Achim und Lukas Bicking | copyright: Andreas Durst |
Wer die Richtung nicht kenne, in die er segeln will, für den stehe der Wind nie günstig, meinte vor beinahe 2000 Jahren der große Seneca.
Die Bicking-Brüder wissen wo's hingehen soll: "Die Ziele können nicht groß genug sein: Wir wollen zu den Besten gehören!" So verkünden es die beiden jungen Burschen auf ihrer Homepage und seit 2014 arbeiten Achim und Lukas gemeinsam am Gipfelsturm. In Gauersheim, im Norden der Pfalz, dort wo das Zellertal sein Ende findet, sind sie zuhause. Ihrem Hausberg, dem Gauersheimer Donnersberg, wollen sie den Rang in der Welt des Weines verschaffen, der ihm ihrer Überzeugung nach zustehe: Einen prominenten, einen herausragenden Rang in der an großen Lagen nicht gerade armen Welt des deutschen Weins. Mittlerweile diversifizieren sie geographisch nach Wallhausen an die Nahe und mit ihrer bemerkenswert stoffigen 2015er Weißweincuvée R'n'B schlagen sie eine Brücke über die rund 50 Kilometer, die Gauersheim und Wallhausen trennen: Riesling und Grauburgunder stammen aus ihren Lagen in der Pfalz, der Weißburgunder von der Nahe. Klingt ungewöhnlich? Gewöhnlich war gestern - heute ist Rock'n'Roll!
von Robert Bock
Lukas Bicking hatte die bislang erschienenen Winzer- und M-Th-Portraits der Reihe Müller-Thurgau-Maniacs gelesen, fand es schön, dass sich so viele Menschen wieder in den vielgeschmähten Müller-Thurgau zu verlieben scheinen, und so schrieb er mich über Facebook an:
"Seit 2009", schrieb er, "habe ich mich ebenfalls in Müller-Thurgau verliebt und habe nun im dritten Jahr meine eigene Interpretation auf unserer Liste im Weingut Bicking&Bicking. 2013 fing alles unter dem Namen Ingressus im Rahmen eines Schulprojektes der Wirtschafterschule an. Nun läuft er seit zwei Jahren unter dem Namen "Müller" und unsere Kunden sind immer wieder begeistert, was alles aus dieser Sorte entstehen kann"
Sagt selbst: da muss ein Müller-Thurgau-Fan wie ich doch neugierig werden, oder ...?
Der Gauersheimer Donnersberg | copyright: Andreas Durst |
Dies nimmt im Weinberg seinen Anfang: Der Kalkstein prägt den Boden, der Kalkstein prägt den Wein der Bickings. Wer's genau wissen will: Schwere Kalkmergelböden mit überlagernden Lehm- und Tonschichten mit hohem Kalksteinanteil. Albisheimer Heiligenborn, Gauersheimer Goldloch - so heißen ihre besten Lagen. Wie schön klingt auch die Lage Wallhäuser Backöfchen, oder? Man sieht die flirrende Hitze an hochsommerlichen Tagen förmlich vor Augen, wie auch die Weinbergeidechsen sich auf glühend heißen Steinen aufheizen ...
Achim Bicking | Copyright: Andreas Durst |
Selektiv werden diese von Hand gelesen und treten die Reise in den Keller an, wo sie mit Sorgfalt und Hingabe weiterbehandelt werden.
Eine alte Korbpresse haben Achim und Lukas reaktiviert, weil diese schonender dem Lesegut auf den Leib rücke. Mit Vorliebe lassen sie ihre Weine spontan vergären und klären mittels Sedimentation. Auf der Hefe dürfen sie verhältnismäßig lange liegen - dann erwartet den Wein bevorzugt der Ausbau im Holzfass. Alte Fuderfässer haben sich die beiden besorgt. Von der Mosel. Für den Feinschliff.
Lukas Bicking | copyright Andreas Durst |
Dies spiegelt sich meines persönlichen Erachtens auch im Stil der Flaschenetiketten und des Logos von Bicking&Bicking: Vintage klingt vielleicht schon eine Idee zu abgegriffen, aber trifft es.
Seit 1955 gibt es das Weingut Bicking in Gauersheim in der Pfalz. 4,5 ha umfasste die Fläche, die Jakob Bicking damals in gemischter Land- nebst Viehwirtschaft bewirtschaftete. Nach seiner Ausbildung zum Winzer, der Weiterbildung zum staatlich geprüften Wirtschafter für Önologie und Weinbau, stieg Eckhard Bicking, der Vater von Achim und Lukas, 1983 in den Betrieb ein und übernahm diesen im Jahr 1992. Die Rebfläche hatte sich bis dahin auf 18 ha erweitert und wuchs unter seiner Egide auf über 20ha an. Die Eltern der beiden eröffneten ein Gästehaus und auch ein Restaurant. Ein Leben geprägt von harter Arbeit, verwurzelt in Heimat und Wein statt Blutes in den Adern.
Foto: Bicking&Bicking, A. Durst |
Die beiden sind Kämpfer und verfolgen oenologisch einen im Glas schmeckbaren eigenen Plan. Dass es im Sturm und Drang zwischen den Generationen nicht immer ohne Reibung abgeht, davon kann so mancher junge Mensch ein Liedchen singen, der den elterlichen Betrieb übernimmt. So auch Achim und Lukas.
Wer übergeben will, muss loslassen können. Vater und Söhne sind Pfälzer Blutes. Bisweilen sagt man den Pfälzern Sturheit nach. Wenn Sturschädel aufeinander treffen, verhärten bisweilen die Fronten und es bedarf der Zeit, um sie aufzuweichen. Auch deshalb vollziehen die beiden nun eine Neuorientierung in Richtung der Nahe. In den kommenden Jahren wird die überwiegende Zahl der Weine von Bicking&Bicking die Herkunftsbezeichnung Nahe führen. Wer die meines Erachtens unterschätzten und wenig bekannten Weine von der Nahe kennt weiß, das muss kein Schaden sein ...
Selbstverständlich haben die Brüder einen Müller-Thurgau im Programm. Um diesen soll es gehen - weshalb sonst portraitierte ich sonst Bicking&Bicking in der Rubrik Müller-Thurgau-Maniacs?
Nicht Rivaner nennen sie ihn und verstecken ihn hinter diesem höchst unglücklichen Tarnbegriff - sie nennen ihn schlicht
Müller.
So hieß der Mann, der ihn dereinst in Geisenheim gekreuzt hat - so heißt ihr Wein. 50hl/ha Ertrag erzielten sie 2015 in der Lage Gauersheimer Goldloch. In schwerem Kalkmergel mit hoher Wasserspeicherkapazität wurzeln die Rebstöcke.
12% Alkohol "Beschwingungsmasse", 4,5g/L Säure. Mit lediglich 1,2g/L Restzucker handelt es sich um einen knochentrockenen, beinahe durchgegorenen Vertreter seiner Art, wie ich persönlich sie ansonsten vor allem aus Franken, zum Beispiel aus der Gegend um Randersacker oder Volkach kenne.
Ein "fränkisch-trockener" Müller-Thurgau von der Nahe? Das klingt hochinteressant!
Selektive Handlese, 12 Stunden Maischestandzeit, spontan vergoren im alten Fuderfass, Vollhefelager bis Anfang März. Das die Eckdaten, aber wie immer: Die Wahrheit ist im Glas ...
Unsere Verkostungsnotiz:
Im Glas gibt sich das Tröpfchen am ersten Tag unspektakulär zartgelb, klar und transparent - am zweiten Tag sollte sich der Rest in der Flasche deutlich dunkler mit Stich in helles Bernstein präsentieren.
In der Nase präsentiert sich der Müller erstaunlich verschlossen. Woran das liegen mag? Wir vermuten an seiner Jugend. Die sehr dezente Nase ist geprägt von grünem Apfel, blumig. kräutrig. Am zweiten Tag riecht der Wein erheblich fruchtiger, ja beinahe süß! Wer Wein kennt, lernt wieder und wieder an Wunder zu glauben.
An Zunge und Gaumen kommt der Bicking'sche Müller daher wie ein Chardonnay: Cremig, buttrig, Brioche und Holznoten, weniger die fruchtigen Aromen prägen den Geschmackseindruck aus der frisch geöffneten Flasche. Grünes Holz zudem, nicht jedem zwingend angenehm, als beisse man in eine frisch geschnittene Haselnussrute. Das Fuderfass? Die spontane Vergärung? Der Wein moussiert extrem dezent - am zweiten Tage nicht mehr. Doch jetzt gesellen sich Honig- und Vanillearomen hinzu, nach wie vor dominieren grüne vegetabile Noten und im Abgang melden sich zarte Anklänge an Rauch.
Unser persönliches Fazit: Hut ab für den Mut zum Experiment! Achim und Lukas haben mit ihrem Müller eine Richtung eingeschlagen, die wir so noch nicht kennengelernt haben. Ob dieser Müller-Stil in der Breite des Marktes auf Gegenliebe stößt, wird sich zeigen müssen - Liebhaber des Orange-Weins und Holzausbaus könnten in Verzückung geraten. Womöglich muss der 2015er Müller auch noch eine Weile reifen, um sein Potenzial im Glas zu entfalten. Die Veränderung im Übernachtversuch legt diesen Schluß nahe.
Madame und ich haben lange über diesen höchst ungewöhnlichen Müller-Thurgau diskutiert und meinen, ein Restzuckergehalt von 4-5 Gramm und etwas höhere Säure würden ihm - was unseren persönlichen Geschmack angeht, der niemandes Referenz ist - zu Gesicht stehen. Auch ob der zu 100% im Fuderfass erfolgte Ausbau für einen Müller-Thurgau der Weisheit letzter Schluß sein kann, darüber waren wir uns nicht einig. 50:50 Stahl und Holz? Könnte das die M-Th-typischen fruchtigen Aromen (Litschi, Banane, Apfel ,...) stärker akzentuieren, sofern hierfür nicht Reinzuchthefen verantwortlich zeichnen. Christoph Hammel beispielsweise praktiziert eine solche Aufteilung Stahl/Holz bei seinem Sauvignon Blanc Collage mit großem Erfolg ... Aber wir fantasieren, aber auch das macht den Spaß am Thema Wein doch aus, nicht wahr?
Hier scheint uns das letzte Wort noch nicht gesprochen und wir werden die Entwicklung der künftigen Jahrgänge des B&B-Müllers mit Interesse verfolgen. Die Richtung ist außergewöhnlich und genau das braucht der Müller-Thurgau für eine erfolgreiche Renaissance: Winzer, die sich etwas trauen, die Risiken eingehen und ihre Kunden überraschen! Was das angeht: Mehr geht in dieser Richtung kaum, als das was die Bickings mit ihrem 2015er Müller realisiert haben! Ein Wein, der jedem schmeckt, macht sich im negativen Sinn verdächtig.
Ich habe beschlossen, meiner Leidenschaft für diese Rebe und die Macher moderner Weine aus ihr Ausdruck zu verleihen und in meinem Blog zu einer lockeren Serie auszubauen. Winzer, die sich angesprochen fühlen, wenn man sie in den Kreis der "Müller-Thurgau-Maniacs" einreihte, sind herzlich eingeladen, sich bei mir via eMail oder Facebook zu melden ...
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