Donnerstag, 14. Januar 2016

Im Wirtshaus zum Geiss in Straubing

Seit 1462 existiert am Theresienplatz 49 in Straubing das Wirtshaus zum Geiss. Die Geiss ist somit eines der ältesten Wirtshauser der Welt.

Wäre da nicht vier Jahre zuvor in Eilsbrunn der Röhrl gegründet worden, vielleicht sogar das älteste.

Sei's drum - solche Titel ziehen möglicherweise Busse voller Senioren auf Kaffeefahrt an und für einen Eintrag im Guinness-Buch der Rekorde kann sich der Gast zunächst einmal nicht viel kaufen ... 

Gastronomische Klasse und ganzheitlicher Genuss für den Gast will Tag für Tag, Teller für Teller neu erarbeitet sein. Auch in Straubing. Auch in der Geiss ...  

"Bayerisch, urig, anders, regional, besonders, traditionell" wollen Chefin Michaela Stöberl und Küchenchef Salvatore Fierro, ein fränkischer Halbitaliener oder (italienischer Halbfranke?) sein. Ich kenne das 2010 sanierte Wirtshaus noch aus den frühen 1980er Jahren, als ich hier wöchentlich im Nebenzimmer bei den "Grünen" Helmut Kohl als Kanzler und die WAA in Wackersdorf verhindern wollte - es hat sich seither nicht viel, es hat sich alles verändert. Aus einer zigarrenrauchschwangeren Bierwirtschaft mit zwielichtigem Ruf, ist ein schickes, modernes bayerisches Wirtshaus des 21. Jahrhunderts geworden.
von Robert Bock

Madame und ich waren zum Mittagessen zwei Tage vor Heiligabend in Straubing. Deswegen nur ein Hauptgericht und kein mehrgängiges Menü.

Dafür aber eines, das uns beim Vorabstudium der Speisekarte, die man auf der Webseite der Geiss herunterladen kann, ins Auge stach. Die regelmäßigen Leserinnen und Leser meines Blogs wissen um unsere Leidenschaft für Backhendl. Hier kein klassisches Wiener, sondern ein "Straubinger Backhendl": "Vom Perlhuhn in der Kräuterpanade, dazu Kartoffel-Gurken-Salat, Kresse, Kürbiskernöl und hausgemachte Remoulade.". Das alles für 13,80 EUR pro Portion.

Das sollte es also sein, deswegen also ein Ausflug nach Straubing.


Trotz der niedrigen Decken und dem Holzfußboden wirkt das Lokal durchaus hell und geräumig. Das war früher nicht so. Die Einrichtung bietet einen Mix aus alten Bauernmöbeln mit zeitgenössischem Deko-Schischi, die Stühle sind bequem, der Platz allerdings ein wenig beengt.

Man hat den letzten Winkel ausgenutzt, um hier und dort noch ein Tischchen für Zwei in die Nischen zu pfropfen. Wenn es so zugeht, wie an diesem Dienstag gegen Mittag, kann man das verstehen, würde aber mit Sicherheit keine wichtigen geschäftlichen Essen in dieser räumliche Enge abhalten, wo es auf Diskretion ankäme.

Das Servicepersonal ist sehr jung, flott und freundlich. Eine kleine Unachtsamkeit haben wir anzukreiden: Madame bestellte ein bestimmtes Craft-Bier einer Münchner Brauerei, geliefert wurde ihr ein anderes aus Wallersdorf (Tropical Sun IPA - Brandy's Brau Garage; 0,5L zu 5,90 EUR). Das Bier war mit acht verschiedenen Hopfensorten gebraut und enstprechend herb - aber eine interessante, fruchtige Erfahrung. Wir haben das aber erst kurz bevor es ans Zahlen ging bemerkt und insofern kein Beinbruch, sollte aber - darüber brauchen wir nicht diskutieren - nicht passieren.

A propos Bierauswahl. Die Chefin ist "Bier-Sommeliere" und das kennt man der Getränkekarte an. Ich meine noch nie ein Wirtshaus betreten zu haben, das eine derartig umfangreiche Karte an klassischen wie modernen Bieren zu bieten hat. Ich zähle 56 verschiedene Bier-Positionen, die meisten davon sind instruktiv erklärt, so dass uns die Wahl des Bieres zum Gericht nicht schwer fällt. Man hätte uns sicher kompetent beraten, wir haben auf eigene Faust entschieden.

Obwohl auch die Weinkarte keinen schlechten Eindruck macht - leider viel zu wenig fränkische Tropfen für ein Bayerisches Wirtshaus mit einem fränkischen Halbitaliener als Küchenchef! - bestellte ich mir ein ausgefalleneres Weissbier (Schneider TAP 5 "Meine Hopfenweisse", ein heller Weizendoppelbock, 0,5L zu 5,70 EUR). Beide Biere wurden in Spezialgläsern serviert - bauchig, sich zum Rand hin verjüngend, ähnlich guten Weingläsern. Das Bier: ausgezeichnet und eine echte Alternative für Weintrinker, die es ansonsten mit Bier nicht so haben.

Wer die dicke Brieftasche mit sich führt, könnte sich ein Karmeliten Impendium 2011/2013 zu 69 EUR für 0,75L leisten. Klingt doch nach einem echten Schnäppchen - ach, was sag ich: einem Schnapper, oder?

Schöne Biere, schön und gut ... Was sagt das Straubinger Backendl?

Madame und ich werden uns ex post einig sein: Des Backhendls wegen lohnt sich die Anfahrt nicht. Das macht man in Landshut im Wintergarten (unsere bislang ungeschlagene Referenz!), das macht man in Winzer (Winzerer Weinstuben), das macht man in Nittenau (Jakob) besser.

Weshalb? 

  • Das Fleisch - Poularde entbeint bis auf den Haxen - eine deutliche Spur zu trocken, von den Kräutern in der Panade nicht viel zu schmecken, die Panade selbst zu reichlich mit Fett vollgesogen. Herausfrittiert in Pflanzenöl in der Fritteuse und nicht in Butterschmalz und Butter in der Pfanne, so wie sich das an sich für ein perfektes, unvergessliches Backhendl unserem Geschmack nach gehört.
  • Der Kartoffelsalat kommt auffällig gelb daher. Woran das liegen mag? Curcuma, Safran? Schmeckbar war jedenfalls weder das deine noch das andere. Die Kartoffeln viel zu fest, nach dem Zufallsprinzip geschnitten: dicke Brocken, feine Fitzel. Das Gesamt nicht schlotzig und cremig, wie man das von einem schönen niederbayerischen Kartoffelsalat gewohnt ist, ferner: zu viel Säure. Eine zusätzliche Prise Zucker hätte die Sache abgerundet. Manche Dinge lassen sich halt kaum bis nicht besser machen, wenn man vom klassischen Rezept abweicht. Deswegen nennt man solche Rezepte auch "klassisch" (= einen Höhepunkt, eine die Zeiten überdauernde Leistung darstellend). Ein Spritzer steirisches Kürbiskernöl darüber ist eine nette Idee, wie wir sie von Josef Kögl's Backhendlbeilage (besser) kennen, reisst aber leider das Steuer nicht mehr herum. Vor allem nicht, wenn das verwendete Öl so aromatisch ist wie das Weihnachtsangebot von Lidl: gar nicht. Hier wurde an der falschen Stelle gespart, das Öl ist kein herausragendes Exemplar seiner Art. Die etwa 17 Halme Kresse darüber sind ein netter Hingucker - mehr nicht. Schon gar keine ausdrückliche Erwähnung auf der Speisekarte wert oder nötig. Es sei denn jemand kann Kresse nicht leiden: dann kann er sie vorab abbestellen.
  • Zum Gedöns: Drei nicht marinierte, liederlich geschälte Scheiben Gurke (die Schale ist schwer verdaulich und potenziell Trägerin von in sie gedrungenen Schadstoffen - Salvatore, bitte, von Franke zu Halbfranke: schäle die Gurke besser komplett ...). Ferner im Ensemble: ein Tomatenfragment ohne Aroma. Was sagt der Lollo Rosso mit Karottenschnitzen? Der sagt endlich Hallo! Das Dressing ist eine Wucht: Tiefe, warme und dunkle Geschmacksnoten, herrührend von einem exzellenten Essig im Stile eines Balsamico und süßer Senf. Ein schönes Olivenöl wie das unschlagbare von Spyridoula dran, das beispielsweise Sternekoch Anton Schmaus im Storstad verwendet, und es wäre eine Sensation gewesen. Unser Verdacht nach Kürbis- und Salatöl: Dem Thema Öl wird hier keine prominente Rolle zugemessen. Hier trennt sich aber u.a. die Spreu vom Weizen. Wer sich möglicherweise einen Stern erkochen will, sollte das ernst nehmen ...
  • Die angeblich hausgemachte Remoulade war nicht wirklich schlecht, aber keineswegs überzeugend: Die Basismajonnaise mutete unser beider Erachtens (wir machen unsere Majo daheim grundsätzlich selbst und kennen von daher die großen und kleinen Unterschiede recht gut ...) verdächtig nach einer Fertigmajo aus Glas oder Eimer an, die allenfalls mit etwas gekochtem Eigelb, das sich optisch grisselig zu erkennen gab, gepimpt und mit gehackten Essiggürkchen vermengt wurde. Ein wenig Schnittlauch darüber und fertig. Jo mei ... Die Remoulade war auf dem Niveau einer guten Mensa- oder Bundeswehr-Küche. Sollte die Majo tatsächlich handgeschlagen gewesen sein, dann mutmaßlich nach dem Original-Rezept von Thommy oder Kraft. Oder wie bringt man sonst das genusstötende Aroma von Konservierungsmitteln und die verblüffend ähnliche  Konsistenz eines Convenienceproduktes zustande? Nein - unter einer "hausgemachten" Majonaisse bzw. Remoulade stellen wir uns beide etwas anderes vor. Dass sie in einem Haus verfertigt wurde und nicht unter freiem Himmel, reicht hierzu nicht aus.
  • Die Portion Backhendl war reichlich und dem Preis insgesamt angemessen. Die ganzheitliche Qualität: nicht gut, nicht schlecht: Durchschnitt. Weshalb ich dieses Gericht noch einmal bestellen sollte, weiß ich nicht. Madame auch nicht. Ich werde es nicht tun und künftig gegebenenfalls etwas anderem den Vorzug geben. Du, Madame? Sie schüttelt den Kopf.

Ein gut gemachtes Backhendl ist eine Zier für jedes Bayerische oder Österreichische Lokal. Im Grunde kaum verzichtbar. Am Gericht selbst sollte man unseres unmaßgeblichen Erachtens deswegen dringend arbeiten, es in nahezu allen Komponenten optimieren - oder es von der Karte nehmen, denn es taugt unter keinen Umständen zu einer Visitenkarte des Lokals. Wenn man "anders"  und "besonders" sein will und einen Klassiker abwandelt, muss das Ergebnis "besser" sein - sonst ist dieses Anderssein nichts weiter als wohlfeile Girlandenschwingerei. Hinweise haben wir uns erlaubt zu geben. Ob man sie beherzigt wird man sehen müssen und bleibt selbstverständlich Küchenchef Salvatore und seiner Crew überlassen.

Bleibt also unterm Strich ein durchwachsenes, wie stets sehr subjektives und von unseren persönlichen Vorlieben geprägtes Urteil: Das Ambiente und der Service gut, die Bierauswahl sensationell - das Backhendl so lala.

Die vielen positiven Erwähnungen im Feinschmecker, Aral, Falstaff  ("Eines der besten Gasthäuser Deutschlands") erscheinen uns, gemessen an der heutigen Erfahrung, nennen wir es: überraschend. Beleg?: Ich frage Madame: "Hast du gewußt, dass der Falstaff die Geiss zu den besten Gasthäusern Deutschlands zählt?" - Sie schaut mich verdutzt an, hält das offenbar für einen meiner Versuche, sie zu foppen, fragt: "Wieso das denn?!"

Wir werden trotzdem irgendwann wiederkommen. Das Wirtshaus zum Geiss scheint uns einen zweiten Versuch mit anderen Gerichten wert.

Nachtisch? Ja, selbstverständlich ...

Aber nicht hier in der Geiss. Wenn schon, dann ein Stückchen Bernauer-Torte beim Krönner ein paar hundert Meter weiter.

Wie stets - und unverändert seit meiner ausführlichen Besprechung dieser Straubinger Institution - eine Weltsensation. Über eine echte Agnes-Bernauer vom Krönner geht wenig. Auch nicht deren Spitzweg-Torte, die ich heute erstmals probiert habe: Zwar ebenso wie die Bernauerin eine Aroma-Bombe, mir aber zu alkohollastig.
Nächstes Mal: Die Frauenhofer-Torte. Mal sehen, ob dies mit der Bernauerin aufnimmt ...



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