Freitag, 24. Juli 2015

Im Schanzenbräu zu Nürnberg-Gostenhof

copyright 2015 Robert Bock
Als uns die Rolltreppe gemächlich aus den Eingeweiden Nürnbergs ans helle Licht des Tages befördert, schwant uns Unheil:

Ein Obdachloser taumelt mit seinem Hund die Treppe hinunter zu den Geleisen der U-Bahnstation Gostenhof und streitet dabei lautstark mit einem des Fränzösischen mächtigen imaginären Kontrahenten.
Der Himmel öffnet sich Grau in Grau und letzte Tropfen eines kurzen, heftigen Gewitterschauers ärgern ein Grüppchen Punks, die um kurz vor Elf Uhr an diesem Sonntag schon - oder noch? - den Tank halbvoll haben und ungeniert aufs regennasse Trottoir rotzten.
Madame in fescher Robe an meiner Seite zuckt zusammen und umklammert den Griff ihrer Handtasche eine Idee fester ...
von Robert Bock

Bitte beachten: Sämtliche Posts stellen persönliche und höchst subjektive Meinungsbilder des jeweiligen Verfassers dar und sind auf keinen Fall verallgemeinerbar. Das Recht zu sachlicher Kritik ergibt sich aus dem im Artikel 5 des Grundgesetzes verbrieften Recht auf freie Meinungsäußerung - auch wenn negative Kritik manchmal sehr unliebsam sein kann. Gastronomen, Küchenpersonal und Servicekräfte sind wie die Gäste Menschen und haben gute und schlechte Tage im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Jede Kritik ist also eine lediglich subjektive Momentaufnahme: Was heute schlecht war, kann morgen gut sei und umgekehrt. Die Verfasser der Beiträge dieses Blogs bemühen sich um Konstruktivität, um Gastronomen zu helfen, kontinuierliche Verbesserungsprozesse zu initiieren und für potenzielle Gäste die Markttransparenz zu verbessern.


Hatte sich diese Facebook-Gruppe Nürnberger Hobby-Restaurantkritiker, die ich tags zuvor um einen Tipp gebeten hatte, einen Scherz mit mir erlaubt? Ich bat um Rat, wo man als Besucher Nürnbergs, fernab der Touristenfallen, gepflegte, traditionelle fränkische Küche geniessen könne? Hatte sogar betont, zwar käme ich aus Regensburg, sei aber gebürtiger Oberfranke, um den gelegentlich zu Bärbeissigkeit neigenden Mittelfranken konziliant zu stimmen. Und meine Bitte um Empfehlung eines Lokales, in dem vor allem Einheimische verkehrten: war sie nicht freundlich und höflich formuliert ...?

Die Schankwirtschaft des Schanzenbräu in Nürnberg-Gostenhof wurde mir von verschiedenen Leuten in dieser netten Gruppe, und das wärmstens, ans Herz gelegt. In die Adam-Klein-Straße 27 hatte man uns also geschickt, nur 10 Minuten mit der U1 Richtung Fürth ab Hauptbahnhof samt Fußweges. Im Grunde ein Katzensprung ...

Holy shit - Wo sind wir da nur hingeraten?, denken wir und schauen uns zweifelnd an, derweil uns die Rolltreppe an die Erdoberfläche und mitten ins Geschehen speit ...

Ihr fragt Euch jetzt vielleicht: Was führt ihn und Madame um alles in der Welt ins "Ausland" - zu den Franken nach Nürnberg und wieso gehen die beiden dort zu allem Überfluß auch noch fremd? Gastronomisch-kulinarisch, versteht sich ...

Nun, Karten für die Staatsoper: Richard Wagners Siegfried. Vorstellungsbeginn um 15:30 Uhr, Ende 20:45 Uhr: Netto 4 (vier!) Stunden Wagner zuzüglich Pausen und ausgerechnet in der ehemaligen "Stadt der Reichsparteitage"? Das erfordere eine solide Unterlage, um etwaig lauernde Gelüste zu unterbinden, nach der Vorstellung spontan in Polen einmarschieren zu wollen ... Woody Allen hat das in einem seiner Filme so formuliert - immer wieder köstlich, wenngleich dem großen Komponisten, Erfinder des Gesamtkunstwerkes, des Leitmotives, dem Schöpfer des Tristan-Akkordes gegenüber unfair.

Anreise mit dem Bayernticket, die Oper ist nur 400 Meter vom Hauptbahnhof entfernt und die Benutzung sämtlicher Nahverkehrsmittel inbegriffen. Wir wollten uns also einen netten Sonntag in Nürnberg machen - und hierzu gehört zweifelsohne auch etwas Ordentliches zum Schmausen. Ich bin mir sicher, gerade die Leserinnen und Leser meines Blogs sehen das kein Jota anders als wir ...

Gostenhof also ... Und wir darauf nicht vorbereitet.

Ich gestehe: mir war dieser Stadtteil der Frankenmetropole bis dato kein Begriff. Jetzt schon ... Wikipedia schreibt über Gostenhof unter anderem:

"Im Zweiten Weltkrieg blieb Gostenhof weitgehend unzerstört. Infolge der wenig attraktiven alten Bausubstanz und seiner innerstädtischen Lage ohne Grünflächen entwickelte sich Gostenhof wie viele andere deutsche Innenstadtbezirke zu einem Stadtteil, der heute überwiegend von ärmeren und ausländischen Familien bewohnt wird. Die Bevölkerung Gostenhofs setzte sich 1997 aus Angehörigen von über 40 Nationen zusammen, im Gostenhofer Kerngebiet sowie in der Bärenschanze betrug der Ausländeranteil 2005 über 42 Prozent.

Gostenhof galt lange Zeit als Nürnberger Bronx oder Glasscherbenviertel (mundartlich: Glosschermverdel). Das kommt beispielhaft in einem Lied des Nürnberger Liedermachers und Ingenieurs Günter Stössel zum Ausdruck: Seine Adaption des Klassikers House of the rising sun lautet Dou schdäihd a Haus in Gost'nhuf. Dank umfangreicher Sanierungsarbeiten hat sich das Image Gostenhofs jedoch inzwischen verbessert. Seit den 1980er Jahren hat sich der Stadtteil auch ein alternativ angehauchtes Image zugelegt, was sich in einer großen Anzahl von Kneipen, Initiativen und Künstlerwerkstätten sowie den regelmäßig stattfindenden Gostenhofer Werkstatt- und Ateliertagen GOHO niederschlägt."
copyright 2015 Robert Bock


copyright 2015 Robert Bock
Unweit der Dreieinigkeitskirche in der "Nürnberger Bronx" unser kulinarisches Ziel: Kurz vor Elf, der Schanzenbräu hat soeben aufgesperrt, wir sind nicht die ersten Gäste. Der gemütlich wirkende Biergarten ist ob des Gewitterschauers nass; auch wenn es einige überdachte Tische dort gibt: Madame zieht es ob der zugigen Witterung vor, einen Tisch im Schankraum einzunehmen.

Das Ambiente des Innenraumes löst in mir spontan den "Nichts-wie-raus-Reflex" aus. Die Worthülsenfabrikanten des bayerischen Rundfunks und kreativitätsdefizitäre Provinzjournalisten würden vermutlich Redewendungen wie "ein stückweit" und "aus der Zeit gefallen" verwenden, um den Schanzenbräu zu beschreiben - ich drücke es, messerscharf entlang meines persönlichen Eindruckes, wie folgt aus: Der Laden sieht innen mindestens so abgefuckt und schäbig aus, wie ich mich des Wirtshauses Zipser Berg in Bengerdz erinnere, in dem mein Opa zu Lebzeiten abends "sei Seidla" getrunken, einen Stumpn geraucht und am Stammtisch "gekartelt" hatte.

Schmale Tische, ähnlich wie beim Röhrl in Eilsbrunn, dicht an dicht: Resopaltische jahaa - wo immer sie die aufgetrieben haben, aber wahrscheinlich alle noch original - halbhoch holzvertäfelte Wände und eine wenig ansehnliche krustige Schicht von Bier- und Nikotinausdünstungen an Wänden und Decken. Oha: Leuchten im Stil des Bauhaus ...? Interessantes Ausstattungsdetail. Am Kopfende der Schanktresen mit der Gläservitrine und einer funzeligen, mit Werbung der Braurerei versehenen Beleuchtung über den Zapfhähnen ... Was fehlt, ist einzig die legendäre "Luft zum Schneiden" solcher Tempel fränkischer Gastronomiekultur aus früheren Zeiten; uns fehlt sie nicht - wir wissen das gesetzliche Rauchverbot sehr zu schätzen.

copyright 2015 Robert Bock
Zuletzt hab ich ein Wirtshaus derart derben Charmes in Prag erleben dürfen; etwas abseits des Touristentrubels auch dort. Das Essen tschechisch-rustikal, spottbillig und lecker wie das Bier ... Ich handelte mir einen denkwürdigen Rausch dort ein. Würde mir das im Schanzenbräu auch blühen? Eine Ratgeberin aus der besagten Facebook-Gruppe jedenfalls hatte mir in Aussicht gestellt, dass ich womöglich auf die Oper pfeifen würde, wenn ich erst einmal im Schanzenbräu säße und säße und säße ...
 
copyright 2015 Robert Bock
"A warms Essn grichter erscht ab Zwölfa; etza gibds bloß a Weißwurschtgedeck", sagt uns die freundliche und sehr entspannt agierende junge Dame in der kurzen Hose, die den Service am frühen Sonntag zunächst alleine schultert. Egal wer seinen Kopf aus der Küche streckt: kaum jemand scheint mehr als dreißig Lenze auf dem Buckel zu haben; ein junges Team in einer Umgebung, wie sie deren Groß- und Urgoßeltern kannte und zu schätzen wußte ... Das gefällt uns! Sehr sogar.

Wir platzieren uns an einen kreisrunden Tisch mit nikotingelber Resopaloberfläche auf der Eckbank im hintersten Winkel des langen, rechteckigen Gastraumes, der falls es Not täte, etwa mittig mit einer Klappwand geteilt werden könnte. Salz, Pfeffer, Zahnstocher einzeln verpackt. So kenn ich das aus Oberfranken von Dorfwirtshäusern in der Fränkischen Schweiz; schon fühle ich mich nicht mehr so fremd ...

Wie schön: Keine Hintergrundmusik, schon gar keine Mattscheibe, die die Gäste hypnotisiert, wie die auf dem Bahnsteig der U-Bahn vorhin. Die schon anwesenden Gäste hypnotisieren sich lieber eigenständig, sei es mit den Nürnberger Nachrichten im hölzernen Halter oder ihrem Smartphone. Ein Päarchen unterhält sich  angeregt und sie zuzeln - oder zulln sie? - dabei ihre Weißwürscht. Sie kennen sich schon länger, das merkt man ...

copyright 2015 Robert Bock
Überhaupt das Publikum: Vom Studenten, über rüstige Witwer und Dreigenerationenfamilien ist an diesem frühen Sonntagmittag ein wahrhaft buntes Sammelsurium vertreten. Das Schanzenbräu, vermuten wir, je länger wir schauen, hören und sitzen, übernimmt eine wichtige Funktion als Treffpunkt des Viertels; will laut Homepage auch nur begrenzt Tischreservierungen annehmen (im Garten gar keine), damit spontane Gäste jederzeit ein Plätzchen finden auf ein Bier oder auch zwei. Ist das nicht schön?

copyright 2015 Robert Bock
Madame entschuldigt sich zum Händewaschen. Und?, will ich wissen - Tiptop. Es spiegele und glänze bei den Ladies. Sie hatte sich aufs Schlimmste eingestellt ...  Ein wenig später will auch ich der Chronistenpflicht Genüge tun und kann mich ihrem Sauberkeitsurteil, in diesem Fall für das Männerörtchen, anschließen. Einen flüchtigen Blick auf die Auslage des feilgebotenen Sortimentes des dortigen Verkaufsautomaten, möchte ich der werten Leserschaft allerdings ermöglichen ...



Zwölfa ist weit und an uns nagt der kleine Hunger, so ordern wir den fränkischen Andibassdi-Deller, also das besagte Weißwurschtgedeck, Madame einen Viertelliter Bacchus aus Stammheim/Franken und ein großes Wasser gegen den Durst an diesem schwülwarmen Tag. Ich bestelle mir ein hauseigenes "Rotes Bier", die Halbe zu 3,10 EUR. Hell, Rot, Dunkel - so die Farbenlehre des Schanzenbräu. Versteht sogar ein Weintrinker wie ich. Man kann den Stoff auch fassweise ab 10 Liter für 5,50/Liter quasi "to go" nach Hause entführen, lese ich auf einer Tafel an der Wand.

Die Schanzenbräu ist eine Kleinstbrauerei und wurde 2006 von "Mister Schanzenbräu" Stefan Stretz inmitten des alten AEG-Areals in Gostenhof gegründet. Verwendet werden überwiegend regionale Rohstoffe. 2008 kam die Schankwirtschaft dazu in der wir sitzen. Namensgebend und Inspiration fürs Bärenkopflogo dürfte wohl der benachbarte Stadtteil Bärenschanze mit seiner Festung aus dem Dreißigjährigen Krieg gewesen sein. Bier und Wirtshaus erfreuen sich großer Beliebtheit. Wir verstehen Minute um Minute besser, warum.

copyright 2015 Robert Bock
Der duftige, fruchtige Bacchus kommt zwar perfekt temperiert in einer kleinen Karaffe aber mit einem Glas, in dem anderswo italienischer Amaro serviert würde. Madame zuckt mit der rechten Braue - kein gutes Zeichen ... Dieses Glas sei ein Verbrechen an diesem an sich schönen Wein. Allmächt, was willsdn in Närmberch a anderscht erwaddn? Dou dringd ma halt a Bier ..."

Und was für ein Bier ...! Ein großzügiger Schluck von diesem "Roten" in seinem beschlagenen Glas mit dem Bärenkopf auf dem Logo und ich denk, ich bin im Himmel!, proste Karl Marx zu, der schräg über mir mit einem Seidla in der Hand von der Wand lächelt und wundere mich, wie malzig, herb und lang im Abgang ein Bier am Gaumen geraten kann, das noch dazu so hopfig frisch und kühl im Antrunk ist. Vergleichbares kenn ich ansonsten nur von gutem Wein und fordere Madame auf - fürwahr keine Bierenthusiastin! - einen Schluck zu goutieren. Man hätte ihre goßen Augen sehen sollen ... Und erst dieses wohlige Mhhh ... aus den Tiefen ihrer schlanken Leibesmitte, als sie sich den Schaum von der Oberlippe leckte. 1:0 für den Schanzenbräu! Selber schuld sag ich zu ihr, was bestellst denn ausgerechnet in der Schankwirtschaft einer Brauerei auch einen Wein ...? Die diesbezüglich negative Erfahrung unseres Besuchs im Spitalkeller neulich war noch nicht eindringlich genug.


copyright 2015 Robert Bock

Das Weißwurschtgedeck ... Skeptiker mit einer Vorliebe für Grundsatzdiskussionen stellen spätesten an dieser Stelle die Frage: Wo liegt er konkret, der Weißwurstäquator: Donau oder Main? 

Diese Zuagroaßtn-Hochburg im Süden des Freistaates, die die Erfindung der Weißwurscht für sich reklamiert, würde vermutlich mehrheitlich für die Donau optieren. Somit schiede strenggenommen bereits Stadtamhof als zulässiger Verkostungsort dieses an sich grundfaden und ohne Händlmeiersenf ungeniessbaren Stücks Metzgerhandwerkstradition aus. Vom großen Rest der Oberpfalz gar nicht zu reden ... Wir beschliessen: Drücken wir ein Auge zu und geben wir der Gostenhofener Interpretation eines Weißwurstgedecks eine Chance.

copyright 2015 Robert Bock
Wir teilen uns eine Portion als "Mogndretzala" bevor die Küche ab Zwölfa startklar zum Schicken wäre.
Zwei Weißwürscht - nur Preissn bestellen sie paarweise! - eine Brezn, Butter, (entbehrliche, gleichwohl essbare) vegane Deko und Weißwurschtsenf. Aller Wahrscheinlichkeit nach - so meinen oder wünschen wir uns - aus der wahren Hauptstadt des süßen Senfes: Regensburg.
Die Würscht serviert man uns in einem betagten Emailtöpfchen mit Deckel - ohne die Anbiederung an den, in Münchner Bierlokalen üblichen, weiß-blauen bauchigen Porzellan- oder Steingutkitsch, auch weit und breit kein König Ludwig, auch wenn der ein Spezl vom Wagners Richard war .. Sehr schöne Idee! "Urig" würde ein Preiss sagen, würd sich einer hierher verirren. Ach, wahrscheinlich verkehren's längst auch hier. Mit denen verhält es sich ganz ähnlich, wie wennst Ameisen im Haus hast: erst eine, dann zwei, drei - dann dauerts ned lang und es bilden sich Straßen ... Das Besteck: Ein ausgezeichnetes Messer mit Wellenschliff nebst Gabel in einer Papierserviette eingewickelt und mit einem Bändel Metzgersgarn in den fränkischen Nationalfarben verschnürt: ein Detail, das Liebe zu selbigem verrät.

Die Breze präsentiert sich ohne die bei uns üblichen groben Salzkristalle, die nicht jedermans Sache sind, hauchdünn mit einer Schicht Salzlauge überzogen: warm, fast heiß, und ausgezeichnet. Die Weißwurscht: prima - wir wüßten beide nicht, was man an diesen Weißwürschten auszusetzen haben könnte, es sei denn man suchte zwanghaft nach Kritikpunkten. Tun wir aber nie, wir betreten jedes Lokal mit grundlegendem Wohlwollen - auch wenn uns das Gastronomen, die eine nach unseren persönlichen Ansprüchen und Maßstäben suboptimale Tagesperformance abgeliefert haben und die sich dann folgerichtig so in der Rezension spiegelt, gelegentlich nicht abnehmen wollen ...

Der kleine Hunger wäre erfolgreich überbrückt - was wollen wir uns um Zwölfa schicken lassen? Wie gesagt: Vier Stunden nackte Spielzeit Siegfried: die deutsch-polnische Freundschaft ist eine noch zarte Pflanze, wir brauchen mehr im Bauch als nur je eine Weißwurscht und eine halbe Brezn ... Die Dageskadde hängt über der Eingangstür:

copyright 2015 Robert Bock

Ohne Worte, oder? So stell ich mir eine Tageskarte in einem fränkischen Wirtshaus vor. Und weil wir inzwischen in einem geeinten Europa leben, und Gostenhof ein bunter Stadtteil ist, drück ich sogar bei der Gazpacho ein Auge zu. Junge Leute machen ein junges fränkisches Wirtshaus und verfallen nicht der Versuchung, sich bei jedem zweiten Gericht zeitgeistigen mediterranen Anklängen anzubiedern, tätowiert vom Großzeh bis zum Atlaswirbel, mit Kinnbärtchen und Wollmütze rumzulaufen, statt Tellern, rechteckige oder asymmetrische "Lebensmittepräsentationsflächen" zu verwenden, wo zwischen allerhand überflüssigem aber billigem Gemüsegedöns aus der Familie der Nachtschattengewächse, Miniaturausgaben heimischer Wirtshausküche gesucht und gefunden werden wollen. Das fasst man dann unter dem Schlagwort "moderne baierische Wirtshauskultur" zusammen und dies ist nicht unbedingt ein Fortschritt, nur weil er sich selbst mit dem Attribut "modern" versieht. Die Version von "modern" im Schanzenbräu gefällt mir, gebe ich zu; sie ist im besten Wortsinne konservativ: Tradition sei nicht das Halten der Asche, sondern das Weitergeben der Flamme, sagte Thomas Morus, der schrieb Utopia und muss es wissen.

Wir ordern beide den Klassiker: "Ofenfrisches Schäufele mit Kloß & Salat" für 9,80 EUR. Ich stutze: Haben sich etwa Schwaben hier eingeschlichen? Gostenhof der Prenzlauer Berg Nürnbergs ...? Muss es nicht im korrekten Närmbercherisch "Scheiferla" oder "Schäuferla" heißen ...? Statt Klößen Glais oder Gniedla ...? Egal - die Tageskarte sei uns heute Referenz ...

Meine Madame, die klassischen fränkischen Klößen aus rohen Kartoffeln auch "mit Breggala" drin nicht viel abgewinnen kann - sie wurde kulinarisch in der ehemaligen Sowjetunion sozialisiert und dann denk ich mir immer wieder, was ich doch selbst für ein Glück gehabt habe ...  - bestellt ihr Schäufele mit "Röstklößen", die es auf der Tageskarte als Beilage zum Biergulasch gibt; ich hingegen will das Gericht so, wie es sich Küchenchef oder -chefin für den Gast ausgedacht haben ... So mach ich das normalerweise, wenn ich irgendwo zum ersten Mal bestelle.

Der Zeiger rückt auf Zwölfa zu, wir warten auf unsere Schäufele. Der Bacchus ist beinahe geleert, ich habe mir ein Radler aus dem Hellen machen lassen - Madame und ich hellauf begeistert! - philosophiert sie aus dem Nichts : Dürfte sie sich ihre Nationalität aussuchen, sie würde sich für Franken entscheiden. -- Ich baff, frag sie warum? -- Die schönen Landschaften, ihr geliebter Frankenwein, die goude Worschd ... Bressagg, Brodwärschd, dafür lebt und stirbt Madame alternativ zur Sterneküche, jawohl ... Das wundervolle bodenständig-rustikale Essen, egal ob in Ober-, Mittel- oder Unterfranken und - schiebt sie nach - der herzliche Menschenschlag.
So schauts nämlich aus, Ihr Franken dieser Welt: Als "herzlich" werdet ihr vom Russn wahrgenommen, habd ers glesn ...?

copyright 2015 Robert Bock
11:59 in Gostenhof: Auftritt Beilagensalat aus den Händen eines jungen Boten aus der Küche: Nicht spektakulär, absolut in Ordnung. Gurkensalat mit Dill, dem a weng a Zucker nicht geschadet hätte; schönes Jogurtdressing auf dem Blattsalat; frische, grob geraspelte Karotten, süßlicher Weißkrautsalat. Keine Paprika - Madame fällt so etwas auf, sie mag sie nicht leiden.

Drei, vier Minuten später folgen - aus Händen des selben jungen Mannes - unsere Schäufele. Wir hatten - wisst Ihr's noch? - einmal klassisch, einmal mit "Röstklößen" bestellt. Es kamen zwei klassische ...

Oh, das sei wohl in der Küche nicht angekommen, meint er und zuckt die Achseln - Oder wollte es  nicht angekommen sein ...? Uns fällt seine grundsätzliche Abneigung Sonderwünsche bezüglich der Beilagen anzunehmen auf, als er die Bestellungen anderer Gäste annimmt. Ob das nur seinem persönlichen Widerwillen geschuldet ist, oder ein "Anweisung der Küche", auf die er die Verantwortung verbal grundsätzlich zu schieben scheint, lasse ich mangels Einsicht hinter die Kulissen offen. Jedenfalls schade;  irgendwas ist halt immer ...

copyright 2015 Robert Bock
Madame seufzt, grantelt a weng und akzeptiert den klassischen Kloß. Sie widmet sich, wie auch ich, zunächst der Kruste zur. Besser kann die Kruste eines Schäufele nicht gelingen, wir knuspern sie ratzputz und andächtig weg, solange sie noch heiß ist und fragen uns, warum so wenig?
Das liegt nunmal am speziellen Schnitt der Schweineschulter hier in Franken. Als Enkel eines oberfränkischen Metzgermeisters weiß man das ...
Die Kruste hat lediglich Salz und Pfeffer gesehen, das Fleisch war, nach unserem Dafürhalten, mit einer Mischung aus Salz, Pfeffer und - sehr dezent - geriebenen Wacholderbeeren gewürzt. Die Soße kaum bis nicht gebunden, mit Wurzelgemüse angesetzt, markant gesalzen, jedoch nach unserem Geschmack noch im grünen Bereich und handwerklich so, wie man das von Oma kennt, die noch weiß, wie so etwas geht: "ofenfrisch".
Das Fleisch ist butterzart, es fällt vom Knochen und Bissen für Bissen ein Genuss wie auch der Kloß. Der gefüllt mit Breggala, wie sich das hier gehört. Ich selbst würde sie anrösten - aber vielleicht meegn des die Nermbercher ned aso ...

Pulled Pork, Schweinefleisch das zart vom Knochen fällt, hält mancher kulinarisch unerfahrene Adoleszent vielleicht für eine Erfindung der "Street-Food-Szene" - in Franken machen sie aus der Schulter vom Schwein, Schwein, das vom Knochen fällt, schon länger, als Menschen sich erinnern können, sagen Schäuferle dazu und verkaufen es in beeindruckenden Portionen zu erschwinglichen Preisen, nebst Klößen, die einen C-Cup füllten, Soß und Beilagensalat. Und mit den Fingern braucht man auch nicht zu essen, sitzt bequem, speist kultiviert mit Messer und Gabel. Auch diese Kulturleistung will Generation für Generation mühevoll gelehrt und erlernt sein ...


Für 40,10 EUR plus Trinkgeld verlassen wir (den oder das?) Schanzenbräu in Nürnberg-Gostenhof sadd &zufriedn und beide einer Meinung: A soua schains Wirtshaus! Schade, dass wir tatsächlich Vergleichbares bei uns nicht kennen. Der Röhrl in Eilsbrunn kommt von der Richtung her hin, traut sich aber, nach unserer Meinung, ähnlich wie der Auerbräu nicht die konzeptionelle Schlichheit des Schanzenbräu und dessen Großstadtviertelradikalität zu. Aus meiner Jugend kenne ich noch das alte Cairo in Straubing - leider Geschichte, es musste einem seelenlosen Einkaufszentrum weichen, aber es atmete ähnlichen Geist ...

Vielleicht liegt es auch daran, dass das Erfolgsgeheimnis eines jeden gastronomischen Konzeptes aus seiner unverwechselbaren Melange aus Ort, Gebäude, Küche, Wirtsleuten und Gästeklientel bestehen muß, und dieses gastronomische Kleinod auf dem Weg zur Institution in Nürnbergs Szene nur dort und nirgendwo sonst in dieser Facon vorstellbar und erfolgreich sein könnte ...? Dann fällt mir Prag wieder ein, ja Prag ... Gold auf deinen Dächern, Gold in deinen Gläsern.

copyright 2015 Robert Bock
Warschau musste uns, ob dieser glückseeligmachenden festen und flüssigen Unterlage nicht fürchten. Obwohl uns beim Bummeln durch die Altstadt das "Cafe am Trödelmarkt" den gerade erworbenen Vorrat an guter Laune beinahe geraubt hätte: Wie? Den Apfelkuchen kurz in der Mikrowelle aufwärmen? Was? Vanillesoße dazu? Nein, das geht nicht ... Vanille-Eis wenigstens? Mhh ... Zumindest das.
Mein Cappucino lauwarm und dünn, vermutlich eine WMF-Maschine, aus der man nach meinem persönlichen und völlig unmaßgeblichen Geschmack, nur mit den richtigen Kaffeebohnen so etwas wie italienischen Charme zu destillieren vermag, und ein Service auf berittener Schnecke ... Den Amerikanern, Spaniern und Japanern um uns herum schien es in dem schönen Fachwerkambiente der Terrasse am Westrand der Altstadt zu gefallen - wenigstens ihnen, uns leider insgesamt nicht. Wir werden uns dieses Café einzig aus einem Grund merken: um nicht versehentlich ein zweites Mal dort Platz zu nehmen, wenn wir in Nürnberg sind. Nächstes Mal frag ich die netten Menschen in der Nürnberger Facebook-Gruppe auch nach einem Café, hab ich Madame versprochen. Dann wird auch das ein Erlebnis werden, dessen sind wir nach unserer Schanzenbräu-Erfahrung zuversichtlich.

copyright 2015 Robert Bock
Ein Erlebnis der unvergesslichen Art und krönender Mittelpunkt unseres Sonntages, war schließlich Richard Wagners Siegfried im Nürnberger Operhaus. Es stimmte einfach alles: Ein schönes Opernhaus, stilvolles Ambiente in den weitläufigen Foyers. Erschwingliche Getränke, um in den Pausen  Flüssigkeit zu tanken. Ob der Schwüle Mitleid mit den durch die Bank brillianten Sängerinnen und Sängern des Ensembles und dem fantastisch aufgelegten Orchester.
Die Inszenierung zwar modern und manchmal hart an der Grenze zum Klamauk. Aber es gelang der Regie durchaus, dem angestaubten Nibelungen-Stoff aktuelle Facetten abzugewinnen. Ab Herbst steht dann des "Ringes" vierter Teil auf dem Spielplan: Götterdämmerung - Nürnberg, wir werden dabei sein und für Tipps, wo wir dann vorab zu Mittag speisen und Kaffee und Kuchen zu uns nehmen könnten, sind wir jederzeit offen.

Ach ja - ein paar kulinarische Details, das Opernhaus betreffend, will ich nicht unterschlagen: Gegen Ende jeder der beiden Pausen, duftete das das ganze Operhaus gar wunderbar nach geräuchertem Schinken! Ich glaube das erlebt man nur in Franken ... Ob der Duft gegrillter  grober Bratwürste über den Grünen Hügel zu Bayreuth wabert? Wir wissen es nicht; noch waren wir nicht zu Gast bei den dortigen Festspielen ... Der kulturinteressierte Mensch braucht Ziele.

Zwischen den Aufzügen servierte das Catering der Staatsoper - neben Geräuchertem im Gluck-Saal und zeitlos-öden Canapées mit Lachs, Brie und getrüffeltem Pipapo auch schlichte Brezn. Auch diese - wie im Schanzenbräu - bar groben Salzes, und für mich steht deshalb fest: Der "Breznsalzer" zählt offenbar in Mittelfranken, im Gegensatz zu unseren Breiten, nicht zu den Ausbildungsberufen.


3 Kommentare:

  1. Lach,wie immer hast des sooo schee geschrieben,dass ich jetzt um neun Uhr in da früh scho an Glustara auf a leckeres Schäufele hab.
    Mir sann a oft in Franken,hamm sehr gute Freunde in Lauf an da Pegnitz,und ich liebe die Franken,die Sprache,allmächd na *g* und das Essen sowiesoo.
    Mach weiter so Robert,deine Jünger*g* warten auf mehr.

    LG Claudia

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    1. Für ein gut gemachtes Schäufele ist es nie zu früh ;) Danke Claudia!

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  2. Tipp für das nächste Mal: Für richtig guten Kaffee und den besten Kuchen der Stadt begibt man sich einfach ins Cafe Wohlleben in der Nordstadt!

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