Freitag, 13. November 2015

Im Gasthaus Lamm - dem Mitterwirt - in St.Martin in Passeier/Südtirol

Foto: Robert Bock
Fußballfans wie mir, ist St.Martin in Passeier bekannt, als der "Inkubator des Vierten Sterns": Was Spiez und Malente für frühere Generationen von Weltmeistermannschaften, das ist dieser Ort im Passeiertal, welches sich vom Timmelsjoch bis Meran gen Süden zieht, für Jogi's Helden von 2014. Hier, im Golf & Spa Ressort Andreus versah der Bundestrainer sein Team mit Geist und Schliff, bevor es nach Brasilien ging.

Madame und ich waren Anfang Oktober gezielt, wenn auch nicht zum ersten Mal in diesem Ort, um ein Gasthaus im Ortskern kennenzulernen, das dort seit dem 17. Jahrhundert als Dorfwirtshaus dokumentiert ist: Das Gasthaus Lamm, auch "Mitterwirt" genannt.

Im einstigen Stammlokal des Tiroler Freiheitshelden Andreas Hofer bewirtet heute Familie Fontana mit bodenständiger Tiroler Küche und typischen Passeirer Spezialitäten. Man ist Mitglied bei Slow Food und der Gastronomenvereinigung "Südtiroler Gasthaus - Locanda Sudtirolese". Das verspricht die Verwendung guter, regional erzeugter Zutaten und eine tiefgründende Verpflichtung zum Erhalt gewachsener, regionaler kulinarischer Traditionen in einer  Epoche der Macdonaldisierung der Welt.

Köchin Hildegard Fontana wurde, als erste Passeirer Köchin überhaupt, mit einer Haube und 13 Punkten in den Gault Millaut aufgenommen. Genau das richtige Lokal für Madame und mich, um gepflegt den letzten Abend vor der Heimreise nach Regensburg zu verbringen.
von Robert Bock

Foto: Robert Bock
Wir haben Glück und bekommen ohne Reservierung an diesem Samstagabend einen Tisch. Ansonsten: Alles reserviert, das Lokal hat seine (vornehmlich einheimschen) Fans, das stimmt uns zuversichtlich. Die Gasträume präsentieren sich im (süd-)tiroler Bauernstubenstil. Reichlich ausgestattet mit regionalen Antiquitäten, helles Holz dominiert, ein Kachelofen - alles sehr stimmig.

Es bedient uns der Chef des Hauses höchstpersönlich: Arnold Fontana, ein freundlicher, zurückhaltender Mensch, der ein wenig in seiner eigenen Welt zu leben scheint, so wie wir ihn erleben, bringt uns die Karte. Die ist, wie es sich für ein Lokal dieser Güte gehört, übersichtlich und durchdacht. Eines der Gerichte auf der Karte, erklärt er uns, sei heute mangels bestimmter Zutaten, die den Ansprüchen seiner Frau qualitativ genehm gewesen wären, nicht verfügbar. Den Grund können wir gut akzeptieren.

Foto: Robert Bock
Wir haben bereits zu Mittag gut und reichlich in Meran gegessen und so verzichten wir heute auf eine üppige Vorspeise und konzentrieren uns auf Hauptgericht und Dessert.

Ein Gemischter Salat Für 4,70 EUR soll uns heute gemeinsam als Entré genügen, zumal die Küche uns einen Gruß in Form von Brot mit Kräuterquark schickt.

Brot und Kräuterquark - das ist ein solides, wenngleich ziemlich einfallsloses Amuse-Gueule, meinen wir und hoffen, dass man sich die kreativen Geistesblitze für die Hauptsachen aufgehoben hat. Weder die eine, noch die andere Komponente haut uns dabei vom Stuhl, auch nicht, dass wir - wie in Italien, nicht zwingend aber in Südtirol üblich, den Salat selbst anmachen müssen/dürfen.

Foto: Robert Bock
Die Zutaten des gemischten Salates sind guter Qualität, ohne dass sie uns qualitativ, wie tags zuvor im Restaurant Apollonia in Sirmian, vom Hocker reissen. Essig und Öl hingegen sind vom Feinsten: hausgemachter Rotweinessig, Apfelessig, Apfelbalsamico in Bio-Qualität, ebenso das ausgeprägt bitter-fruchtige italienische Olivenöl, das uns nebst Salz- und Pfeffermühle gebracht wird. Warum allerdings der gerne zur beissenden Schärfe und Muffigkeit neigende weiße, statt schwarzen Pfeffers in der Mühle ist, verstehen wir nicht. Wir gehen davon aus, dass sich Familie Fontana nicht zu den Salat-Liebhabern zählt: weder am Esstisch, noch in der Küche. Deswegen möglicherweise auch die Kreativitätsverweigerung, was ein ordentliches, unverwechselbares Dressing angeht. Bis dahin sind wir unterm Strich wenig berauscht, obgleich nicht unzufrieden.

Als Weinbegleitung zu unseren Hauptgerichten entscheiden wir uns beide für einen Blauburgunder Schreckbichl - etwas dünn im Körper, selbst für einen Blauburgunder, aber beiden Gerichten, die kommen würden, durchaus angemessen. Das Viertel zu 7,80 EUR. Obergrenze der Fairnesse angesichts der überschaubaren Tragweite der Klasse dieses Südtiroler Tröpfchens.

Foto: Robert Bock
Ich habe mir das Passeirer Ziegenbratl mit Gemüse und Speckknödeln (18,90 EUR) bestellt: Ein Klassiker des Lokals und Renommiergericht, wie wir diversen Publikationen entnommen haben. Arnold Fontana entschuldigt sich beinahe, als er mir das Gericht serviert: es sei optisch sehr viel Fleisch, aber das sei dem hohen Anteil Knochen geschuldet. Als ob mich viel Fleisch je gestört hätte, sage ich zu Madame und sauge den betörenden Duft der gebratenen Ziege in meine Nase: Mhhhh! Das Fleisch ist größtenteils sehr zart und aromatisch. Diese Ziege durfte feinstes Futter konsumieren. So soll es sein!

Die Speckknödel sind sehr gut; das Gemüse ist Gemüse, es entwickelt nicht die sensationelle Finesse und Aromenexplosion, die ich tags zuvor in Sirmian erleben durfte: Gemüse halt, nicht mehr nicht weniger, doch gut im Biss. Die Sauce ist ungebunden und kommt ein wenig kraftlos daher. Ein kräftigerer Schuss Rotwein (oder ein kräftigerer, als der verwendete ...) hätte ihr gut zu Gesicht gestanden, auch etwas mehr Tomatenmark oder (mehr) angeröstete Knochen können helfen, einer Sauce dieser Art etwas mehr Bumms und Leben einzuhauchen. Aber wer bin ich, dass ich einer "Haubenköchin" Ratschläge erteile? Madame probiert und meint: Das kannst du besser! Mein Abend kann ab diesem Zeitpunkt eigentlich kaum noch Steigerung erfahren ...

Foto: Robert Bock
Madame hat sich Dinkelravioli, gefüllt mit Rehragout auf Wirsing (12,50 EUR) bestellt. Ich darf probieren: Die Nudeln haben zu viel Biss und das Wasser, in dem sie zogen, dafür zu wenig Salz.

Auch der Füllung fehlt etwas der Mumm. Ich beisse auf eine ganze Wacholderbeere: selbstverständlich gehört in ein Rehragout auch Wacholder - aber kann man die Beeren nicht vorab mörsern oder sie vor dem Weiterverarbeiten rausfischen? Es ist einem Gast wie mir kein Vergnügen, ein paar Minuten keinen anderen Geschmack im Mund zu haben, als Wacholder. Es sei denn er liebt Wacholder. Meine Liebe zu den eigenwillig schmeckenden Beeren hat Grenzen.

Der Wirsing, schmeckt nach Wirsing, ist noch al dente, hat seine schöne grüne Farbe behalten und das ist grundsätzlich gut. Trotzdem: Falls Hildegard in ihren Arnold noch verliebt sein sollte, müsste man andre Indizien als den Salzgehalt ihrer Speisen als Indiz heranziehen ...

Madame stochert auffällig lustlos in ihren Ravioli: Ihr fehlt etwas. Und zwar so etwas wie eine Sauce. Warum zum Beispiel keine braune Butter? Ein wenig Parmesan oder vergleichbarer regionaler Hartkäse dazu? Mhhh, was hätten drei, vier Esslöffel Nussbutter und ein wenig Käse den Nudeln gut getan? So aber bleibt am Ende das Gefühl zurück, dass die Küche oder der Service am Pass geschlafen haben: Ein Gericht wie Schuberts "Unvollendete" ...

Foto: Robert Bock
Ich rate Madame dazu gegen die Enttäuschung schleunigst mit einem schönen Dessert samt Weinbegleitung anzukämpfen: dem spektakulärsten Dessert, dem Klang nach, zu diesem rate ich ihr: Birnen-Pannacotta mit karamelisierten Walnüssen und Schokoladensauce (6,90 EUR).

Das Gericht kommt auf einer Glaswippe, groß wie ein Kinderschlitten, optisch ansprechend, wenngleich nicht umwerfend präsentiert - und ebendieses Urteil fällt uns auch zum Geschmack ein. Warum? Von der Birne ist wenig - zu wenig - zu schmecken, die karamelisierten Walnüsse sind, unser beider Erachten nach, keine karamelisierten Walnüsse, sondern im Mixer mit Karamel zusammen kleingehauene Walnusskerne, die Schokosauce ist zu zäh und zu wenig schokoladig. Was uns aber besonders bedauerlich erscheint: Eine Pannacotta kennen wir anders: dieses Gericht scheint uns eher den Charakter eingekochten Rahms mit nach dem Erkalten untergezogener geschlagener Sahne zu besitzen, der mit Gelatine, die in Birnensaft/Likör aufgelöst wurde, in Stand versetzt wurde. Wir wissen es nicht, wir vermuten und rekonstruieren wild drauflos, weil wir uns diese eigenwillige Interpretation einer Pannacotta erklären wollen ...

Foto: Robert Bock
Wenigstens der Passito aus Terlan ist ein Highlight und entschädigt für vieles, was das Dessert schuldig blieb. Ein wunderbarer Süßwein, hellbraun im Glas wie Honigmet, Aromen von Honig, Rosinen, überreifen Trauben, Karamell und getrockneten Aprikosen; nicht außerordentlich komplex, aber schön, jedoch mit 7,50 EUR für 5cl meines Erachtens zu hoch bepreist, Madame meint: angemessen.

Foto: Robert Bock
Ich gehe das Thema Dessert heute sehr unkonventionell an und bestelle lediglich ein Gemischtes Eis mit Sahne. Nebenan ist eine Gelateria, deren Eis ich kenne, und gehe davon aus, dass dieses verwendet wurde. Drei Kugeln (Vanille, Himbeere, Haselnuss) für 4,50 EUR. Kann man nicht viel falsch machen und ich war mit dem schlichten Dessert heute zufrieden.

Der Service zeigt beim Dessertgang zudem Schwächen im Timing auf: Erst die Pannacotta, dann lange nichts, dann der Dessertwein und als Madame ihr Dessert schon beinahe verputzt hat, dann erst folgt mein Eis. Das ist einem Hauben-/13-Punkte-Lokal unseres Erachtens nicht angemessen.

Das ist die Krux des Vorschusslorbeers: Der Gast erscheint mit einer gehobenen Erwartungshaltung und man muss verdammt konzentriert sein, die gute Leistung, zu der man unbenommen fähig ist, stabil zu präsentieren. Tag für Tag, Gast für Gast, Teller für Teller. Unser persönlicher Eindruck war: solide, aber nicht begeisternd, zudem mit einigen gravierenderen Aussetzern, was Küche und Service anging. Eine Momentaufnahme wie stets, und natürlich subjektiv und keinesfalls zu verallgemeinern.

Trotzdem können wir den Gasthof Lamm guten Gewissens empfehlen und werden selbst durchaus auch gerne wiederkommen ... So man uns dort nach dieser Besprechung noch Willkommen heißen will.

Man kann im Lamm solide gekochte, saisonal orientierte Südtiroler Küche aus regionalen Produkten in gemütlichem Ambiente geniessen, sollte aber unseres Erachstens versuchen, den Anspruch, den der Gault Millaut vermittelt, in der Bedeutung für einen selbst, tiefer zu hängen, damit man zufrieden nach Hause geht. Dieses "Gault-Millaut-Phänomen" kennt man ja durchaus auch aus heimischen Gefilden ...







2 Kommentare:

  1. Oh, das ist angesichts der hohen Anzahl von Schwachpunkten noch eine sehr wohlwollende, geradezu milde Bewertung.
    Aber da das Lokal abseits meiner Hauptreiserouten liegt, kommt es schon deshalb kaum für einen Besuch in Frage.

    we

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  2. Die Südtiroler Küche ist einfach traumhaft lecker :-) Ich durfte selbst im Hotel St. Martin in den Genuss der traditionellen Gerichte kommen. Mir hat es sehr geschmeckt.

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