteller eines Gerichts verspeist habe, der herausragende Akteur ist. In summa stimmig, jedoch ist mir der Krustentierschaum zu "umami" geraten und drängt sich aromatisch dadurch überdeutlich in den Vordergrund. Die perfekt gegarte Garnele kämpft so leider vergeblich gegen die Sauce (auch diese am Tisch angegossen) an und kann ihre dezent süßliche Aromatik nicht richtig entfalten.
4. Gang:
Gebratene Zanderrolle | Würzfleisch | Pastinake | Steinpilz | Schupfnudeln
Der zur Rolle geformte Zander greift ein Element des 1. Ganges auf, wo roher Kürbis (Hokkaido?) hauchdünn in Streifen gehobelt und mit pürriertem rohen Kürbis gefüllt, eine dekorative Nebenrolle spielen durfte. Leider ist der zarte Edelfisch eine deutliche Spur über den Punkt gegart und tendenziell zu trocken. Ob es unbedingt Zander, obschon Süßwasserfisch, sein muss in einem Heimatmenü in der nördlichen Oberpfalz, die ich persönlich vor allem mit dem Karpfen assoziiere, darüber kann man streiten.
Schupfnudeln sind für die Oberpfalz, was die Pizza für Neapel und Steinpilze wachsen in den tiefen Wäldern der nördlichen Oberpfalz vermutlich reichlich. Der Steinpilz dieses Gerichts ist, wie auch der Pastinakenstampf, ein Hochgenuss und beide Komponenten weitere persönliche Highlights des heutigen Abends. Schöne Idee: Die Schupfnudeln in Form von Baumstämmen bzw. Holzplanken zu formen und diese als Floß zu arrangieren. Was wären Holz- und Eisenwirtschaft in der Oberpfalz in früheren Zeiten ohne die Flößer, die "Fluderer-Manner mit da langa Stanga" gewesen? Solche Details zeugen von tief verwurzeltem Heimatverständnis, das über rein kulinarische Aspekte hinausweist und ein Menü zu einem Gesamtkunstwerk werden lassen. Bravo!
5. Gang:
Heidelbeerstreuselkuchen | Weißes Schokoladen-Heidelbeereis | Bauernmilch | Calvadosapfel
Was die Speisenpräsentation angeht, gelingt Ingo Marks Küche mit dem Eis-Bären am Stiel aus Weißer Schokolade und Heidelbeeren/-bären auf einem Moosbeet mit Heidelbeergesträuch ein Geniestück - mit dem Rest des Ensembles meiner Meinung nach leider nicht. Mir ist der Teig des Heidelbeerkuchens zu roh, der Calvados zu sprittig und der Milchschaum nahezu geschmacksneutral. Eine interessante Komposition, aber meiner Meinung nach in der Ausführung leider noch nicht zur Reife gedacht.
Fazit
Ingo Mark belegt mit seinem Heimat-Menü, dass er über ein ausgeprägtes Talent verfügt, Speisenfolgen zu komponieren, die ein gewähltes Thema (hier: Heimat, Region, Saison) mehrdimensional und in sich stimmig im Sinne des Wagner'schen Gesamtkunstwerkbegriffes auszuleuchten verstehen und kongenial in Raum, Zeit und Innenarchitekturstil eingebetet sind. Dieses spezielle Talent ist in diesem Ausmaß meines Erachtens selten.
Ingo Mark im Slow Food Magazin 03/2022 |
Kein Wunder, meiner Meinung nach, dass sich unter anderem der Guide Michelin, der Gusto (6 Pfannen) und das Slow-Food-Magazin lobend über seine Küche äußern. Der heutige Abend war nur eine Momentaufnahme; nicht immer klappt alles so, wie es geplant war. Gelingt es, die von mir wahrgenommenen kleineren Unstimmigkeiten in den Einzelgerichten und deren Ausführung zu vermeiden, hat das Restaurant Holzfellas meiner Meinung nach das Potenzial vom Guide Michelin in einer der nächsten Auflagen mit dem Prädikat "Bib Gourmand" ausgezeichnet zu werden. Die Portionen sind ordentlich groß, das Preis-Leistungsverhältnis sehr gut - genau das will dieses Prädikat kommunizieren. Ob es bereits zu einem Stern reicht, dessen bin ich mir auf Basis dieses ersten Besuchs nicht sicher, jedoch ein solides Fundament, auf das man künftig einen Sternenhimmel setzen kann, ist zweifellos vorhanden.
Ingo Mark ist noch jung. Er verfügt unbestreibar über Leidenschaft fürs Kochen, beherrscht sein Handwerk, sprüht vor Kreativität und verfügt über einen Blick über den Tellerrand des Kochens hinaus, der auf eine fundierte Allgemeinbildung schließen lässt. Vor allen Dingen versteht er es Menüs zu komponieren, die Geschichten erzählen. Das kann ihn als Koch noch sehr weit tragen.
Genau das wünsche ich ihm und spreche deshalb allen Regensburgerinnen und Regensburgern meine persönliche Empfehlung aus, die Fahrt durch den Pfaffensteiner Tunnel zu wagen und das Restaurant Holzfellas in Wiesau zu besuchen, um sich selbst ein Bild davon zu machen, dass die Kernlande der Oberpfalz kulinarisch mehr zu bieten haben, als mancher womöglich glaubt.
nein, schupfnudeln haben mit der oberpfalz nichts zu tun, sind badenser neophyten, die leider in wasser zur schleimigkeit verkocht und dann aufgebraten werden.in der oberpfalz gibt es fingernudeln aus kartoffelteig, diese werden im rohr knusprig und köstlich gebraten. und bei der fetten henne könnte es sich um Sparassis crispa handeln; einen äusserst delikaten speisepilz, den Sie vielleicht als krause glucke kennen. und ja- bitte mehr fränkische weine, die region gibt weinmässig gerade vollgas!
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