Donnerstag, 20. August 2015

Südtirol-Special, Teil 2: Zu Gast im Ungericht Hof in Kuens

copyright 2015 Robert Bock

Schöneres wie Meran sei kaum zu denken, schrieb der Schriftsteller Stefan Zweig anno 1910 an seine Freunde in Wien, und wer sich dieser Stadt und ihrer Umgebung wenigstens einmal in seinem Leben mit der nötigen Muße gewidmet hat, versteht aufs Wort, was er und andere Fans, ja "Jünger" dieser Stadt am Zusammenfluß von Etsch und Passer fanden und bis heute finden.

Übernachten würden wir allerdings dort nicht wollen; wie die meisten Urlauber, ziehen wir ein ruhiges Quartier umgeben von Natur dem mondänen K.u.K.- Charme der alten Kurstadt und seinen Grandhotels vor. Alternativen sind derer Legion: Algund, Dorf Tirol, Schenna, Kuens, Riffian ... Im jeweiligen Dorfkern aber leider auch hier: Massentourismus auf Schritt und Tritt. Abseits dessen: Fenster auf, Vogelzwitschern, das Rauschen kristallklaren Gebirgswassers im Ohr, eine  große Schöpfkelle voll Aussicht auf Weinberge, Apfelhaine und Berge ins Auge - schon läd der Akku auf, beinah von selbst.
von Robert Bock


copyright 2015 Robert Bock
Viele Urlauber bevorzugen "Rundumsorglospakete" in Form von Halb- oder Vollpension in ihren Unterkünften. Damit kann man Glück haben oder baden gehen ... Auf jeden Fall lernt man nur eine Küche und ihr Können kennen. Wir mögen das nicht: Wir haben ein paar Stammlokale, aber wir kundschaften im Falle längerer Aufenthalte trotzdem gerne die Umgegend nach gastronomischen Perlen aus, die unserer Entdeckung harren, lieben die Abwechslung und gehen kalkulierte Risiken ein. Wie soll man schließlich Neues, Anderes, Besseres entdecken, wenn man stets nur dort speist, wo man längst weiß, was einen erwartet? Allerdings ist es im Meraner Land nicht anders, als anderswo: Man muss viele Frösche küssen, um einen Prinzen zu finden und wessen Budget nicht hinreicht, um jeden Tag in Lokalen zu speisen, die auf Sterneniveau zu kochen verstehen, desto mehr.

Besonders gut schmeckt Südtirol, trotz schlichter, teils derber Speisen, wenn man sich per pedes den Weg auf die Hüttenbetriebe an den Hängen und Graten der Mutspitze und des Spronsertals, dem Longfallhof, dem Gasthof Hochmut, der Leiteralm, der Bockerhütte und vielen, vielen weiteren bis hinauf zur Oberkaseralm bei den Spronser Seen erkämpft hat. Hunger sei der beste Koch, pflegt der Volksmund zu sagen und meine Großmutter meinte, wenn die Maus voll sei, schmecke das Mehl bitter.

Auch auf den Höhen oberhalb von Schenna, am Hirzer und dem Ifinger, auf den Höhen des Tschögglberges rund um Hafling, auch oberhalb von Marling und Lana auf dem Vigiljoch, kann man schlichte, handwerklich hervorrragend gemachte und schmackhafte Südtiroler Küche geniessen - jedoch auch böse auf die Nase fallen. Man muss eben wissen, welche Hütte wofür bekannt - oder aber berüchtigt ist. Dieses Wissen zu erwerben, kostet nolens volens Lehrgeld ...

Von "Gipfelstürmerlokalen" soll aber nicht die Rede sein, denn heuer dauerte unser Aufenthalt im Meraner Land kaum 48 Stunden und war bloße Zwischenstation auf unserem Weg nach Istrien, die schweren Stiefel und der Rucksack also nicht an Bord.

Zwei handverlesene Tipps für einen Kurztripp ohne alpine Ambition möchten Madame und ich Euch gerne an die Hand geben; zwei in ihrer Art sehr unterschieldiche Lokale die ausgesprochen gute, bodenständige Küche zu fairen Preisen bieten. 

copyright 2015 Robert Bock
Heute der erste der beiden, demnächst, zum Abschluß meines Südtirol-Specials, der zweite; heute ein bodenständiger Gasthof, den ich seit meinem zehnten Lebensjahr kenne und immer wieder gerne aufsuche: der Ungericht Hof in Kuens, gelegen am Eingang zum Passeiertal.

Von Dorf Tirol aus ist das Gasthaus in einer guten Stunde auf einem angenehmen schattigen, wenig anspruchsvollen Spazierweg zu erreichen, oder mit dem Auto in Kuens von der Straße abzweigend, die zum Jaufenpass und zum Timmelsjoch führt.

Das Auto sollte allerdings ausreichend Pferdchen unter der Haube haben, denn die Steigungsprozente weisen stellenweise 20er-Größenordnung auf und Muffensausen wegen Gegegenverkehrs auf kurvigen, steilen, engen Sträßchen, ist der Vorfreude auf kulinarisches Vergnügen tendenziell abträglich. Heimwärts wird das Auto schwerer beladen sein - versprochen - denn die Portionen sind ordentlich; dann kommt es auf gut gewartete Bremsen an ...  Zur Zeit der Apfelernte, wenn die Apfelbauern mit hochgestapelten Apfelkisten auf den Anhängern ihrer schmalen Traktoren die Berge rauf- und runterheizen, wie weiland Schumi um den Nürburgring,  kann es sein, dass Flachlandtiroler wie unsereins nach Ankunft am Ungericht Hof überzeugt sind, man habe sich jetzt einen Schnaps redlich verdient. Selbiges nach erfolgreicher Abfahrt ...

copyright 2015 Robert Bock
Wir sind im Ungericht Hof sozusagen Stammgäste und die junge Wirtsfamilie Laimer-Pixner, die vor nicht langer Zeit den elterlichen Betrieb übernommen hat, freut sich, wie wir uns ebenfalls, wenn wir uns wiedersehen.

Für Beschäftigung von Kindern ist mit einem modernem Spielplatz und einem Streichelzoo gesorgt, die kleinen und großen Fans von historischen Porsche-Traktoren finden ein Dorado ihrer Leidenschaft in Form eines hauseigenen Privatmuseums mit mehr als 30 feuerroten Exemplaren auf dem Ungericht Hof vor. Wir kommen der guten bodenständigen Küche und der atemberaubenden Aussicht auf der Terrasse hinüber nach Schenna und weit hinunter ins weite Tal der Etsch wegen und streicheln für gewöhnlich weder Tiere noch Traktoren - allenfalls den Wein - obwohl Kurt Tucholsky bekanntlich meinte: "Schade, dass man einen Wein nicht streicheln kann."

Heuer waren wir zweimal zum Abendessen dort. Die offenen trockenen Weine des Ungerichthofes sind sämtlich enttäuschend und in dieser Qualität zu teuer. Das Leben ist zu kurz um schlechten Wein zu trinken - weswegen wir beschliessen, von den offenen Weinen Abstand zu nehmen und uns zur Feier des Anreisetages eine Flasche für 19 EUR kommen zu lassen. Madame fährt, und das zierliche Persönchen verträgt rätselhafterweise deutlich mehr als ich ... Die Flasche kam perfekt temperiert nebst Weinkühler und  richtig guten Gläsern und wurde am Tisch entkorkt, wie sich das gehört. Dazu bestellten wir das gute Pejo-Mineralwasser vom Stilfser Joch. Offener Wein wird in einer Karaffe an den Tisch geliefert, jedoch leider mit unangemessenen Gläsern die mittelmäßigem Wein noch den letzten Rest geben ...

Unser Flaschenwein: Ein 2014er Gewürztraminer der Winzergenossenschaft Nals-Margreid. Der Ort Tramin, die namensgebende mutmaßliche Heimat dieser alten Rebsorte, liegt nicht weit abseits Merans südlich von Bozen abwärts der Etsch an der Südtiroler Weinstraße, die Rebsorte wird aber allerorten in Südtirol kultiviert. So auch in Nals Margreid, zwischen Meran und Bozen.

Ein Südtiroler Traminer ist mit den deutschen Varietäten kaum zu vergleichen, allenfalls die Elsässer kommen in Wucht und Fülle an sie heran. Allerdings geraten die Traminer aus dem Elsaß gelegentlich etwas träge bis tröge; es mangelt ihnen an Spritzigkeit, Säure und Finesse, die Deutschen, die ich kennengelernt habe, sind oft wuchtig in der Nase und wecken entsprechende Erwartung, dann aber geben sie sich dünn und körperlos im Mund. Da drängt sich doch dem männlichen Teil der weintrinkenden Menschheit unweigerlich als Analogon der Wonderbra auf ...

copyright 2015 Robert Bock
Unsere Flasche läßt keine Wünsche offen und der Inhalt hält, was das Etikett verspicht: Ein schöner, ein ehrlicher Wein fürs Geld; keine Spitzenklasse, aber die darf man für diesen Preis auch nicht erwarten und wäre dem gastronomischen Anspruch des Ungericht Hofes auch gar nicht angemessen.

In der Nase der sortentypische Duft von Rosen und Honig, an Zunge und Gaumen blumig, kräftig, saftig, reife Honigmelone - und im Abgang ein Anklang an grüne Paprika, als wäre es ein Grüner Veltliner. Keine Überraschung, ist doch der Grüne Veltliner eine natürliche Kreuzung aus Traminer und Sankt-Georgen-Rebe, jedoch selten war mir persönlich diese Verwandschaft so deutlich erfahrbar. Madame und ich beschließen, beim nächsten Südtirolbesuch ins nahe Nals Margreid zu fahren, die dortige Winzergenossenschaft um eine Kiste dieses Tropfens zu erleichtern und verbuchen eine erfreuliche Entdeckung auf der Habenseite.

copyright 2015 Robert Bock
Am ersten Abend bestelle ich meinen All-Time-Favoriten der Küche des Ungerichtofes: Die hausgemachte Lasagne mit Beilagensalat (11 EUR) und Madame aus der Saisonkarte Pfifferlinge - aber natürlich nicht mit Speckknödel, wie auf der Karte vorgeschlagen, sondern mit ihren geliebten Bratkartoffeln und einem grünen Salat (13 EUR).

Meine Lasagne ist wie immer ein Gedicht. Schulmäßig gemacht mit schönem fleischigen, aber keineswegs zu stückigem, ausgiebig geköcheltem Sugo aus aromatischen Tomaten und Bechamelsauce.  Eine satte Menge Parmesan darüber und das Gesamtkunstwerk in einer Portionsgröße, mit der ein Südtiroler Waldarbeiter nach acht Stunden Knochenarbeit am Steilhang hochzufrieden sein dürfte. Höchste Aufmerksamkeit ist jetzt geboten, weil Madame probieren will - der geneigte Leser erinnert sich möglicherweise noch an die Anekdote mit dem Schoko-Croissant in Garmisch ... The gras is always greener on the other side of the fence ...

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Dass der Tellerrand dem Gast gehört, hat sich bis in die Küche des Ungerichthofes noch nicht herumgesprochen. Der junge Chef steht selbst an den Töpfen und Pfannen und er beherrscht sein Metier grundsätzlich vorzüglich. Angesichts der üppigen Portion wird hier der Tellerrand zur Zugaben- und Dekorationsregion erklärt. Ad extremum ausgereizt auf Madames Teller mit den Pfifferlingen (siehe unten) ... Mich stört das nicht, vor allem nicht, wenn ich eine so aromatische Bauerngurke, zurechttourniert wie ein Radi im Biergarten, dort vorfinde.

Der Beilagensalat ist ausgezeichnet, wie immer im Ungerichthof: sehr fein gehobelter, aromatischer Krautsalat, Karottensalat, Gurkensalat, Radicchio, Tomate und Eisbergsalat. Das Dressing mit rundem Spiel von Säure und Süße. Mit Olivenöl hat man es in Südtirol leider nicht - das hätte dem Salat, statt des neutralen undefinierbaren Pflanzenöls die Krone aufgesetzt. Wozu nimmt Madame eine Handtasche mit, wenn sich darin kein Fläschchen mit Spyridoulas ausgezeichnetem Olivenöl befindet? Madame zeigt Einsicht und gelobt Besserung ...


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Die Pifferlingssaison in vollem Gange und Madame liebt Pfifferlinge: Sehr gut, sehr aromatisch - ein Schuss Sahne hätte der Sauce aber nicht geschadet. Zu den Bratkartoffeln: die verwendete Kartoffelsorte ist speckig und aromatisch; ohne Schnickschnack perfekt kross gebraten. Leider wohl nicht in Butterschmalz, sondern einem neutralen Pflanzenöl - ein Stückchen Butter(schmalz) zum Öl in der Pfanne hätte die Kartoffeln perfektioniert. Dies als Anregung unsererseits an den Küchenchef ...

Nachtisch? Nachtisch! ... Ich entscheide mich für Apfelstrudel mit Schlagsahne (3 EUR), Madame, weil Saison ist, für Himbeeren mit Vanilleeis (5 EUR):

copyright 2015 Robert Bock
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Mein Apfelstrudel war formidabel, warm und fluffig, die Äpfel in dünnen Scheiben schlicht mit Zimt und Zucker mariniert. Keine Nüsse, Mandeln oder Rosinen. In Südtirol findet man zweierlei Apfelstrudelvarianten vor: Die klassische mit hauchdünnem Strudelteig und die mit einem mürben Quarkteig (österreichischer Topfenteig). Hier im Ungericht Hof pflegt man die Quarkteigvariante in Vollendung. Ich mag beide, vor allem wenn wie hier die Portion so groß ausfällt, wie anderswo zwei.

Die Himbeeren hätten nach Madames Dafürhalten eine Marinade vertragen. Ein wenig Himbeergeist mit Zucker, ein Schuß Himbeerlikör vielleicht ...? So nackt und schlicht ist der Spaß an diesem Dessert begrenzt und wer will oder kann schon warten, bis das Eis geschmolzen ist? Madame jedenfalls nicht ...

Zum Abschluß - aufs Haus - ein "Aufgesetzter" mit Heidelbeeren. Ein würdiger Abschluß des Abends unseres Anreisetages und der Heimweg führte nur bergab, so dass Madame es bester Laune und gänzlich angstfrei rollen lassen konnte ...

copyright 2015 Robert Bock
Ein neuer Tag - der letzte Abend unseres Kurzaufenthaltes im Meraner Land - und nochmal in den Ungericht Hof ...

Der hinter uns liegende Tag in Meran war lang, heiß und anstrengend, wir waren beide zu müde für Experimente und konzentrierten uns aufs Altbewährte. Da wir Mittags bereits in Meran ausgezeichnet gespeist haben (Bericht folgt ...), fällt am zweiten Abend die Bestellung vergleichsweise frugal bis asketisch aus. Keine Sorge, nicht vegetarisch - soviel Zeit muss sein, dass zumindest etwas Speck am Essen ist, sonst ist es kein Essen ... Dabei ist Freitag - und Freitag gibts im Ungericht Hof frische Forellen aus der Passer. Gegrillt, Müllerin oder Blau ... Das klingt schon sehr verlockend, aber unser beider Hunger ist nicht groß genug an diesem Abend. Nach schlichter Hausmannskost stand uns der Sinn:

Flüssig: Wasser vom Stilfser Joch.
Fest: Zweimal Speck-Krautsalat ...
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... und Bratkartoffeln - Sonderwunsch unsererseits, der gerne und anstandslos erfüllt wurde.


copyright 2015 Robert Bock
Noch nie schlug uns im Ungericht Hof das herzliche, stets aufmerksame Servicepersonal einen Wunsch ab. "Geht nicht" oder "Gibts nicht", scheint im Vokabular dort nicht existent zu sein. Sofern die Speisekammer den Wunsch des Gastes grundsätzlich realisierbar erscheinen läßt, wird er erfüllt. Vorbildlich!

Ein "Aufgesetzter" hinterher ging auch heute wieder aufs Haus und weil wir alte Stammgäste sind, gab uns die Wirtin sogar noch ein Glas hausgemachte Himbeermarmelade zum Abschied mit auf den Weg nach Istrien. Eine schöne Geste, die wir - wie die ausgezeichnete Marmelade - zu schätzen wissen.

Südtirol wäre für uns nicht Südtirol, ohne einen Besuch des Ungericht Hofes. Wir können das Gasthaus uneingeschränkt empfehlen. Der Ungericht Hof hat ganzjährig geöffnet, Montag ist Ruhetag. Näheres auf deren Homepage und Facebook-Seite.

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