Donnerstag, 29. August 2019

Sengkofener Heimatmenü

Im März 2017 war ich zuletzt im Gasthaus zum Goldenen Krug in Sengkofen zu Gast.

Das Restaurant mit wunderschönem Biergarten in ländlicher Idylle zwischen Regensburg und Straubing hat eine besondere Bedeutung für mich, denn mit meinem ersten Post zu diesem Lokal nahm 2015 dieser Blog seinen Anfang.

Damals kochte dort noch Christian Braun auf. Im Mai 2016 übernahmen die beiden jungen Küchenmeister Peter Grasmeier und Benjamin Staudigl das Lokal. Mutig, denn ihr großartig aufkochender Vorgänger hatte große Fußabdrücke hinterlassen. Als ich nach einer gewissen Schonfrist für die neuen Inhaber im März 2017 dort beider Menü genoss, war ich leider nicht sonderlich begeistert.

Das waren die beiden Chefs des Goldenen Krugs nach der Lektüre meiner Kritik im Gegenzug auch nicht. Aber es dauerte nicht lange und in der weiten Welt des Webs war von Sengkofen her ein Windhauch der Verändungen zu spüren ...
von Robert Bock
Irgendwann im Jahre 2018 waren die Tester des Guide Michelin in Sengkofen zu Gast und seit der aktuellen Ausgabe dieses wohl bekanntesten Gastronomieführers schmücken die hohe Auszeichung Bib Gourmand und das begehrte quadratische rote Schild die Pforten des Goldenen Krugs.

Im Raum Regensburg dürfen aktuell nur das Restaurant Schwögler in Bad Abbach und die Alte Post in Ponholz sich dieser Ehre rühmen. Das Hotel am See in Neutraubling und Forsters in Donaustauf haben diesen Nimbus bei den Michelin-Testern nach langjähriger Konstanz seit der aktuellen Ausgabe hingegen verspielt.

Neulich lobte dann auch noch Der Feinschmecker die Küche des Goldenen Krugs auf einer Vierteilseite überschwänglich. Es hat sich etwas getan im fruchtbaren Gäuboden seit ich zuletzt hier aß. Es ist an der Zeit, Grasmeiers und Staudigls Kunst einem Recall zu unterziehen ...

Es ist Samstag ...


Obwohl draußen Biergartenwetter herrscht, ist ein Tisch für zwei in der Stube reserviert, denn Fine Dining verstehe ich persönlich als Gesamtkunstwerk im Sinne Richard Wagners.

Der Komponist scheint mittlerweile schick in Spitzenköchekreisen, treiben sich doch meine hochgeschätzten guten Bekannten Lucki Maurer und Wolfgang Müller neuerdings nicht nur in Wacken und beim Summer Breeze in Dinkelsbühl herum, sondern im feinen Zwirn am Grünen Hügel in Bayreuth, um auf hartem Holzgestühl bei Bullenhitze in der nicht klimatisierten "Scheune", wie die Bayreuther ihr Festspielhaus abschätzig nennen, den Parsifal zu inhalieren ... Köche sind an Hitze gewöhnt, vielleicht ist sind Opern von fünf Stunden Dauer deshalb dort besser zu ertragen.

Was das mit Gastronomie zu tun hat? Ich sitze gern im Biergarten, aber wenn ich anspruchsvoll zu speisen gedenke, bietet ein klassischer bairischer Biergarten nicht die passende Kulisse für die Ergebnisse anspruchsvoller Kochkunst. Die Kulisse ist wie alles (ALLES!) sinnlich Wahrnehmbare, Teil des Erlebens eines Restaurantbesuchs. Wagner hat sogar sein Operhaus nach präszisen Vorstellungen um seine Opern herum vom Kini errichten lassen, um seine Kunst allumfassend zur Geltung zu bringen. Man kann so viel von Wagner lernen! Manches aber, der Kenner weiß, was ich meine, besser nicht ...

Im Garten nimmt uns Serviceleiter Sascha Mörz in Empfang und führt uns an unseren Tisch. Die Stube präsentiert sich meinem Eindruck nach, bis auf LED-Birnen in den Fassungen, unverändert im gediegenen, gepflegten Landhausstil. Alle Tische sind adrett eingedeckt, auf jedem Tisch ein Menüvorschlag des Hauses in A5.

Meine Begleiterin und ich sind heute zwar auf a la carte geeicht, aber das annoncierte "Heimatmenü" liest sich vielversprechend.

Saisonal, regional lese ich; klare Deklaration der Lieferanten der Kernprodukte. Erstklassige Lieferanten allesamt, da gehen Staudigl und Grasmeier meiner Beobachtung nach keine Kompromisse ein.

Dass hervorragende Grundprodukte ihren Preis haben (und haben müssen!), weiß jeder, der sich mit Lebensmitteln und deren Herstellung ein wenig beschäftigt. Wer bei einem Preis von 45 Euro für ein 3-Gänge-Menü erschrickt, sollte ein, zwei Stufen tieferklassig reservieren aber sich nicht wundern, wenn das Fleisch furztrocken und das Gemüse geschmacksneutral daherkommt, obwohl die Küche ihr Bestes gegeben hat. Was in einem Grundprodukt nicht drinsteckt, holt kein Koch der Welt aus ihm heraus.

Sascha Mörz entschuldigt, dass die Vorspeise, entgegen der Ankündigung der Karte, heute nicht aus hausgeräuchertem Saibling, sondern einer Terrine vom Eisbein mit Salat und Kürbiskernen bestehen werde, falls wir uns für das Heimatmenü entschließen sollten. Der Goldene Krug habe erst gestern nach dem Urlaub wieder den Betrieb aufgenommen. Ich habe Verständnis, dass das eigenhändige Räuchern von Schwandorfer Fischen nicht erste Priorität haben kann. Außerdem: Eisbeinterrine als Vorspeise? Klingt das geil oder geil?

Meine Begleiterin hat in der anregend und kompetent geschriebenen, aber für meinen Geschmack etwas zu umfangreichen Speisekarte ein Dessert mit Fenchelsorbet erspäht. Dieses würde sie mehr interessieren, als die bodenständig-heimatliche Bairisch Creme mit marinierten Erdbeeren und Weißbiereis zum Abschlusss der Menüfolge des Heimatmenüs.

Sascha Mörz macht's dankenswerterweise möglich, derweil ich mich mit der Weinkarte beschäftige.

Alle Achtung, wer auch immer für die Zusammenstellung dieser Weinauswahl verantwortlich ist, hat Ahnung!

Das Preisniveau ist breit gefächert, Deutschland, Österreich, Südtirol aber auch Weine aus Portugal finden sich beispielsweise. Das Einsteigspreisniveau der Weinkarte liegt um 20 Euro pro Flasche, also durchaus zivil und erschwinglich. Die Auswahl an offenen Weine ist aller Ehren wert und gut durchdacht.

Baierwein habe ich nicht gesehen, womöglich aber im Eifer des Gefechts überlesen. Dem regionalen Anspruch des Goldenen Kruges stünden meines Erachtens ein, zwei Weine aus der heimatlichen Region gut. Das Ehepaar Merkl in Sinzing (großartiger Müller-Thurgau!) und Weinbau Dietl in Wörth a.d. Donau (duftiger Johanniter!) bauen meiner Meinung nach überzeugende Weine aus.

Ich darf entscheiden und bestelle uns als Menübegleiter einen 2017er Grauburgunder vom Weingut Abril vom Kaiserstuhl für 24 Euro. Ein Bio-Wein, der sich als hervorragende Wahl erweisen wird.

Perfekt temperiert und mit einem eiswassergefüllten Eimer wird er uns serviert. Lange nicht mehr habe ich einen so überzeugenden trockenen, lebendigen und tiefgründigen Grauburgunder genossen. Die Weine dieser Rebsorte, vor allem die Spätlesen, neigen gerne zu öliger Schwere und Trägheit. Wer das nicht leiden kann, bestelle sich diesen Badener - macht richtig Spaß!




Das Menü wird mit Brot und einer Frischkäse-/Quarkcreme mit Zitrusfruchtnoten unspektakulär eröffnet.

Es mag sein, dass die Zitrusfrüchte im Quark zum Saibling als anschließende Vorspeise harmonisch gepasst hätten, zur Eisbeinterrine, die uns erwartet, fehlt mir die aromatische, heimatthematische und erzähltechnische Verbindung.

Wer meine Kritiken regelmäßiger liest weiß: ich lege Wert auf einen klar erkennbaren roten Faden durch ein Menü: Ein schlichter Quark mit frischen heimatlichen Kräutern, so ausgelutscht und öde sich das lesen mag, hätte meines Erachtens besser als Eröffung eines Heimatmenüs zum sehr guten Brot gepasst.

Die Eisbeinterrine wird im tiefen Teller ansprechend präsentiert. Diese Vorspeise ist großartig!

Die Terrine selbst besteht aus  butterzartem, vergleichsweise magerem Schweinshaxnfleisch, das butterzart gegart und so zurückhaltend gewürzt ist, dass die Eigenaromen des guten Schweinefleisches auch zur Geltung kommen können.

Die Blattsalate und die hauchdünn gehobelten Radieserlscheiben sind mit reichlich hervorragend abgeschmecktem Dressing nappiert.

Der verwendete Essig ist von erster Qualität, Säure und Süße schwebend austariert. Für Biss sorgen gehackte Kürbiskerne und ein paar Mikrogreens für aromatisch interessante Tupfer. Ich wiederhole: Diese Vorspeise ist großartig!

Zum Hauptgang: Rotes Höhenvieh entwickelt sich, wie das Juradistl-Lamm, mehr und mehr zu einem kulinarischen Markenzeichen Ostbayerns.

Das rosa gegarte Filet vom Roten Höhenvieh vom Rinderhof Deutsch in Leiterkofen im Hauptgang überzeugt in jeder Hinsicht.

Das Messer gleitet durchs Filet wie durch Butter und im Mund zergeht das Fleisch förmlich auf der Zunge. Alle Achtung, das ist nahe dran an Perfektion aus Top-Lebensmittel und Kochkunst!

Auch der Rest des Ensembles ist in sich stimmig und jede Komponente für sich eine Freude. Insbesondere die Creme von Karotten und Kartoffeln mit Safran und Curcuma begeistert mich, aber auch das extrem schlicht zubereitete Gemüse aus der Pfanne ist hervorragend. Ein Gericht bzw. eine Teilkomponente ist dann perfekt, wenn man nichts mehr weglassen kann, ohne es weiter zu verbessern. Auf das Gemüse trifft dies vollumfänglich zu. Die hausgemachten Kartoffelkroketten dazu: innen sahnig, außen knusprig. Solide, gut gemachte Kochkunst ohne Effekthascherei.

Die Cognac-Senfjus ist gut, aber begeistert mich nicht. Sascha Mörz hat uns - auch ihretwegen - zu einem Glas eines portugiesischen Rotweins zum Hauptgang überredet. Ich bleibe im Nachhinein bei meiner, ihm gegenüber vorab geäußerten Skepsis und hätte an seiner Stelle einen Spätburgunder, Schwarzriesling oder Frühburgunder zum Hauptgang empfohlen.

Wäre die Jus mit schwerem, süßen Wein/Port einreduziert und mit dunkler Schokolade gepimpt, oder wäre sie mit Piment, Wacholder oder Gelee von der Schwarzem Johannisbeere abgeschmeckt gewesen, der wuchtige, körperstrotzende Portugiese hätte mutmaßlich ausgezeichnet zu diesem Hauptgang gepasst. So aber meiner Meinung nach ein leichterer, im Stahltank oder großem Holz ausgebauter Rotwein aus der Burgunderfamilie ("Heimat-Thema": Fürst, Bürgstadt (Mainviereck) oder die herausragenden Spätburgunder des Öko-Weinguts Rainer Zang, Nordheim am Main) oder - by the way - auch unser Badener Grauburgunder wären muskulös genug gewesen. Es muss nicht immer Rotwein sein zu Rind!

So war mir persönlich dieser Portugiese zu dominant und schwer für die eher leichtfüßig komponierte Cognac-Senfjus. Doch das sind, wie stets, wenn es um Wine-Food-Paring geht, subjektive Meinungen: Meine Begleiterin fand den empfohlenen Rotwein ausgezeichnet und, ihrer Meinung nach, als eine sehr gute Empfehlung zum Roten Höhenvieh. Jeder darf und soll das selbst entscheiden!

Zum Dessert ...

Meine Bairisch-Creme habe ich mit marinierten Erdbeeren erwartet, serviert werden sie mit Zwetschgenkompott.

Das schmeckt zwar ausgezeichnet, aber dem Gast sollte das serviert werden, was er laut Karte erwartet. Was ist, wenn jemand keine Zwetschgen mag oder verträgt ...?

Die Bairisch-Creme ist hinreissend cremig und luftig gelungen. Die verwendete Form in die die Creme zur Kühlung gegosssen wurde, zaubert ein interessantes geometrisches Kuppelbild auf den Teller.

Das Weißbiereis schmeckt sehr, sehr dezent nach Weißbier. So dezent, dass es sich nicht gegen den Schokokeks-Crumble, auf dem es gebettet ist, durchsetzen kann. Dieser wiederum harmoniert aber sehr schön mit dem unerwartetem Zwetschgenkompott ...

Ich persönlich erwarte von einem Lokal dieser Kategorie, dass das aromatische Gesamtbild eines Gangs in sich rund abgestimmt ist - nicht nur jede Komponente auf dem Teller für sich gesehen gelungen. Trotz der Unstimmigkeiten bin ich zufrieden mit meinem Dessert. Ich kritisiere hier, das sollte man nicht vergessen, auf hohem Niveau, weil es sich beim Goldenen Krug schließlich nicht um irgendein Dorfwirtshaus handelt. Die Messlatte sind in der Region Regensburg (Bib Gourmand!) Helmut Schwöglers und Martin Kandlbinders Küche.

Meine Begleiterin ist aus dem Häuschen! Ihre Extra-Wurst, das Fenchel-Anis-lastige Dessert, haut sie förlich aus ihren Sommerschühchen!

Ich darf probieren: In der Tat, das Fencheleis ist großes Kino und auch die Anisplätzchen machen BängBängBäng! im Mund. Sehr stimmig: Die Aprikosen zum Fenchelthema.

Somit ist hinreichend belegt, dass Grasmeier/Staudigl das Thema Dessert beherrschen und man keinesfalls die Heimreise ohne einen Nachtisch antreten sollte, wenn man hier einkehrt.

Über den Espresso aus dem Hause Rehorik brauche ich, so meine ich, keine vertiefenden Worte verlieren. Was die können, weiß in Ostbayern jeder Kaffeefreund.

Ich gönne mir noch einen ausgezeichneten, im Holz gelagerten Grappa, den mir Sascha Mörz empfiehlt.

Mit der Rechnung trägt der kompetente, freundliche und jederzeit präsente Servicechef noch ein paar hervorragende süße Schweinereien als Abschiedsgruß aus der Küche auf, die den Abschied von den sauer verdienten Geldscheinen erfolgreich erleichtern.

Fazit ...


Der Service war hier schon immer freundlich und sehr gut und war es auch heute. Die Küche des Goldenen Krugs aber hat sich seit meinem Erstbesuch vor zweieinhalb Jahren gewaltig gesteigert.

Ich zolle Peter Grasmeier und Benjamin Staudigl höchsten Respekt, dass sie bereit und in der Lage sind, freundschaftlich gemeinte, sachlich begründete und in diesem Sinne konstruktive Kritik aufzugreifen, zu begreifen und, wo sie ihnen gerechtfertigt erscheint, in überzeugender Form im Dienste der Verbesserung ihres gastronomischen Konzepts umzusetzen.

Ich erlebe es immer wieder: Genau dieser Charakterzug unterscheidet wahre Profis, die es in ihrem Metier weit bringen, von mediokren Gastronomendarstellern, die sich gern von jovialen Schulterklopfern, sei er verdient oder geschmeichelt, Applaus abholen, jedoch mit weniger schmeichelhafter, aber konstruktiver Kritik nicht erwachsen umgehen können. Auch deswegen findet man meines Erachtens den Goldenen Krug mittlerweile - gemessen am heutigen Abend - völlig zurecht in prominenten Gastronomieführern in einem Atemzug genannt mit Gastronomen und Köchen des Schlages Schwögler und Kandlbinder.

Zur Performance der Restaurants (die regionale Brille aufgesetzt) eines Anton Schmaus, eines Mathias Achatz aber auch eines Stefan Hummel ist in den Details noch Spiel nach oben. Falls aber Staudigl, Grasmeier und ihr Team weiterhin so qualitätsversessen und um stete Verbesserung bemüht am Ball bleiben wie in den zurückliegenden beiden Jahren, wenn sie dem Gastraum obendrein eine zeitgemäße ästhetische Überarbeitung angedeihen lassen ("Gesamtkunstwerk"), dann halte ich persönlich es für nicht ausgeschlossen, dass das quadratische rote Schild am Eingang irgendwann ein blauer Stern zieren wird.

Ich bin froh, heute eine uneingeschränkte Empfehlung aussprechen zu können. Auf nach Sengkofen, liebe Leserinnen und Leser, wir dürfen uns froh und glücklich schätzen, dass wir im Großraum Regensburg mittlerweile eine ansprechende Zahl so guter Küchen haben.

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