Samstag, 12. März 2016

Von Helmut Schwöglers Gewissen und Umgang mit Kritik

Obschon wir in unserem letzten Bericht über zwei zeitlich eng beieinanderliegende Besuche im Restaurant Schwögler in Bad Abbach die Frage in den Raum gestellt haben, wo denn der erste Michelin-Stern für die Küche bleibe - überfällig sei er und das längst! -, gab es leider den ein oder anderen Anlaß zu konstruktiver Kritik, was die Performance des Service - speziell dessen Neigung zur aprilwetterhaften Wechselhaftigkeit - anging.

Sollte es etwa an dieser Launenhaftigkeit des Service liegen, so unser Verdacht, dass dem Restaurant ein Platz am Firmament des Guide Michelin bislang verwehrt geblieben ist?

Die treue Leserschaft meines Blogs kennt und schätzt möglicherweise meine Neigung, die Dinge unverblümt auf den Punkt zu bringen: im Guten, wie im Schlechten. Jedoch: Worte können duften wie ein Bouquet Frühlingsblumen, aber auch schneiden wie Damaszenerstahl ...
von Robert Bock
Den Gastronomen möchte ich erleben, der sich nicht über eine wohlwollende, gar euphorische Kritik freuen würde - der Gastronomen jedoch, der mit wenig schmeichelhafter Kritik angemessen, gar souverän umzugehen versteht, zählt zu einer seltenen Spezies.

Ich plaudere ein wenig aus dem Nähkästchen des Hobby-Kochs und -Kritikers, des Gastro-Bloggers aus Liebe zum guten Essen und des Schreibens über kulinarische Themen, wenn ich Euch, geschätzte Leserinnen und Leser, vom Spektrum der Reaktionen auf meinen Blog berichte: Sie reichen von wütender Hilflosigkeit (z.B. einer Anzeige wegen Rufschädigung seitens des Wirts eines Biergartens der Kneitinger-Gruppe (diese Anzeige wurde mit müdem Gähnen und ohne Federlesens seitens der Staatsanwaltschaft ad acta gelegt)), über Beleidigte-Leberwurst-Attitüden und giftigem  Gegengekeife mit dem man die vorhandenen Schwächen weder abstellt, noch sein Image verbessert, bis hin zu stoischem Schweigen ... Manche Wirte sagen: Lieber schlechte Kritik, als gar keine Kritik. Auch so kann man damit umgehen.

Es geht aber auch ganz anders: Man kann damit souverän umgehen, kann konstruktive Kritik als Chance zur ständigen Verbesserung begreifen und deshalb sogar begrüßen. Schließlich ist niemand vor dem Phänomen der Betriebsblindheit gefeit: Bewege dich nur lange genug im immergleichen Trott und auf deinen bequem gewordenen geistigen Trampelpfaden, und irgendwann erkennst du weder deine Stärken, noch deine Schwächen: Dann existierst du lediglich vor dich hin und wunderst dich über fallende Umsätze und rückläufige Gästezahlen. Die Welt, so scheint dir, habe sich gegen dich verschworen, dabei bist du dein größtes Problem: Du und deine Neigung zur Realitätsverweigerung.  Man schaue sich die einschlägigen TV-Formate wie "Die Kochprofis", "Rach" oder Rossins Restaurants" an und man weiß, was ich meine ...

Helmut Schwöglers Reaktion auf unsere Kritik, von der heute die Rede sein wird, ist in ihrer Art bemerkenswert, jedoch bedeutet sie auch eine Gratwanderung für den um Erhalt seiner Glaubwürdigkeit bedachten Kritiker - also Madame und mich.

Lange Rede kurzer Sinn: 

Helmut Schwögler hat Madame und mich als Reaktion auf unsere ausführliche Rezension seines Restaurants eingeladen. 

Als Kompensation für die Unpässlichkeiten seines Teams, als Madame geschäftlich dort zum Dinner weilte. Diese Unpässlichkeiten waren Gegenstand unserer ansonsten unterm Strich doch sehr positiven Rezension. 

Helmut Schwögler bedankte sich bei mir via Facebook noch am Abend der Veröffentlichung für den Bericht und drückte sein Bedauern aus, dass nicht alles nach unserer Zufriedenheit gelaufen sei. Das hat Stil, das erleben wir ansonsten selten bis nie.

Einige Tage nach Veröffentlichung schrieb er mir erneut: Er meinte, es nage an ihm, dass er und sein Team Madame nicht zufriedenstellen konnten. Er würde gerne sein Gewissen beruhigen und uns beide zeitnah zum Essen einladen. Er hoffe, schloss er seine Nachricht, wir würden seine Einladung annehmen.

Was jetzt? Eine Zwickmühle. Schnell stehen Gastronom und Kritiker im Ruf ein abgekartetes Spiel zu treiben, wenn das Gerücht die Runde machte, der Kritiker sei bestechlich und der Gastronom würde sich gute Kritiken nicht verdienen, sondern erkaufen. Wie viele, von uns zurecht mit guten Kritiken bedachte Lokale, mussten sich von erbärmlichen Neidern Fragen gefallen lassen, wieviel das wohl gekostet habe? Wer solche Fragen stellt, hat nichts kapiert und wird es nie zu etwas bringen, zeigt aber seinem Umfeld, welcher Charakter in ihm wohnt. Man traut dem Nächsten eben immer genau das Maß an Schlechtigkeit zu, zu dem man selbst jederzeit bereit wäre: Honi soit qui mal y pense, sagt dazu der Franzose ...

Gastronomen, die wir bislang besucht haben, wissen, dass wir uns seltenst vorab anmelden, falls doch Tische in der Regel inkognito reservieren und uns weder vorab, noch unmittelbar danach als "die von auswärts essen regensburg" zu erkennen geben. Sie werden auch bestätigen, dass wir unsere Rechnung nebst Trinkgeld stets selbst bezahlen. Wir schreiben - nicht wie viele, viele andere Gastro-Blogs gegen offen geforderte Bezahlung oder für unter dem Tisch gereichte Fakelakia, wie die Griechen sagen würden, "Gefälligkeitsgutachten".



Weder sind wir Provinz-Kabarettisten noch Zauberkasperl, die sich um ihre Auftrittsmöglichkeiten sorgen, wir gehen grundspießigen, aber passabel bezahlten Hauptberufen nach, sind in der Lage unsere Zeche selbst zu bezahlen und müssen auf pekuniäre Befangenheitsgründe deswegen keine Rücksicht nehmen.

Madame und ich rezensieren tatsächlich unabhängig. Ohne wirtschaftliche Interessen. Aus Spaß an der Freude und schonungslos ehrlich in jede Richtung: im Guten, wie im Schlechten. Natürlich konstruktiv, aber auch subjektiv, was wir stets betonen, denn die objektive Wirklichkeit kann lediglich subjektiv gefärbt perzipiert werden. Das ist kein böser Wille, sondern entspringt erkenntnisphilosophischer Notwendigkeit.

Nun hat uns Helmut Schwögler also eingeladen, weil er die Fehler seines Teams gerne kompensiert wissen möchte. Annehmen? Ablehnen? Wie umgehen mit dieser Einladung? Näher definiert hatte er Art und Umfang dieser Einladung ferner nicht ... Eine Wundertüte also.

Wir entscheiden uns, die Einladung anzunehmen und die Dinge auf uns zukommen zu lassen. Als wir am späten Abend das Lokal verlassen, kündige ich Helmut an, dass ich zwar einen Bericht schreiben, aber erwähnen werde, dass er uns eingeladen hat. Daraufhin erschrickt er, wird für einen Moment blass um die Nasenspitze, meint, vielleicht wäre es besser, auf einen Bericht zu verzichten: Wie sehe das aus? Das rieche so nach einer "bezahlten Kritik". Er habe uns nicht eines erneuten Berichtes wegen eingeladen, sondern weil es ihm um die Zufriedenheit seiner Gäste gegangen und ihm ganz einfach persönlich danach gewesen sei. Ich beruhigte ihn, meinte, ich werde den richtigen Ton schon finden. Ob mir das gelungen ist, müsst letztendlich Ihr, verehrte Leserinnen und Leser entscheiden ...

Es ist aber genau Helmuts Reaktion, die mich darin bestärkt, die richtige Entscheidung getroffen zu haben, heute auch über diesen - auch für mich - heiklen Besuch im Restaurant Schwögler in Bad Abbach zu berichten: Helmut Schwögler geht es meines Erachtens tatsächlich darum, dass gute Gäste - ich gehe dort regelmäßig seit mittlerweile 15 Jahren speisen - eine gute Zeit verleben sollen. Er weiß, dass man schlechte Leistung am besten dadurch im Gedächtnis eines Gastes ungeschehen machen kann, indem man ihm eines zeigt:

Wir können das besser! 

Bei unserem Eintreffen vom Hausherrn keine Spur ... Ein Servicemitarbeiter geleitet uns zu unserem Tisch im Hauptraum unweit der Lounge mit Ledersofa und Vinothek. Links von unseren jeweiligen Platzgedecken liegen Menü-Karten aus. Ich werfe einen raschen Blick auf die benachbarten Tische: Dort keine solche Karten - Oha: Man hat sich offenbar speziell für uns etwas einfallen lassen ...

Lest selbst:


Kaum habe ich begonnen das Menü zu studieren, begrüßt uns dieselbe freundliche Dame vom Service, die uns zuletzt bedient hat. Einmal Madame und mich, einmal Madame ohne mich mit Geschäftspartnern.

Sie regt an, vielleicht ein Fläschchen Wasser zur Begleitung des Menüs seines Schraubverschlusses zu entledigen - ob still, ob sprudelig, ganz nach unserer Facon. Auch erfragt sie ob es irgendwelche Einwände unsererseits gegen die Gerichte auf der Menü-Karte gebe, irgendwelche Lebensmittelunverträglichkeiten beispielsweise ... Nein? Madame und mir wird im Laufe des Abends auffallen, dass keinerlei Paprika verarbeitet wurden: Zufall oder haben die Kunsthandwerker in Helmut Schwöglers Brigade unseren Blog sehr genau gelesen? Madame verträgt Gemüsepaprika nicht gut; entsprechend freut sie die Absenz dieser Zutat.

Wenig später serviert man uns den "Gruß aus der Küche": Ofenfrisches Baguette mit lecker-schmecker Brotaufstrich: Diesmal andere Aufstriche als zuletzt: Ein sehr harmonischer kräutrig-zitroniger und eine hinreissend säuerliche Tamarindenbutter.

Ich verarbeite die asiatische Dattelpflaumenfrucht ihrer knackigen Säure wegen selbst gerne, wenn ich stilistisch ayurvedisch-indisch angehaucht koche (Tamarindenpaste zu Linsengerichten: ein Gedicht!) und bin wie Madame ebenfalls vom Start weg begeistert über so viel Kreativität in den kleinen Dingen. Das Brot- wie schon zuletzt - vielfältig und ausgezeichnet. Ofenfrisch war es allerdings nicht mehr an diesem Freitagabend um kurz nach 19 Uhr.

Der Aperitif dazu: Schwöglers Orange-Ingwer-Elixier mit Prosecco, Minze und Eis. Ein schöner Einstieg: Fruchtig, erfrischend und keineswegs alkohollastig. Sehr gut mit den beiden Brotaufstrichen harmonierend.

Mit welchem Wein wir denn nach Aperitif und Gruß aus der Küche die Perlhuhnschinken-Terrine "Afrika" (Rotkohl-Granatapfelsalat/Kichererbsen-Hummus/Mangobutter/knuspriges Speckeis) begleitet sehen würden, fragt uns unsere charmante Lotsin durch den Abend?

Wir erbitten einen Vorschlag ihrerseits. Zuletzt war Madame Beratungswille und -kompetenz in Weinfragen nicht positiv aufgefallen. Also: schau mer mal ...

Sie schlägt einen Sauvignon Blanc vom Weingut Peter Sölva in Kaltern am See vor. Ein Südtiroler also - warum nicht? In Kaltern waren wir vergangenen Oktober, wir kennen die Gegend und ihre Weine nicht so gut, wie jene anderer Gegenden, aber ein wenig, und haben hier (Klickediklick!) darüber berichtet.

Wir vertrauen also ihrer Empfehlung und sollten es nicht bereuen. Im Gegenteil: wir beide waren bislang keine ausgesprochenen Freunde dieser Rebsorte, aber was da an Fasching aus dem Weißweinkelch ans Näschen strömte, justierte unsere Meinung schon vor dem ersten Schluck am Gaumen neu: Ein Sauvignon Blanc kann tatsächlich Freude bereiten. Nicht die überteuerte Franzosenplörre aus dem Weindepot um die Ecke oder gar aus dem Dreiliter-Bag-in-the-Box beim Discounter. Jedenfalls dieser von Peter Sölva machte uns großen Spaß. So groß ist er, dass wir auch beim zweiten Gang bei diesem Wein bleiben werden.

Das Perlhuhnschinken-Arrangement ist in allen Komponenten separat und ihrer Melange ein Meisterwerk. Anders kann man es nicht in einem Wort zum Ausdruck bringen. Ihr hättet das Leuchten in den Augen von Madame sehen sollen, als sie dieses formidable Speckeis probierte ... Sie ist einer bekennende Anhängerin der These, dass es kein Gericht der Welt gebe, das durch Zugabe von Speck oder Butter(schmalz) nicht noch gewinnen würde. Die einen lieben ihr iPhone, andere eine schöne Scheibe geräucherten Bauchspeck. So ist der Mensch, so weit die Welt der Objekte seiner Liebe. Dieses Speckeis hat für mich das Zeug zum Kult-Eis.

Ich liebe Ochsenschwanzgerichte und bereite selbst gerne Ochsenschwanzsuppe zu, auch wenn es ein ziemliches Gefiesel ist, das Fleisch von Knochen und Knorpel zu befreien. Schön, dass dies in Helmuts Einladungsmenü nicht eigenhändig nötig ist: Oxenschwanzsuppe - ja mit X steht sie auf der Karte - Crunchy Oxenpraline/Garnelen-Mangosalsa/Thailandaise.

Schwöglertypisch wird die klare Suppe in einem (hohen) Gläschen serviert. Das macht den Verzehr ein wenig schwierig, zumal der Suppenlöffel geradeso ins Glas passt. Form follows Function lautet ein alter Leitspruch guten Designs. Man sollte ggfls. bei der Speisenpräsenation daran denken, dass der Teller nicht nur betrachtet werden wird, sondern die Speisen verzehrt werden sollen. Die Suppe an sich ist ausgezeichnet, die Fleischwürfel butterzart und die Lauchjulienne dazu eine gelungene Abrundung.

Die Thailandaise ist eine mit asiatischen Gewürzen und Kräuteraromen aufgemotzte Hollandaise: Wunderbar - weder aufdringlich, noch zu zurückhaltend. Die Garnelen-Mangosalsa, süßlich mit leichter Schärfe, die Oxenpraline nach dem Crunch auf der Zunge zergehend, so weich ist das Fleisch und diese nach Parmesan und Brot schmeckenden Chips dazu ... Ja. Einfach nur: ja. Warum lang aufs Paradies hoffen, wenn man in Bad Abbach einen Vorgeschmack darauf erfahren kann?

Welchen Wein zum anstehenden Gang: Gezwickte Nudeln mit Pumpernickl, Maronen & Kakao gefüllt; Kürbiscreme/schwarze Nüsse/Karamalz?

Unsere Lotsin schlägt "etwas in Richtung Rosé" vor. Ha ...! Das klingt verwegen. Das gefällt mir!

Roséweine oder sortenreine Weißherbste - nicht zwingend weißgekeltere Rote (Blanc de Noir) werden - trotz Renaissance in den zurückliegenden Jahren - meiner unmaßgeblichen Meinung nach - völlig zurecht überschätzt.

Was nun konkret, frage ich? Ein Italiener aus Montepulciano (Toskana), reinsortig aus der Sangiovese-Traube (nach deutschem Weinrecht also ein Weißherbst), frisch und moussierend, beschreibt unsere Beraterin, der es mit den Aromen des dritten Gangs aufnehmen können sollte. Na, wenn  sie meint, dann schau mer mal, oder?

Kann er? Und wie er kann: Wild und frisch wie ein Federweisser, gebärdet sich das eisgekühlte Tröpfchen, duftet gar noch noch etwas nach Hefe und roten Früchten; am Gaumen finden sich Pflaumen, Kirschen - die fetten, süßen roten Herzkirschen - ja, und die etwas herbere Kornelkirsche! Auch die! Ohne Übertreibung: Der Stoff ist eine Entdeckung. Falls Ihr bei Schwögler vorbeischaut, lasst Euch diesen aus der Reihe tanzenden Wein - sofern zur gewählten Speise passend - durchaus mal offerieren.

Die "gezwickten Nudeln" brauchen eine ziemliche Weile Zeit, bis sie geschickt werden und heißen, was Machart und Form angeht, in Osteuropa quer durch Zentralasien bis hinüber zur Mongolei, China und Korea "Manti" und rechnen dort zu den klassischen, nationale Identität stiftenden Gerichten, wie es bei uns Knödel oder Bauchstecherla und in Südtirol die Schlutzkrapfen sind.

Madame freut sich: Für sie sind Manti ein Stück Kindheit. In Russland gelten Mädchen erst dann heiratsfähig, wenn sie Pelmeni, Wareniki, Piroschki oder eben Manti zubereiten können. Erzählt das nicht alles über die Bedeutung dieser Speise?

Die Füllung dieser Manti allerdings wird man wohl östlich von Bad Abbach, von Moskau bis zur Endstation der Transsib in Wladiwostok wohl nirgendwo so finden. Schade eigentlich, denn da sind Helmut Schwögler, seinem Küchenchef und seinem Team wieder einmal ein paar kreative Geistesblitze auf einem Teller vereint gelungen. Lange hat man daran getüffelt, wie wir später erfuhren. "Every first draft is shit", wusste schon Ernest Hemingway. Warum sollte es bei den ersten Entwürfen von Kochkünstlern anders sein?

Eine andere Unterlage als dieses fantastische pikante Kürbispüree, und diese Teigtasche ginge als Dessert durch - so aber ein Spektrum an Aromatik das weitgeöffneten Armen gleicht: davon lässt man sich gerne umarmen.

Herausragendes i-Tüpfelchen: Die Schwarznuss. Madame ist begeistert, ich lehne mich aus dem Fenster, und melde das auch so an unsere Servicekraft und Helmut persönlich, dass dies der - für sich gesehen - beste Teller ist, den ich in fünfzehn Jahren Gasterfahrung hier serviert bekommen habe. Mit einem Gericht wie diesem - in Verbindung mit diesem Sangiovese-Weißherbst zudem! - gewinnt man Sterne und Preise und verdient sich seinen Rang in der Walhalla herausragender Kochkünstler. Chapeau!

Vor dem Fischgang eine Überraschung - wie schon zuletzt schiebt die Küche einen Gaumenputzer, eine Sorbet ein. Diesmal eines von der Kakifrucht. Sehr dezent in der Süße, naturfruchtig, anders als das, meinem Geschmack nach zu süße Mon-Cherie-Sorbet bei meinem letzten Besuch.
Genau so stelle ich mir eine Sorbet-Variante an dieser Position und zu diesem Zweck in einem Menü vor. Die Keksbrösel auch heute wieder: meines Erachtens überflüssig, aber mein Geschmack ist keines Menschen Referenz. Auch Madame lässt sie beiseite.

Der Fischgang ließ, wie schon die "gezwickte Nudel", etwas länger auf sich warten. Zeit sich mit dem Wein zum Gericht zu beschäftigen, den mir unsere stets aufmerksame, gut gelaunte und freundliche Beraterin ans Herz legte, und dem Service generell an den anderen Tischen ein wenig bei der Arbeit zuzuschauen: Das Lokal ist gut gefüllt, trotzdem ist der Service an allen Tischen sehr präsent. Uns wurde heute keine Extrawurst in dieser Hinsicht gebraten. Man will uns zeigen, dass man kann, wenn man will. Wenn man nun auch das Wollen in konsequenter Form reproduzieren kann, dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis dies bei Gaul-Millau und Michelin nicht weiter ignoriert werden kann. Die Küche kocht konsequent und Tag für Tag präzise auf dem Niveau von mindestens einem Stern. Zeigt sich der Service stabil von der Seite, die er heute gezeigt hat: Wunderbar.

Ach ja: Der Wein zum Fisch ... Weiß empfehlen wird jeder. Was aber wenn der Gast sich auch einen Roten vorstellen könnte? 

Unsere Beraterin meint, ein Lagrein von Peter Sölva aus Kaltern am See könnte passen. Aufgrund der annoncierten Himbeeren auf der Menü-Karte kann ich mir das auch vorstellen. Sie serviert den tiefroten, beinahe schwarzen Lagrein in einem Burgunderpokal - ob dies das einem Wein wie diesem körperreichen, wuchtigen Lagrein angemessene Glas ist, darüber können Weinkenner vermutlich stundenlang debattieren. Ich selbst hätte in Kenntnis des speziellen Weins wohl eher einen klassischen, nicht zu voluminösen Bordeauxkelch gewählt.

Der Lagrein von Peter Sölva besticht durch Noten von Tabak, Teer, Veilchen, Gewürznelken und Kakao und kommt sehr trocken am Gaumen daher. Ein gewagter Vorschlag, sinniere ich still in mich hinein und bin gespannt, wie er sich nun wohl zur Roulade von Seezunge & Langustenschwanz, Spaghettini/Vongole/Safran/Chicoree/Himbeere machen wird ...

Madame muss heute fahren, sie beschließt fortan eher beim Wasser zu bleiben, nippt aber an meinem Glas. Wir beide meinen: Unserem Geschmack nach wäre ein junger, fruchtbetonter Spätburgunder, der nicht auf Holz gelegen hat, die harmonischere Begleitung gewesen. In jungen Spätburgundern spiegeln sich oft schön Himbeer- und Erdbeernoten. Anders als in diesem sehr,würzigen Lagrein, der zu Rind oder Lamm ein perfekter, ja kongenialer Partner gewesen wäre.

Der Fischgang besticht durch eine olfaktorische Wand an Aromen, beugt man die Nase über den Teller. Sehr maritim allerdings das Ensemble in der Nase - Madames persönliche Vorliebe ist das nicht. Ich mag das. Vor allem in Kombination mit Safran.

Die Pasta sind von der Art der chinesischen Eiernudeln und haben den Safran-Fisch-/Muschelsud wunderbar in sich aufgenommen. Die Vongole sind leider nicht durchgängig alle zart, auch nicht die Languste im Herz der Roulade, die wohl einen Hauch mehr Garzeit benötigt hätte. Dann jedoch hätte aber wohl die Seezunge, die einen Tick zu viel Salz abbekommen hat, zu trocken geworden. Dieses Roulade ist in der Zubereitung tricky, das wird niemand bestreiten können, der auch nur ein wenig vom Kochen versteht.

Die Himbeersauce dazu ist ein großer Einfall! Auch der gebratene Chicoree: sehr, sehr schön. Das Gericht an sich ist mutig und spannungsreich komponiert, bedarf jedoch unseres Erachtens noch eines Finetunings beim Thema Gargrad von Fisch und Meeresfrüchten.

Unser Gastgeber... hat sich bis jetzt Zeit gelassen, wie vom Erdboden verschluckt war er - nun linst er zwischen den Spalten eines Paravents hervor. Er begrüßt uns, fragt ob wir zufrieden seien und ob wir satt würden. Was für eine Frage ...!? Satter und zufriedener kann man im Himmel nicht sein. Ich jedenfalls war es lange nicht. Madame brauch ich nur anschauen, dann seh ich schon in ihren Äuglein, dass es ihr kaum besser gehen könnte. Er schaue vor dem Nachtisch noch einmal vorbei, kündigt Helmut Schwögler an - wir freuen uns darauf.

Bevor sich Helmut für ein Viertelstündchen zu uns setzt und über gute Küche, seine eigenen Südtiroler Weine aus Girlan, seine gastronomische Philosophie, die nicht immer einfach zu handhabende Kombination aus Restaurantbetrieb und Catering mit uns plaudert, fragt unsere Lotsin an, ob wir einen Dessertwein zum abschließenden Weißbier-Tiramisu mit Hollerbeeren/Waldmeistersorbet/Espuma zu schätzen wüssten?

Na klar. Ein Dessertwein ist das Sahnehäubchen auf das Sahnehäubchen eines guten Menüs: das Dessert.

Sie macht ein kleines Fläschchen Südtiroler auf. Eine Cuvee aus Weiß - und Grauburgunder mit - Überraschung! - Savagnin. Eine Rebe aus dem französischen Jura, die man in Südtirol gar nie vermuten würde, jedoch genetisch eng mit dem Traminer verwandt ist. Das Weingut J. Weger aus Girlan produziert diesen ausgezeichneten, konzentrierten und extraktreichen Wein unter der Bezeichnung "Rodon". Selbstverständlich verfügt man bei Schwögler über gute Süßweingläser aus dem Hause Schott/Zwiesel. Alles andere wäre einem so feinen Tröpfchen auch unangemessen gewesen.

Das Weißbier-Tiramisu sei das beste Tiramisu, das Madame je gegessen habe, lässt sie ausrichten. Mein Liebling auf dem Teller ist das Waldmeister-Sorbet.

Aber was soll man da jetzt spitzfindig werden?: Dieser Dessertteller ist ein gelungener, ein adelnder Abschluß dieses großartig komponierten Menüs, zu dem uns Helmut Schwögler und seine Mannschaft eingeladen haben.

Zwar schaue man einem geschenkten Gaul nicht ins Maul, meint der Volksmund, aber Helmut Schwögler wird es mir nicht übelnehmen, dass ich mir die Freiheit genommen habe, die wenigen und marginalen klitzekleinen Schwachpunkte des heutigen Abends trotzdem anzusprechen. Das tue ich im Dienste der Glaubwürdigkeit: Seiner und der unseren.

Die Ausgangsfrage war: Kann es das Team von Helmut Schwögler besser? Ist insbesondere der Service zu tadelloser Performance fähig? Was die Küche angeht, gab es nie Anlaß zu fundamentaler Kritik - der Service hat heute auf sehr hohem Niveau gepunktet. Mittlerweile, versichert uns Helmut, gebe es auch eine englischsprachige Speisekarte. Das ging flott! Das ist Professionalität im Umgang mit konstruktiver Kritik!

Der hervorragende Service war uns selbstverständlich auch ein angemessenes Trinkgeld wert, obwohl wir heute an sich ja eingeladen waren. Allen Servicemitarbeitern, die sich im Laufe des Abends um unser Wohlergehen gekümmert haben, speziell aber der jungen Dame, die ich nonchalant als unsere Lotsin bezeichnet habe, ein herzliches Dankeschön: Ihr könnt, wenn ihr wollt. Das habt ihr heute eindrucksvoll bewiesen.

Das Storstad von Kollege Anton Schmaus mag hoch über den Dächern Regensburgs für seine hiesigen Kolleginnen und Kollegen unerreichbar scheinen - gelingt es Küche und Service das heutige Niveau in Kombination zu standardisieren, dann wird, ja muss das Restaurant Schwögler mit einer Haube bei Gault-Millaut und mindestens 17 Punkten und/oder einem Michelin-Stern ausgezeichnet werden.

 Auch wenn Helmut gerade die Michelin-Stern-Ambition bescheiden von sich weist, lieber ein Lokal für Jederman bleiben möchte und den Stress, den "Sternefresserpublikum" bedeuten kann sowie auch den "Druck des Sternebehaltens" scheut, weils ohnehin ein Knochenjob sei, den er uns seine Leute fahren: Wir würden es ihm, seinem Küchenchef und der gesamten Mannschaft gönnen, diesen Ritterschlag zu erfahren.

Wie es auch kommt:


Wir kamen gerne, wir kommen gerne, wir werden gerne wiederkommen. Auch wenn wir nicht eingeladen sind.

Zum Abschluß meine Frage an Euch, werte Leserinnen und Leser: Ist uns der Spagat gelungen, mit dem Problem, trotz Einladung unvoreingenommen zu bleiben umzugehen ...? Was haltet Ihr davon, dass Helmut Schwögler uns zur Kompensation negativer Erfahrungen in seinem Lokal eingeladen hat...? Wie würdet Ihr als Kritiker mit diesem Thema umgehen ...? Ich freue mich über Eure Statements zu diesem pikanten Themenfeld, gleich hier, unterhalb des Artikels.







13 Kommentare:

  1. Ja Ja Ja, das habt ihr sehr fein gemacht und ohne Zaubereien. Konstruktive Ehrliche Kritik und das muss und kann bei dem Niveau in diesem Fall der Gastronom auch akzeptieren. Eine mal wieder genial zu lesende Zeitreise durch einen wohl wunderbaren genussvollen Abend der mir das Wasser im Munde zusammenlaufen lässt. Ich hoffe, wenn da mal wider die richtigen Tester mit dem Sternesack unterwegs sind, dass da ein Gastronomie im näheren Umkreis von Regensburg bedacht wird. Danke dir lieber Robert Bock für deine immer wieder genial zu lesenden Berichte. Ich hab mit dem lesen vor dem Frühstück vielleicht einen kleinen Fehler gemacht. Was soll einem hier morgens zum Frühstück noch münden bei so viel Leckereien...... Ja da fällt mir was ein,Weisswürste mit Hendlmeier. Schönes Wochenende.

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  2. Kurz um, sehr schöne Kritik und der Spagat ist definitiv gelungen!

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  3. Super! Alle haben es super gemacht! Respekt!

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  4. Danke für diesen schönen Bericht! Ich finde es sehr professionell wie Herr Schwögler und ihr mit dem Thema umgegangen seid. Vor allem, weil OFFEN damit umgegangen wird und nichts verschwiegen. Ich sag nur: RKR-Clownn. Der nimmt mittlerweile nur sich selber noch ernst.

    Weiter so, Madame und Robert! Mein Mann und ich lesen jeden Bericht mit Genuß.

    Renate aus Wörth a.D.

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    1. Danke und Grüße an den Gatten. Bleibt mir gewogen. :)

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  5. Top-Bericht! Bester Gastro-Kritiker überhaupt. Solltest für eine große Zeitung Kritiken schreiben.

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  6. Auch ich gehe, wenn auch nicht regelmäßig, gerne in das Restaurant von Helmut Schwögler. Das mit dem Stern kann ich allerdings nicht ganz nachvollziehen und bin auch gänzlich froh, dass der Guide Michelin nicht so inflationär bei der Vergabe vorgeht (Bis auf wenige Ausnahmen natürlich - z. B. Schuhbecks Südtiroler Stuben). Wer öfter in der hohen Küche unterwegs ist, wird wissen, wovon ich spreche. Zum Thema Sauvignon Blanc sei gesagt: Werfen Sie doch mal einen Blick in die Südsteiermark. Bspw. Sepp Muster - Vom Opok oder Weingut Werlitsch - Ex Vero II (90% Sauvignon). Ansonsten finde ich es sehr löblich, wie hier beide Seiten - Kritiker und Gastronom - mit der Situation umgegangen sind.

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    1. Danke für den Tipp bzgl. Sauvignon Blanc. Werde ich gelegentlich mal ins Auge fassen!

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  7. Ich habe das Essen bei Schwögler im Rahmen mehrerer Besuche als hervorragend, den Service jedoch ebenfalls als wechselhaft und launisch erlebt. Aber - ich habe Helmut Schwögler im Laufe mehrerer Jahre zwei Mal in privaten Runden, zu denen wir jeweils zufällig beide eingeladen waren, über seine Gäste sprechen gehört. Beides zusammen, insbesondere aber letzteres, macht es mir unmöglich sein Restaurant wieder aufzusuchen, obwohl ich es unter rein kulinarischen Gesichtspunkten tatsächlich sehr gerne würde. Aus eben diesen plante ich es widerstrebenden Herzens kürzlich mal trotzdem, aber auf dem Weg dorthin sind wir dann doch wieder umgekehrt, weil wir schier nicht aus dem Kopf bekommen haben, wie er über seine Gäste sprach, als diese es nicht hörten. Dazu möchte ich zwei Dinge sagen: 1. mir ist durchaus klar, daß affektierte, fordernde Menschen als Restaurantgäste echte Sargnägel sein können. Und 2. ich mag eine derbe Ausdrucksweise und eine klare Sprache. Im Zweifelsfall auch eine SEHR derbe Ausdrucksweise. Aber die Art, in der Herr Schwögler und seine Partnerin über die Gäste, deren evtl. Sonderwünsche und auch deren Aussehen(!), hergezogen haben, war dermaßen vulgär, gossenhaft und respektlos, daß ich mich da einfach unmöglich noch willkommen fühlen kann. Würde ein Bekannter von mir dort Geburtstag / Hochzeit / Beerdigung o.Ä. feiern, würde ich zwar nicht des Restaurants wegen absagen, aber ich werde in absehbarer Zeit sicher von selber nicht hingehen. Zugegeben, dies ist tatsächlich ein sehr respektabler, erwachsener Umgang mit Kritik, wie man ihn erfahrungsgemäß nicht nur in der Gastroszene leider nicht standardmäßig erwarten kann. Das muß man Herrn Schwögler positiv anrechnen, ungeachtet aller sonstigen Erwägungen und Erfahrungen. Daß die Vorstellung, die er und sein Personal an diesem Abend dann abgegeben haben, aber eben offenkundig genau das war, nämlich eine Vorstellung, und gerade nicht die Durchschnittsperformance dem anonymen Gast gegenüber, ist aber natürlich auch ein Teil der Wahrheit.

    Daß dies ein absolut subjektives, und dazu noch auf nicht nachprüfbaren Erlebnissen beruhendes Meinungsbild meinerseits ist, ist mir natürlich klar. Jedoch komme ich einfach NIE, wenn es um das Restaurant Schwegler geht, umhin es zu schildern und mit dem Erlebten zu begründen, da dies für mich einfach extrem eindrücklich war.

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    1. Jeder Mensch hat einen schlechten Tag und gerade in der Gastronomie glaube ich, kommt ein jeder dann und wann an seine Grenzen. So bestimmt auch ein Mensch wie Helmut Schwögler, den ich als stest freundlichen und höflichen Menschen kenne - und das aus Zeiten, da ich diesen Blog noch nicht geschrieben habe.
      Ich stelle Ihr Erleben keineswegs in Frage, aber es fällt mir schwer zu glauben, dass es zur Verallgemeinerung Helmut Schwöglers Einstellung seinen Gästen gegenüber tauglich ist. Dass die Gästeschaft seines Restaurant ein Spiegel der Gesellschaft ist, bedingt, dass sich unter seinen Gästen auf ein gewisser Anteil "Arschlöcher" tummelt ... Diese als solche auch zu bezeichnen,um seinem Unmut Luft zu schaffen, unterläuft uns allen wohl dann und wann ;)

      Robert Bock, auswärts essen regensburg

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