Corinna und Stefan Heß, Weinwerkstatt Heß, Rödelsee |
Eigentlich sollte ich Corinna und Stefan Heß nicht als Müller-Thurgau-Maniacs, sondern als Mainiacs bezeichnen, denn der traditionsreiche Weinbauort Rödelsee liegt nur wenige Kilometer entfernt vom Main.
Steigerwald nennt sich diese, neben dem Maindreieck und Mainviereck dritte große Weinregion Mainfrankens. Alle drei unterscheiden sich in der Charakeristik ihres Terroirs und ihrer Weine grundlegend und sind jeder für sich eine Weinreise wert.
Die 1700 Einwohner zählende Gemeinde Rödelsee liegt am Fuße des Schwanberges. Der arbeitet sich majestätisch im Norden der Ortschaft aus großzügiger, weiter Ebene in die Höhe und bildet ein Entrée zum Steigerwald.
Wir haben uns bei der Weinwerkstatt Heß zur Verkostung angemeldet, denn feste Öffnungszeiten hat ihr Verkauf keine. Corinna Heß begrüßt uns und bittet uns in den geschmackvoll eingerichteten Verkostungsraum. Der Stefan treibe sich irgendwo herum. Das sei an einem Samstagnachmittag normal, meint sie. Später würde er noch zu uns stoßen, der Stefan.
von Robert Bock
Corinna ist vom Fach, das merkt man sofort. Drei Hektar mit rund 15.000 Weinstöcken bewirtschaftet das Traditionsweingut. Früher firmierte es unter Rudolf Heß - ein nachvollziehbar "problematischer Name", auch wenn der Namensgeber mit Hiltlers Stellvertreter nichts zu tun hatte ...
Deswegen, und weil hier in Rödelsee beinahe jeder dritte Winzer Heß heiße, haben die beiden beschlossen auf die griffigere Weinwerkstatt Heß umzufirmieren. Stefan sei nicht nur Winzer, er habe auch Landmaschinenmechaniker gelernt. Zwei Leidenschaften, die sich in der "Wein"-"Werkstatt" spiegeln und verbinden.
Klangvolle, uralte Namen haben die besten Weinlagen Rödelsees: Die Schwanleite wurde 1295 erstmals urkundlich erwähnt, der Küchenmeister im 1360. Mineralischer Gipskeupermergel prägt das Terroir der Rödelseer Weine. Mehr als 50% sind mit Silvaner bestockt. Nicht von ungefähr zählt man Rödelsee zur "Silvanerecke" Frankens.
Doch auch der Müller-Thurgau hat hier einen prominenten Rang inne - leider gelingt er nicht allen Rödelseer Weingütern so, dass sie unseres Erachtens Grund hätten, darauf stolz zu sein. Jedoch, das setze ich einschränkend hinzu, wir haben noch nicht alle Müller-Thurgaus der neun Weinbaubetriebe Rödelsees kennengelernt, die die Website der Gemeinde auflistet.
Von allen aber, die wir bislang kennenlernten, traf uns die Weinwerkstatt Heß mitten ins Herz: So kann ein Müller-Thurgau nämlich tatsächlich schmecken, wenn sich ein Winzer mit Liebe, Leidenschaft und Sorgfalt dieser Rebsorte zuwendet und sie nicht unter ferner liefen in seiner Gunst einsortiert. Sogar in der Literflasche, ja, sogar das!
Die Weinwerkstatt Hess ist außerdem seit 2012 ein Bioland-Betrieb.
"Die Natur begreifen und nicht bekämpfen – aus persönlicher Überzeugung wollen wir die Natur in ihrem Gleichgewicht erhalten. In unseren Weinbergen werden weder Unkrautvernichtungsmittel noch Insektizide ausgebracht."So versprechen es die Heß auf ihrer Website - und Bioland prüft, dass sie sich daran halten. Das bedeutet für den guten Stefan - ein zurückhaltend auftretender Mann mit offenen Blick und kräftigem Händedruck, den man sich auch in einem Blockhaus in den Weiten Alaskas vorstellen könnte - deutlich mehr an Arbeit und ein erhöhtes Ernteausfallrisiko, schont aber nachhaltig die Böden im Weinberg und schützt die wichtige Biodiversität.
Abgesehen davon: Giftige Pestizide und Isektizide, die nicht ausgebracht werden, gelangen erst gar nicht in den Wein. Wenn man so will: Corinna und Stefan Heß schenken ihren Kunden "reinen Wein" ein. Das gefällt uns!
Die Weinstilistik des jungen Winzerpaares - beide sind 28 Jahre jung - gefällt uns außerordentlich. Nicht nur die ihres Müller-Thurgau.
Ihre beiden Rieslinge von der Schwanleite - sowohl die 2012er Spätlese, als auch der 2014er Kabinett - sind wundervolle, klare Weine. Schlank und klar gegliedert mit überraschender, beinahe Glas für Glas changierender Aromatik, Finesse und langem Nachhall.
Bodenschnitt der Schwanleite |
Die 2014er Scheurebe vom Rödelseer Küchenmeister: Ein wunderschönes Tröpfchen! Der 2014er Silvaner - ebenfalls vom Küchenmeister: Einer der schönsten Silvaner, die ich je getrunken habe, da nicht so wuchtig-erdig, sondern leichtfüßig, mineralisch und fruchtig.
Es macht einfach Spaß, die Nase in ein Glas des Heß'schen Weins zu stecken und ihn anschließend über die Zunge rollen zu lassen.
Dort schmeckt nichts nach Routine, nichts wie schon zigmal gehabt, dankeschön, kennen wir schon, brauchen wir nicht nochmal ... Nein, hier wartet jede Sorte, die wir gekostet haben, mit Überraschungen auf. Sie strahlen die Ruhe und Gelassenheit von Stefan aus und plaudern mit flinker Zunge über ihre Zeit in Berg und Keller wie Corinna. Das ergänzt sich wunderbar - so wie sich die beiden unseres Eindrucks nach gut zu ergänzen scheinen. Unkomplizierte, freundliche junge Leute, die wissen was sie tun und wollen!
Nun aber zum Müller-Thurgau der Weinwerkstatt Heß:
Exotische Aromen, vollmundig, trocken. Restzucker 5,2g/l bei Säure 6,0g/l - so lauten die nüchternen Eckdaten des 2014er Müller-Thurgau vom Rödelseer Schlossberg. Der Liter 4,50 EUR. Für einen zertifizierten Bioland-Wein. Ist das ein Wort? Doch wie schmeckt er abseits dieser Eckdaten?
Corinna Heß warnt uns vor: Anders als bei den meisten Weißweinen anderer Winzer, brauchten ihre Weine Zeit, um sich zu entwickeln.
Aus diesem Grunde füllten sie die Weine auch nicht im Eilverfahren in die Flaschen, sondern ließen ihnen ausgiebig Zeit zur Reife im Stahltank. Die Trauben hätten schließlich monatelang zur Vollendung ihrer Reife am Stock gebraucht - warum solle man nun plötzlich eilig und hektisch agieren, nur um als einer der ersten Winzer mit dem nagelneuen Jahrgang auf dem Markt zu sein? Nein, das widerspreche ihrer und Stefans Philosophie! Die Weine kommen dann auf die Flasche, wenn sie beginnen Spaß zu machen und sie würde jedem Kunden raten, dem Wein auch noch im Keller Zeit einzuräumen.
Das klingt ungewohnt und ungewöhnlich - ist das nichts weiter als Teil einer Marketing-Strategie, die dem Kunden nahelegen soll: Kauf ein paar Flaschen mehr, unsere Tröpfchen sind langlebiger als die der Konkurrenz? Wir waren beide skeptisch ...
Zuhause aber erlebten wir im Zeitrafferversuch, dass Corinna Heß uns keineswegs einen Bären aufgebunden hatte! Wir behielten ein Drittel der Flasche für den zweiten Tag zurück und genossen ihn am zweiten Tag in vermeintlich ungeeigneten Gläsern: wuchtigen Burgunderpokalen. Was sich an Wundersamem ereignete, belegt ein Blick auf ...
... unsere Verkostungsnotiz:
Im Glas (1. Tag: Spiegelau Authentis Weißweinkelch; 2. Tag: Schott-Zwiesel Pur-Burgunderpokal): hellgelb bis goldgelb, wenig Schlierenbildung an der Kelchwand. Zweiter Tag: Deutlich kräftigerer Gelbton.
In der Nase: 1. Tag: Schrumpelige gelbe Äpfel, Zitrusfrüchte, blumig, frisch. Am 2. Tag eine regelrecht dramatische Explosion von neuen Aromen: Süße Fülle, Rosen, kandierte Ananas, Jasminblüten, griechische Nixtaluludia (der Duft griechischer Sommernächte).
An Zunge und Gaumen: 1. Tag: Grapefruit, unreife Bananen, Granny Smith, vegetabile, grüne Noten (Estragon?), zarte Bitternoten nach Zitronenschalenabrieb, Artischocke, Gips, feinsandige Mineralien. Sehr feines Moussieren an der Zungenspitze, Richtung Gaumen nachlassend. Saftig und speichelflussanregend im Abgang. 2. Tag: Die grünen Noten sind verblasst, dafür füllt sich der Mund mit säuerlichem Apfelmus und Ananas; die gestern noch unreifen Bananen scheinen über Nacht gereift und süß. Litschi - ja, auch dieses klassische Leitmotiv des M-Th ist eher hintergründig zu erschmecken.
Geeignete Speisenbegleiter: Hühnchen, Königsberger Klopse, eine richtig schöne, derbe Wurstplatte, Berg- und andere würzige Hartkäsesorten, geräucherte Forelle mit Meerrettich - generell Gerichte mit diesem Wurzelgemüse (Tafelspitz mit Meerrettichsoße etwa ...), dezent gewürzte Meeresfrüchte und Fisch mit Safransaucen, gebackener Karpfen, Maischolle Finkenwerder Art mit Speck.
Sonstiges: Schlank, frisch, harmonisches Spiel von Frucht und Säure ohne überbordend üppige Komplexität - am 1. Tag kein Wein zum Meditieren, am 2. Tag sehr wohl! Ein solider, eleganter Essensbegleiter, der nicht die Derbheit vieler Literflaschen-M-Ths aufweist und gerade deswegen aus der Reihe des althergebrachten Stils tanzt. Dieser Wein verträgt Temperaturen von 6-8 Grad um seine geradlinige Eleganz auszuspielen und im jungen Zustand viel Luft (Karaffe, bauchige Rotweingläser). Wer sich die Restsüße stärker in den Vordergrund wünscht (z.B. wenn der Wein säurehaltige Gerichte (Zitrusfrüchte, Tomaten, Essig, Jogurt) begleiten soll, temperiere ihn vorzugsweise auf 8-12 Grad und/oder lüftet den Wein ausgiebig vor dem Genuß. Wir billigen diesem M-Th auf Basis der beeindruckenden, und für einen Weißwein höchst ungewöhnlichen Erfahrung, ein Reifepotenzial von mindestens bis 2018/19 zu.
In ihrem Gutsanwesen in der Alten Iphöfer Straße 15a in Rödelsee haben Corinna und Stefan mit ihren Töchtern Sofie und Frieda nicht nur ihren Weinverkauf, sondern außerdem ein gemütliches Weincafé eingerichtet.
Dort kann man neben ihren Weinen Süßes und Deftiges zu sich nehmen. Moderne fränkische Winzergastronomie mit Bodenhaftung wie man sie sich vorstellt. Und das mit sehr persönlicher Note.
Wie auch die Weine: "Ein Spiegel für Heimatgefühl, Lust und Leidenschaft am Weinbau" wollen die Heß'schen Weine sein. Das ist den beiden unserer Meinung nach gut gelungen. Corinna und Stefan Heß - würdige Träger unseres Ehrentitels Müller-Thurgau-Maniacs!
Winzerinnen und Winzer, die sich angesprochen fühlen, wenn man sie in den Kreis dieser "Müller-Thurgau-Maniacs" einreihte, sind herzlich eingeladen, sich bei mir via eMail (dax_m(ät)gmx.net) oder Facebook zu melden ...
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