Foto: Robert Bock |
Madame und ich waren Anfang Oktober gezielt, wenn auch nicht zum ersten Mal in diesem Ort, um ein Gasthaus im Ortskern kennenzulernen, das dort seit dem 17. Jahrhundert als Dorfwirtshaus dokumentiert ist: Das Gasthaus Lamm, auch "Mitterwirt" genannt.
Im einstigen Stammlokal des Tiroler Freiheitshelden Andreas Hofer bewirtet heute Familie Fontana mit bodenständiger Tiroler Küche und typischen Passeirer Spezialitäten. Man ist Mitglied bei Slow Food und der Gastronomenvereinigung "Südtiroler Gasthaus - Locanda Sudtirolese". Das verspricht die Verwendung guter, regional erzeugter Zutaten und eine tiefgründende Verpflichtung zum Erhalt gewachsener, regionaler kulinarischer Traditionen in einer Epoche der Macdonaldisierung der Welt.
Köchin Hildegard Fontana wurde, als erste Passeirer Köchin überhaupt, mit einer Haube und 13 Punkten in den Gault Millaut aufgenommen. Genau das richtige Lokal für Madame und mich, um gepflegt den letzten Abend vor der Heimreise nach Regensburg zu verbringen.
von Robert Bock
Foto: Robert Bock |
Es bedient uns der Chef des Hauses höchstpersönlich: Arnold Fontana, ein freundlicher, zurückhaltender Mensch, der ein wenig in seiner eigenen Welt zu leben scheint, so wie wir ihn erleben, bringt uns die Karte. Die ist, wie es sich für ein Lokal dieser Güte gehört, übersichtlich und durchdacht. Eines der Gerichte auf der Karte, erklärt er uns, sei heute mangels bestimmter Zutaten, die den Ansprüchen seiner Frau qualitativ genehm gewesen wären, nicht verfügbar. Den Grund können wir gut akzeptieren.
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Ein Gemischter Salat Für 4,70 EUR soll uns heute gemeinsam als Entré genügen, zumal die Küche uns einen Gruß in Form von Brot mit Kräuterquark schickt.
Brot und Kräuterquark - das ist ein solides, wenngleich ziemlich einfallsloses Amuse-Gueule, meinen wir und hoffen, dass man sich die kreativen Geistesblitze für die Hauptsachen aufgehoben hat. Weder die eine, noch die andere Komponente haut uns dabei vom Stuhl, auch nicht, dass wir - wie in Italien, nicht zwingend aber in Südtirol üblich, den Salat selbst anmachen müssen/dürfen.
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Als Weinbegleitung zu unseren Hauptgerichten entscheiden wir uns beide für einen Blauburgunder Schreckbichl - etwas dünn im Körper, selbst für einen Blauburgunder, aber beiden Gerichten, die kommen würden, durchaus angemessen. Das Viertel zu 7,80 EUR. Obergrenze der Fairnesse angesichts der überschaubaren Tragweite der Klasse dieses Südtiroler Tröpfchens.
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Die Speckknödel sind sehr gut; das Gemüse ist Gemüse, es entwickelt nicht die sensationelle Finesse und Aromenexplosion, die ich tags zuvor in Sirmian erleben durfte: Gemüse halt, nicht mehr nicht weniger, doch gut im Biss. Die Sauce ist ungebunden und kommt ein wenig kraftlos daher. Ein kräftigerer Schuss Rotwein (oder ein kräftigerer, als der verwendete ...) hätte ihr gut zu Gesicht gestanden, auch etwas mehr Tomatenmark oder (mehr) angeröstete Knochen können helfen, einer Sauce dieser Art etwas mehr Bumms und Leben einzuhauchen. Aber wer bin ich, dass ich einer "Haubenköchin" Ratschläge erteile? Madame probiert und meint: Das kannst du besser! Mein Abend kann ab diesem Zeitpunkt eigentlich kaum noch Steigerung erfahren ...
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Auch der Füllung fehlt etwas der Mumm. Ich beisse auf eine ganze Wacholderbeere: selbstverständlich gehört in ein Rehragout auch Wacholder - aber kann man die Beeren nicht vorab mörsern oder sie vor dem Weiterverarbeiten rausfischen? Es ist einem Gast wie mir kein Vergnügen, ein paar Minuten keinen anderen Geschmack im Mund zu haben, als Wacholder. Es sei denn er liebt Wacholder. Meine Liebe zu den eigenwillig schmeckenden Beeren hat Grenzen.
Der Wirsing, schmeckt nach Wirsing, ist noch al dente, hat seine schöne grüne Farbe behalten und das ist grundsätzlich gut. Trotzdem: Falls Hildegard in ihren Arnold noch verliebt sein sollte, müsste man andre Indizien als den Salzgehalt ihrer Speisen als Indiz heranziehen ...
Madame stochert auffällig lustlos in ihren Ravioli: Ihr fehlt etwas. Und zwar so etwas wie eine Sauce. Warum zum Beispiel keine braune Butter? Ein wenig Parmesan oder vergleichbarer regionaler Hartkäse dazu? Mhhh, was hätten drei, vier Esslöffel Nussbutter und ein wenig Käse den Nudeln gut getan? So aber bleibt am Ende das Gefühl zurück, dass die Küche oder der Service am Pass geschlafen haben: Ein Gericht wie Schuberts "Unvollendete" ...
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Das Gericht kommt auf einer Glaswippe, groß wie ein Kinderschlitten, optisch ansprechend, wenngleich nicht umwerfend präsentiert - und ebendieses Urteil fällt uns auch zum Geschmack ein. Warum? Von der Birne ist wenig - zu wenig - zu schmecken, die karamelisierten Walnüsse sind, unser beider Erachten nach, keine karamelisierten Walnüsse, sondern im Mixer mit Karamel zusammen kleingehauene Walnusskerne, die Schokosauce ist zu zäh und zu wenig schokoladig. Was uns aber besonders bedauerlich erscheint: Eine Pannacotta kennen wir anders: dieses Gericht scheint uns eher den Charakter eingekochten Rahms mit nach dem Erkalten untergezogener geschlagener Sahne zu besitzen, der mit Gelatine, die in Birnensaft/Likör aufgelöst wurde, in Stand versetzt wurde. Wir wissen es nicht, wir vermuten und rekonstruieren wild drauflos, weil wir uns diese eigenwillige Interpretation einer Pannacotta erklären wollen ...
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Der Service zeigt beim Dessertgang zudem Schwächen im Timing auf: Erst die Pannacotta, dann lange nichts, dann der Dessertwein und als Madame ihr Dessert schon beinahe verputzt hat, dann erst folgt mein Eis. Das ist einem Hauben-/13-Punkte-Lokal unseres Erachtens nicht angemessen.
Das ist die Krux des Vorschusslorbeers: Der Gast erscheint mit einer gehobenen Erwartungshaltung und man muss verdammt konzentriert sein, die gute Leistung, zu der man unbenommen fähig ist, stabil zu präsentieren. Tag für Tag, Gast für Gast, Teller für Teller. Unser persönlicher Eindruck war: solide, aber nicht begeisternd, zudem mit einigen gravierenderen Aussetzern, was Küche und Service anging. Eine Momentaufnahme wie stets, und natürlich subjektiv und keinesfalls zu verallgemeinern.
Man kann im Lamm solide gekochte, saisonal orientierte Südtiroler Küche aus regionalen Produkten in gemütlichem Ambiente geniessen, sollte aber unseres Erachstens versuchen, den Anspruch, den der Gault Millaut vermittelt, in der Bedeutung für einen selbst, tiefer zu hängen, damit man zufrieden nach Hause geht. Dieses "Gault-Millaut-Phänomen" kennt man ja durchaus auch aus heimischen Gefilden ...
Oh, das ist angesichts der hohen Anzahl von Schwachpunkten noch eine sehr wohlwollende, geradezu milde Bewertung.
AntwortenLöschenAber da das Lokal abseits meiner Hauptreiserouten liegt, kommt es schon deshalb kaum für einen Besuch in Frage.
we
Die Südtiroler Küche ist einfach traumhaft lecker :-) Ich durfte selbst im Hotel St. Martin in den Genuss der traditionellen Gerichte kommen. Mir hat es sehr geschmeckt.
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