Samstag, 18. November 2017

Wenn Dillinger zum Schlemmen läd ...

Das Auswärtsessen kennt viele Schattierungen. Auch jene, sich an einem Freitagabend, nach vorheriger Entrichtung eines Obulus, in einem zur Streetfood-Meile umgestylten Möbelhaus im All-You-Can-Eat-Modus gepflegt die Wampe vollzuhauen.

Edeka Dillinger, einer der Big Player im ostbayerischen Lebensmitteleinzelhandel mit Filialen in Bad Abbach, Lanquaid und Schierling, hat am Sitz der Zentrale nach Kelheim zum "Schlemmerabend" geladen.

Motto: Aus Liebe zum Genuss. Location: Das Möbelhaus Brandl, nur wenige hundert Meter vom Dillinger-Markt in Kelheim enfernt gelegen und eine Hausnummer der Branche im westlichsten Zipfel Niederbayerns.

Der Hobby-Gastronomiekritiker mittendrin. Weniger schnabulierend, das ist heute Nebensache, sondern am Herd, Babas' Gyros in schwerer Edelsstahlpfanne zubereitend. Zweistellige Kilogrammdimensionen an Fleisch - und doch zu wenig ...
von Robert Bock


Nach meiner Rollentausch-Premiere anläßlich Lucki Maurers Kulinarik-Festival im August, als ich, Seit' an Seit' mit Spitzenköchen, meiner guten Freundin Spyridoula Kagiaoglou - der Olivenölqueen aus Tegernheim - beigesprungen war, um den Andrang des Festivalpublikums an ihrer Station zu bewältigen, ist das an diesem Freitag im November mein zweiter Freundschaftsdienst dieser Art.

Doch kann und darf man das Stelldichein der Spitzen- und Sterneköche in Neukirchem beim heiligen Blut mit Dillingers Schlemmerabend vergleichen? Dort an die 1000 Gäste die fürs Ticket stolze 119 Euro, hier rund 300, die lediglich 15 Euro bezahlt haben. Dort Stars der Szene von Anton Schmaus über Mathias Achatz, Wolfgang Müller bis Stefan Marquard, hier keine Stars der Kochszene, sondern über 30 handverlesene, namhafte Lieferanten von Edeka Dillinger mit ihren Verkostungsstationen. Nationale und internationale Traditionsmarken darunter, aber auch eine ganze Reihe kleiner und mittelständischer, regional ansässiger Lebensmittelhersteller und -handwerker, die mir persönlich emotional näher liegen als große Konzerne.


Darunter beispielsweise die Brauerei Schneider, Labertaler Getränke, die Bäckerei Schwarz, Schweiger (edle Spirituosen und Kaffee aus Kelheim) und Spyridoula's 100% aus Tegernheim. Das ist stimmig, denn bekanntlich liebt, so der Claim der Werbung, Edeka Lebensmittel und profiliert sich im Wettbewerb vor allem über motiviertes, hervorragend ausgebildetes Personal, starke Marken, Frische und Regionalität.

Claudius Wenzler (Edeka Dillinger) & Spyridoula Kagiaoglou
Edeka Dillinger zählt zu Spyridoulas Vertriebspartnern der ersten Stunde und offeriert seinen Kunden an den Standorten in Kelheim und Bad Abbach nicht nur die Premium-Olivenöle von der Peloponnes, die sie dort produziert, sondern seit dieser Woche auch ihre selbstkomponierten und -produzierten Gewürzmischungen und Fava-Produkte.

Unser beider Mission an diesem Abend - sie die Chefin, ich das Faktotum: Den Leuten zu zeigen, wie geil Spyridoula's Gewürze sind. Starkoch Stefan Marquard verwendete exakt diese Vokabel ("Geil!") für eines ihrer mittlerweile auf sieben verschiedene Gewürzmischungen angewachsenen Palette namens "300%-Molon Labe", eine an überlieferten Speisegewohnheiten der antiken Spartaner angelehnten, fruchtig-scharfen Gewürzmischung.

Ich bin der Meinung, König Leonidas von Sparta hätte mit seinen 300 tapferen Kriegern die Perser an den Thermopylen besiegt, hätten sie damals schon dieses Gewürz zur Verfügung gehabt. Als der Perserkönig Xerxes Leonidas aufforderte ihm die Waffen zu übergeben, soll dieser ihm entgegnet haben: "Molon Labe - Kommt und holt sie Euch!" Spyridoula hat das Amuse Bouche unserer Station damit gewürzt: Fava - eine, dem Hummus vergleichbare Creme aus Favaerbsen, ein Traditionsgericht der Insel Santorin.

Es geht auf 19 Uhr zu. Dann werden die Absperrungen fallen und die Gäste sich rascher als ein Gerücht in einem oberpfälzer Dorf auf zwei Etagen verteilen.

Mein Job ist es, Spyridoulas Fava-Interpretation, die sie Fava Diavolo nennt, auf Portionsschälchen zu verteilen und sie mit einer Extra-Portion 300%-Molon Labe, einem Zweiglein frischen Thymians, das sie mir anreicht, sowie einem Spritzer ihres Bio-Olivenöls auszugarnieren.

Schlag 19 Uhr begrüßen wir die ersten Gäste an unserer Station. Man hat sich feingemacht für Kelheims kulinarisches Großevent. Die Frauen mehr, als viele Männer, die so und nicht anders auch im Baumarkt herumlaufen könnten.

Manche Senioren beäugen unser Fava recht skeptisch. Vereinzelt Naserümpfen, als mann erfährt, es handle sich um ein vegetarisches, ja veganes Gericht. Hingegen leuchten viele Frauenaugen. Es dauert keine zehn Minuten und unser Amuse Bouche ist Geschichte.

Ein Gast meint, so ein leckeres fleischloses Gericht habe er schon lange nicht mehr gekostet, äußert die Befürchtung, er könne zum Vegetarier mutieren und weist seine Frau im nächsten Atemzug an, beim nächsten Einkauf sowohl Spyridoulas Fava-Paket, als auch des "schorfe G'würz mit dene Kerndl drin" einzukaufen.

Anis, Mohn und Schwarzkümmel meint er; Drei der Komponenten dieses Trendgewürzes. Die Fava-Packs und die 300%-Molon-Labe-Tüten, die Spyridoula aufgebaut hat, stoßen jedenfalls auf großes Interesse. Die Kunden mit den neuen Spyridoula-Produkten in Edeka Dillingers Sortiment bekannt zu machen, ist heut primärer Zweck der Übung.

Den zweiten Gang haben Spyridoula und ich zuvor gemeinsam vor Ort frisch vorbereitet: Chtipiti nach dem Rezept von Spyridoulas Mama Sofia: Tiri Feta, vollfetter griechischer Joghurt, reichlich feinstes Olivenöl und die Gewürzmischung Spyridoula's 100% Griechischer Obazda. Denn etwas anderes ist ein Chtipiti - auch Tirosalata oder Tirokafteri genannt - nicht: die griechische Variante des bairischen Biergarten-Klassikers.

Welche älter ist, wird kaum zu klären sein, welche schärfer ist, ist schnell entschieden. Mancher Gast reisst erstaunt die Augen auf, nachdem er sich - Selbstbedienung aus der großen Schüssel - einen Klecks auf Weißbrot einverleibt hat.

Das Zeug schaut farblich aus wie ein Obazda, täuscht im ersten Mundgefühl Ähnliches wie sein bairischer Kollege vor, kommt dann jedoch geschmacklich völlig anders. Schärfer vor allem: Chili, geräucherter Paprika unter anderem, aber auch ein Hauch Anis verleihen dieser cremigen Köstlichkeit in Verbindung mit dem Schafkäse und hervorragendem Olivenöl eine meines Erachtens ziemlich fulminante Aromatik.

Derweil die Gäste drei Kilo Chtipiti binnen einer Viertelstunde ratzeputz verspeisen, schwitzen Spyridoula und ich an zwei Herden über der Zubereitung von Pfannengyros à la minute in schweren Edelstahlpfannen. Den Schweinenacken in zweistelligen Kilodimensionen - anderes Fleisch, vor allem magere Teile vom Schwein, sind einem echten Griechen unstatthaft - hat die Chefin am Vorabend eigenhändig fein hergeschnitten, mit Olivenöl und ihrer Gewürzmischung Spyridoula's 100% Babas' Gyros mariniert und über Nacht im Kühlschrank ziehen lassen.

Was dem Haifisch ein Tropfen Blut im Ozean, ist dem Schlemmerabendgast der Duft von Gyros, der durchs Möbelhaus wabert: Wir haben Sorge, die Leute rennen unsere Station über den Haufen, so dicht ist der Pulk der Menschen, die aber geduldig warten, bis Pfanne um Pfanne - ich hab sie nicht gezählt - servierbereit ist. Mancher Gyros-Junkie stellt sich flugs zweimal, dreimal an und verputzt die ergatterte Portion in der Warteschleife.

Meines sei noch besser gewesen als das aus Spyridoulas Pfanne, lobt mich ein Gast. Tja, der Kniff, der meines von ihrem unterscheidet ist, das Fleisch erst unmittelbar vor dem Servieren zu salzen, während Spyridoula Salz bald nach dem Anbraten hinzugibt. Was das bewirke, fragt der Auswärtsesser, der der Kochkunst unkundig ist ...?

Spyridoula hat ihrer Gewürzmischung nach dem Rezept ihres Vaters (Babás), dessen Gyros im Raum Biberach an der Ries einst legendären Status genossen habe, wie sie berichtet, und dessentwegen die Gäste des Lokals von Spyridoulas Eltern weite Wege in Kauf genommen hätten, ganz bewußt nur minimale Mengen Meersalz (< 1g/100g) zugefügt, damit das Fleisch auch nach dem Marinieren saftig bleibe und nicht die Knobelbecherkonsistenz vieler vormarinierter Gyrosfleischangebote in Supermärkten oder Metzgereien annehme.

Sie hat schon Recht: Man spart in Supermärkten, Metzgereien und auch daheim am falschen Ende, wenn man herkömmliche "Gyroswürzer" verwendet, die teils zu mehr als der Hälfte aus billigem Salz und Zucker bestehen (beiden ziehen sie das Saft aus dem Fleisch!) und mit Geschmacksverstärkern, zugesetzten Aromen und Fleischzartmachern feschgemacht worden sind.

Wenn Ihr, liebe Leserinnen und Leser, Euch zuhause ein richtig geiles Pfannengyros zubereiten wollt, kauft gutes Fleisch und mariniert es idealerweise am Vorabend selbst - aber mit einer Gewürzmischung "ohne Mist" darin. So schmeckt Euer Gyros dann zwar nicht wie beim Griechen hierzulande, weil es dort - Entschuldigung - im Regelfall so furztrocken, überwürzt und nach Glutamat schmeckt, damit man sich als Gast genötigt fühlt, eimerweise Bier zu ordern, sondern viel, viel besser.

Spyridoulas "Babas' Gyros" jedenfalls war an diesem Abend binnen einer halben Stunde ratzputz verspeist. Mit diesem Ansturm hatten wir, offen zugegeben, nicht gerechnet und hätten wohl auch das doppelte oder dreifache von unserem griechischen Klassiker in der Pfannenvariante unters Volk gebracht.

Ein Pärchen, das leider zu spät kam und darüber sehr betrübt wirkte, kratzte gar die Reste unseres Chtipiti mit dem Löffel aus der Schüssel. Sie tunkte gar ihren Löffel in die Bratpfanne auf dem noch heißen Herd, um den Bratensatz des Gyros, den Spyridoula zum Anlösen mit etwas Wasser aufgegossen hatte, zu kosten. Gut, dass ich kein Pril hinzugefügt hatte ... Ja, man kann als Gastronomiekritiker so einiges erleben, auf der anderen Seite des Tresens und manches verpflichtet zum Wundern ...

Endlich finde ich Zeit, mich ein wenig umzuschauen und hier und da an den anderen Stationen zu kosten. Großartig schmecken mir die Tiroler Schlutzkrapfen von Dengg.

Ein bestens gelaunter Südtiroler aus Lana im Meraner Land serviert mir die Variante mit Spinat und Graukäse. Für ein Convenienceprodukt von sensationeller Qualität, die sogar ich mir, der ich mit den meisten Convenienceprodukten auf Kriegsfuß stehe, kaufen würde.

Die Salami- und Mortadella-Spezialitäten von Bedford, auch deren Griebenschmalz schmecken hervorragend. Die Antipasti von Grossmann erleiden ein ähnliches Schicksal wie unsere griechischen Speisen: Ruckzuck-ratzfatz und ratzeputz aufgegessen.

Es gibt einige wenige Gäste, die sich lauthals beschweren, wie das angehen könne, dass man hier einen Haufen Geld (zur Erinnerung: 15 Euro) bezahle und dann kein volles Buffet bis 23 Uhr zur Verfügung stehe.

Es gab bis 23 Uhr reichlichst Speisen und Getränke - nur eben nicht mehr an allen Stationen. Die Kelheimer haben Geschmack, sind routiniert und kennen das Gesetz vom abnehmenden Grenznutzen (1. Gossen'sches Gesetz): Jeder zusätzlich genossene Happen schenkt reduzierten Lustzuwachs. So laben sie sich zunächst an den Stationen, die ihnen besonders attraktiv und Lustgewinn versprechend erscheinen. Wenn sich dann ein Teil der Gäste mehrfach in Folge und üppig bedient, gerät die Kalkulation der Stationsbetreiber schon mal in Schieflage.

Ich muss mich sehr zurücknehmen, was die verbale Charakterisierung solcher Menschen angeht, die erwarten, dass man ihnen für 15 Euro Eintritt gefälligst die Eier zu kraulen hätte. Mir ist dieses Heuschreckenverhalten der typischen Klientel von All-you-can-Eat-Asiaten bekannt und ich verachte es persönlich zutiefst.

Warum haben diese Menschen nur solche Angst, zu kurz zu kommen?  Was die Anderen haben, will ich auch und zwar doppelt und pronto! Bloß keinen Cent zu viel bezahlen und dabei ständig neiderfüllt auf anderer Leute Teller starren, vom Umgang mit dem Personal gar nicht zu reden ...

Man sagt den Niederbayern nach, sie hingen dem Prinzip der maximalen Schädigung an, als betrachteten sie es als Säule kollektiver Lebensart. Das kann und will ich in der Breite so nicht bestätigen. Nicht, was das Publikum an diesem Abend angeht auf jeden Fall - aber einige wenige Zeitgenossen gaben mir tatsächlich Anlaß zum Fremdschämen. Vor allem jene, die sich mit Wein, Bier und harten Getränken tüchtig alkoholisierten und der billige Rausch offensichtlich, der zentrale persönliche Beweggrund ihres Schlemmerabendbesuches war.

Denke ich an Lucki Maurers Kulinarikfestival zurück, kann ich mich keines einzigen Gastes des Typus "Anspruchsdenker" entsinnen, obwohl man dort 119 und keine 15 Euro zu berappen hatte und auch dort an manchem Sternköchestand vorzeitig Schicht im Schacht war.

Der prohibitive Preis im Waldschlössl hat sein Gutes: Schmarotzergestalten bleiben fern, das Publikum ist unterm Strich kultivierter. Das kommt der Atmosphäre eines Genuss-Events zugute. Kultiviertes Publikum, das regelmäßig auch über gehobenere Kaufkraft verfügt, fühlt sich von peinlichen Gästen abgestoßen und meidet Veranstaltungen, wo solche sich herumzutreiben drohen. Man sollte, so mein konstruktiver Rat, seitens Edeka Dillinger und Möbel Brandl deshalb darüber nachdenken, den Preis fürs Ticket deutlich anzuheben.

Fülle und Qualität des Gebotenen rechtfertigten meines Erachtens leicht den doppelten Eintritt, unterstrichen die Wertigkeit und hervorragende Organisation des Events. Die schlimmsten Freibierlätschn werden womöglich maulen, aber bleiben wo sie hingehören: Daheim. Was nix kost', des taugt nix, sagt der Volksmund. Ich jedenfalls halte 15 Euro Eintritt für eine Veranstaltung dieser Güte für zu wenig.

Nicht unerwähnt bleiben soll das mittlerweile fünfte große Backduell im Rahmen dieser Veranstaltung. Plätzchenbäckerinnen und -bäcker der Region reichten vorab ihre Wettbewerbsbeiträge ein und eine Jury kürte strahlende Sieger.

Ich fand keine Gelegenheit von diesen famos aussehenden Plätzchen zu kosten, nur ein paar Fotos zu schießen gelang mir, bevor die Tore sich um 19 Uhr dem Publikum öffneten.

Auch das Trio von Dieter Schramm will ich erwähnen, denn sie musizierten und sangen sich mit Quetschn, Horn und Klampfe unaufdringlich über beide Etagen und trugen zur entspannten Atmosphäre dieses nicht alltäglichen Events in Kelheim bei.

Es wird wohl im November 2018 wieder einen Schlemmerabend geben. Wer dabei sein möchte, sollte sich frühzeitig um Tickets bemühen.

1 Kommentar:

  1. Bei so einem Schlemmerabend wäre ich auch gerne dabei!!! Und 15€ ist verdammt günstig! Bei uns gibt es manchmal Street Food Festivals, da zahlt man aber für alles extra. Euer Gyros hätte ich verdammt gerne gekostet! Ich bin leider nicht der beste Koch, hab mich mit einem Freund aber trotzdem mal drübergetraut und das Ergebnis war wirklich ziemlich gut ;) Leider haben wir so eine Fertig-Gewürzmischung verwendet, das machen wir das nächste Mal besser, aber wir haben ein erstklassiges Fleisch bestellt, auch Schweinenacken ;) Das ist sein Geld wirklich wert gewesen... Tiroler Schlutzkrapfen sind mein persönliches Lieblingsessen, ich habe aber auch das Glück in Tirol zu wohnen und immer Zugang dazu zu haben :D
    Vielleicht sieht man sich im November, sofern noch Tickets erhältlich sind!
    Bernie

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