Dienstag, 12. Oktober 2021

Kandlbinder Küche in Ponholz überrascht

Es ist schon bald drei Jahre her, dass ich bei Martin Kandlbinder zuletzt essen war. Längst an der Zeit also, mal wieder bei ihm reinzuschmecken ...

Mittlerweile heißt sein Restaurant in Ponholz nicht mehr "Einkehr zur Alten Post", sondern - zeitgemäß und dessen nicht kopierbares Alleinstellungsmerkmal akzentuierend - "Kandlbinder Küche".

Die Kochkunst des Chefs war in der Vergangenheit nämlich stets das Programm - flankiert von noblem, geschmackvollem Ambiente und tadellosem Service. Martin Kandlbinders kreative und handwerklich auf hohem Niveau stehende Küche war Event genug und verlieh seinem Restaurant eine unverwechselbare Handschrift.

Dem Guide Michelin ist diese Küche seit vielen Jahren das Prädikat "Bib Gourmand" wert. Diese Auszeichnung (unterhalb der berühmten "Sterne") wird für sorgfältig zubereitete und zugleich preiswerte Mahlzeiten vergeben. Meiner Ansicht nach (und nachlesbar in meinen zurückliegenden Kritiken) ist das zu wenig. Einen Stern hätte die Küche der ehemaligen "Alten Post" meiner Ansicht nach verdient gehabt.

Aber ist dies nach monatelanger, an den Nerven eines sensiblen Koch-Künstlers und dessen wirtschaftlicher Substanz zehrender Corona-Krise noch immer der Fall ...?

von Robert Bock ...

Martin Kandlbinder hat nach einer kurzen Phase der "Schockstarre" zu Beginn der Pandemie das Heft des Handelns wieder in die Hand genommen, hat mit Außer-Haus-Essen und der Einrichtung eines kleinen, feinen Lebensmittelhandels in den brachliegenden Räumlichkeiten des Lokals mit Premiumprodukten seiner Lieferanten (Kandlbinders Spezerei) die Krise als Chance begriffen, hier und da renoviert, Liegengebliebens aufgegriffen, den schmucken kleinen Salon der "Alten Post" zu  Potenzial als Gastraumjuwel verholfen sowie seine Marke, deren Corporate Design und Social-Media-Marketing modernisiert. 

Jetzt aber darf er endlich wieder in seiner Küche zeigen, was er kann! Wie viele seiner Kolleginnen und Kollegen hat Martin Kandlbinder mit Personalmangel zu kämpfen. Sowohl in der Küche als auch im Service. Welch ein Glück er hat, dass ihm in personam Katl Faißt, Tochter von Koch- und Gastronomielegende Werner Faißt (früher Landgasthof Heilinghausen, heute im verdienten Ruhestand), eine versierte, erfahrene und hochprofessionelle Servicekraft - oft ganz alleine - den Service meistert. Auch heute - und auch heute wieder auf "Service-Sterneniveau".

Martin Kandlbinder hat uns einen Tisch im Salon des Baudenkmals aus dem Jahre 1766 reserviert. Dort hatte ich bislang noch keine Gelegenheit zu speisen. Barock in der Bausubstanz, Klassizimus und Biedermeier im Mobiliar prägen die gediegene Atmosphäre. Ein Schmuckstück von Gastraum, wie geschaffen für ein gehobenes Restaurant. 

Allein die Hintergrundmusik an diesem Abend, vornehmlich zeitgenössische italienische Unterhaltungsmusik, mag (mir) so überhaupt nicht passen. Klavierkonzerte von Mozart, konzertante Barockmusik (Vivaldi, Händel,...) , Musik, die unprätentiös und ohne ruppige Ecken und Kanten gefällig dahinplätschert ohne von Speisengenuss und Tischgespräch abzulenken, statt Programmpunkt dessen zu werden, würde ich persönlich in Räumlichkeiten dieser Klasse vorziehen. Dem Gast den Restaurantbesuch als Gesamtkunstwerk im Wagner'schen Sinne verstanden zu gestalten, sollte meiner Meinung nach der Anspruch ambitionierter Gastronomie sein. 

 Wir starten mit einem Aperitif in den vor uns liegenden kulinarischen Abend: Hugo und Aperol Spritz sollen es sein. Ein runder Auftakt und mit jeweils 4,90€ reißt er auch kein Loch ins Portemonnaie.

 

Wir bestellen, beinahe traditionsgemäß, das Kandlbinder'sche Überraschungsmenü mit 5 Gängen. Da kann der Meister sich kreativ ausleben, der unerschrockene Gast, der sich auf ein Abenteuer einzulassen gewillt ist, erlebt einen spannungsreichen Abend. In der Vergangenheit waren meine Begleiterinnen und Begleiter stets hochzufrieden gewesen ...



Neben der obligatorischen Flasche Mineralwassers bestelle ich mit ausdrücklicher Zustimmung meiner charmanten Begleiterin eine Flasche 2018er Rivaner trocken von der Mosel vom Weingut Schmidtges aus Erden an der Mosel

Als großer Liebhaber der unterschätzten Rebsorte Müller Thurgau ( = Rivaner) eine Pflicht, denn einen Müller von der Mosel habe ich - in einem Restaurant zumindest - noch nicht getrunken. Mein uneingeschränktes "Müller-Thurgau-Lieblingsweingut" an der Mosel ist und bleibt jedoch das Weingut von Daniel und Julia Molitor in Kinheim-Kindel: Beide zählen zu meinen "Müller-Thurgau-Maniacs" ... 

Der Rivaner von Schmitges entpuppt sich als ein feiner, mit 23,50 Euro fair bepreister, nicht allzu komplexer Tropfen mit gefälligem Spiel von Frucht und Säure, perfekt temperiert mit wuchtigen Rotweingläsern von Katl Faißt serviert. Ja: Oft ist es so, dass ein klassisches Weißweinglas einem Weißwein nicht gerecht wird. In diesem Fall war das große Glas eine ausgezeichnete Wahl.

Der Küchenchef eröffnet sein Überraschungsmenü mit einem Körbchen unterschiedlicher, allesamt hervorragender, allerdings nicht selbst gebackener Brotsorten. Angesichts der Personalengpässe darf man es meiner Meinung nach keiner, auch nicht einer gehobenen Küche, dieser Tage übelnehmen, dass das Brot nicht hausgebacken ist. Schon gar nicht, wenn es, begleitet von schlichter, gesalzener Butter, von solcher Klasse ist, wie dieses.

 

Einstieg: Brot und gesalzene Butter

Es folgt dieser Gruß aus der Küche

Gruß aus der Küche: Geräucherte Entenbrust | Avocadocreme | Erbsensprossen | Schwedische Preisselbeeren

Eine auf edlem Geschirr ansprechend präsentierte Komposition die Komponente für Komponente von herausragender Qualität und in sich stimmig ist. Für einen Küchengruß zudem in der Portionsgröße vergleichsweise üppig. 

Die Paarung Avocado versus Entenbrust/Preisselbeere stellt einen gastrosophischen Kontrapunkt dar, der in unterschiedlicher Ausprägung in den folgenden Gängen gelegentlich, aber nicht durchgängig, subtil aufgegriffen wird: Klassische französisch/deutsche Küche im Wechselspiel mit "neuen"/internationalen Lebensmitteln.

1. Gang: Taubenbrust | Sellerie | Violette Karotte | Trüffel

Der erste offzielle Gang wird sich ex post als mein persönliches Highlight des Menüs entpuppen. Von der Komposition des Gerichts über Qualität der Rohstoffe bis zur handwerklich tadellosen Zubereitung kann man dieses Gericht meiner Meinung nach nicht besser machen. Große, klassische französisch inspirierte Kochkunst, die isoliert betrachtet, auch einem 2-Sterne-Restaurant gut zu Gesichte stünde.

2. Gang: Eintopf von Adlerfisch | Wildfanggarnele | Fenchel | Jakobsmuschel | Serrano | Safran

Welch ein formidabler Duft mir in die Nase steigt! In dieser Komposition kann der Safran seinen Charme gut ausspielen. Die Salzigkeit des Schinkens kontrastiert herrlich mit der Süße der Jakobsmuschel. Einzig der Adlerfisch und die Garnele sind für meinen Geschmack eine Spur über den optimalen Punkt hinaus gegart. Lag es am heißen Teller oder an einer Minute zu lange am Pass? Irgendwas muss ein Kritiker ja auszusetzen haben. Hier ist es Kritikastern auf hohem Niveau!

3. Gang: Rehrücken | marinierter Spitzkohl | Süß-saurer-Kürbis | Wildpreisselbeere | Kürbiskernbutter

Auch der 3. Gang spiegelt die Früchte der Saison in kreativer und geschmacklich herausragender Umsetzung perfekt wider. Der Rehrücken ist butterzart und aromatisch, doch die beiden Gemüsekomponenten setzen diesem Gericht die Krone auf. Es passiert nicht oft, dass ich auf ein Stück Fleisch zugunsten größerer Gemüseportionen zu verzichten bereit wäre, hier trifft dies zu. Insbesondere der mit einem hervorragenden Weißweinessig marinierte Kürbis hat es mir angetan. Vielleicht, weil er mich an den sauer eingeweckten Kürbis meiner Oma erinnert. Große Kochkunst versteht es (auch) Erinnerungen zu triggern und große Emotionen zu stimulieren ... Wald und Feld und stählern blauer Himmel; Sonne, die durch buntes Herbstlaub fällt. Abschied vom Sommer und die Erwartung eines nicht mehr fernen Winters. All das spiegelt dieser Teller wider ...

4. Gang: Rib-Eye vom Bison | Süßkartoffelpürree | Wilder Brokkoli | Erdnuss-Oliven-Barbeque-Tapenade | Pfeffersauce

Amors Pfeil muss Martin Kandlbinder inmitten seiner Küche getroffen haben, denn sowohl das Süßkartoffelpürree, als auch das perfekt gebratene, sehr aromatische Rib-Eye-Steak vom Bison haben eine Spur zu viel Salz abbekommen. Ansonsten brilliert auch dieser Gang in Komposition, Zutatenqualität und seiner saisonalen Stimmigkeit. Die in der Sauce und auf dem Steak verwendete Pfeffervarietät ist eine aromatische Offenbarung.

5. Gang: Créme Brûlée | Karamelisierte Aprikose

 

Das Dessert ist schlicht. Wenn es schlicht ist, muss es in sich nicht verbesserbar sein. Das ist es. An eine bessere Créme Brûlée können weder meine Begleiterin noch ich uns erinnern. 

Espresso

Ein hervorragender Espresso beschließt den kulinarischen Abend. Für rund 80 Euro ohne Trinkgeld pro Person haben wir hervorragend gegessen und getrunken. Die Portionen waren in Relation zu manch anderem Restaurant dieser Klasse üppig bemessen. Der Service von Katl Faißt war herzlich, persönlich und trotz personeller Unterbesetzung ausgezeichnet, das Ambiente stilvoll und (ausgenommen wie geschildert die Musikuntermalung) gemütlich, Besteck, Gläser und Geschirr von erster Güte.

Martin Kandlbinders Überraschungsmenü stufe ich persönlich - und das trotz der erwähnten kleineren Schwächen in Gang 2 und 4  - als „eine Küche voller Finesse und einen Stopp wert!“ ein. Dies die wortwörtliche Umschreibung des Guide Michelin für Restaurants, die von ihm mit einem Stern ausgezeichnet werden.

Sollte an meiner Stelle allerdings ein strenger Tester des Guide Michelin einen über den Punkt gegarten Fisch und eine Prise Salz zu viel an einem Süßkartoffelpürree schmecken, könnte dies das (meiner subjektiven Einschätzung nach) überfällige Upgrade der Restaurantbewertung von "Bib Gourmand" auf "1 Stern" womöglich vereiteln. 

Gegenüber meinen zurückliegenden Erlebnissen in diesem Restaurant erkenne ich eine subtile kulinarische Weiterentwicklung des Küchenstils: Weg von allzu strikter Konzentration auf französisch inspirierter Küche der "Götter" der Jahrtausendwende, hin zu mutigerer Integration von internationalen Cross-Over-Akzenten. 

Das gefällt mir! Wer es "nur" versteht die Küche seiner hochdekorierten Lehrmeister zu reproduzieren (by the way: Ich selbst wäre froh, dies auch nur ansatzweise zu schaffen!) landet leider allzu schnell in die Kategorie von Elvis-Imitatoren oder Mona-Lisa-Kopisten. Wer als Koch nach den Sternen greifen will, sollte meiner Meinung nach einen in fruchtbarer Erde der Tradition wurzelnden, aber individuellen Stil entwickeln und diesen kontinuierlich weiterentwickeln, sofern ihm/ihr ein "Sich-Immer-Wieder-Neu-Erfinden", wie es exemplarisch dem Jazz-Musiker Miles Davis und Pop-Ikone Madonna immer wieder gelang, nicht liegt.

Kleine Abweichungen von der Benchmark "Perfektion" unterlaufen unter Stress vermutlich jedem noch so weltbekanntem Koch gelegentlich. Ich wünsche Martin Kandlbinder, dass ihm solche Unkonzentriertheiten künftig so selten wie möglich unterlaufen und spreche meinen geneigten Leserinnen und Lesern auch heute wieder eine uneingeschränkte Empfehlung für Kandlbinder Küche in Ponholz aus.







 





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