"Die Trauben für diesen kräftigen Rotwein stammen aus den idyllischen Weinbergen, die sich zu beiden Seiten der Rhône zwischen den Städten Vienne und Avignon erstrecken", beschreibt ihn Aldi in seiner Werbung, und die Zeitschrift falstaff habe diesem Tröpfchen gar 88 von 100 möglichen Punkten zugebilligt.
In einschlägigen Diskussionsforen zu Wein-Themen schlagen seit Tagen die Wellen hoch. Vom Untergang des Abendlandes ist die Rede, von korruptem Weinjournalismus ("Lügenpresse" mal anders ...) wird gemunkelt, vom Fluch der Geiz-ist-geil-Mentalität und dem Ende mittelständischer Weinbauwirtschaft, falls das so weitergehe.
Ich weiß auch nicht, was richtig oder falsch ist - meine persönliche Einstellung dazu ist weder die eines Weinbauern, noch die eines Groß- oder Einzelhändlers. Ich vertrete den Standpunkt der mutmaßlichen Mehrheit, nämlich den eines durchschnittlichen, wenn auch einigermaßen erfahrenen und möglicherweise überdurchschnittlich interessierten Weintrinkers. Und der lautet pragmatisch:
Die Wahrheit liegt alleine im Glas!
Und um diese Wahrheit soll es heute gehen: Was kann der fragliche Côtes du Rhône von Aldi? Kann man ihn trinken oder ist er ungenießbar? Ist er ein Schnäppchen oder selbst für weniger als drei Euro rausgeworfenes Geld?
von Robert Bock
Was gibt es grundsätzlich Wissenswertes zum Anbaugebiet und seiner Weine zu erzählen? Mit Côtes du Rhône („Hänge der Rhône“) wird ein überregional bedeutendes Weinbaugebiet im südlichen Rhonetal bezeichnet. Das Gebiet ist Teil des Weinbaugebietes Rhône (die der Landschaft Côtes du Rhône entspricht, den östlichen Alpenvorbergen und Abhängen der Cevennen des mittleren Rhonetals), genauer, der südlichen Côtes du Rhône Meridionales. Es erstreckt sich rund um die Städte Orange und Avignon.
Anbaufläche: 49.000 Hektar. Jahresproduktion: 400 Millionen Liter. 7.000 Produktionsbetriebe in 171 Gemeinden gehören zur AOC Côtes du Rhône (Appellation d’Origine Contrôlée = geschützte Herkunftsbezeichnung). Davon besitzen ca. 2.000 eine eigene Weinkellerei, die übrigen Betriebe sind in Kooperativen zusammengeschlossen. 97% der Weine sind Rot- oder Roséweine.
Die Trauben weisen eine hohe Fruchtsüße auf, werden in der Regeln trocken ausgebaut und zu Cuvées verschnitten. Die Rotweine der AOC Côtes du Rhône müssen aus mindestens 40 % Grenache Noir und mind. 15 % Syrah und/oder Mourvèdre bestehen. Was sich ansonsten im Fläschchen befindet? Wundertüte - eine zweistellige Zahl roter Rebsorten ist in der Gegend weinrechtlich zulässig und darf mit den drei Hauptsorten verschnitten (vulgo: "zusammengemischt") werden.
Der 2015er Bio-Côtes du Rhône von Aldi Süd macht keine expliziten Angaben über die Zusammensetzung der Cuvée. Das finde ich bedauerlich, entspricht aber wohl der gängigen Praxis. Betriebsgeheimnisse, Geheimniskrämerei, Verhinderung von Klarheit dem Verbraucher gegenüber - nennt es, wie Ihr wollt.
Deswegen bin ich gefühlsmäßig kein Freund dieser in vielen französischen Anbaugebieten üblichen Verschnitten - auch wenn sie teils hervorragende Weine hervorbringen! Ich bevorzuge die reinsortig ausgebauten Weine dieser Welt. Und das obwohl mir bewußt ist, dass auch in Deutschland nicht immer ein reinsortig ausgebauter Wein im Fläschchen ist, wenn er als solcher deklariert ist: Das deutsche Weinrecht lässt nämlich für Qualitätsweine großzügige 15% Fremdsorten aus der gleichen Region zu, die nicht deklariert werden müssen, wohl aber deklariert werden können. Auch dürfen 15% aus Weinen anderer, als des deklarierten Jahrgangs stammen ... Mir missfällt mehr, dass das nicht deklariert werden muss - weniger, dass es überhaupt gestattet ist. Ansonsten wäre mancher Wein vermutlich ziemlich belanglos und der Winzer hätte weniger Spielraum, seinen Weinen den jahrgangsbedingt möglichweise notwenigen Feinschliff zu spendieren. Am Ende zählt das Ergebnis im Glas, wie eingangs bereits geschrieben und alles andere ist akademisches Wolkenschieben und Girlandenschwingen.
Schreiten wir zur Verkostung ...
2015er Côtes du Rhône AOC trocken (Bio) | Aldi Süd | 2,99 EUR/0,75L (3,99 Euro/Liter)
Hinweis: Wir haben den Wein 60 Minuten vor dem Genuss karaffiert; 13% Alkohol, Kunststoffkorken
Im Glas (Zalto Universalglas): Klar, dunkles Bordeauxrot mit violetten Reflexen, dünne Schlieren, wenig Extrakt
In der Nase: Süßkirschen, schwarze Johannisbeeren, süße Brombeeren, Holunderbeerenmarmelade, sehr reife, rote Pflaumen, Veilchen, leicht rauchig
An Zunge und Gaumen: Kirschen, Schwarze Johannisbeeren, samtige Tannine, gefällig, ausgewogenes Spiel von Frucht und Säure - dünn, wenig Volumen, wenig Intensität, kaum Nachhall im Abgang, "unkompliziert". Keine Entwicklung im Glas, ja der Wein stirbt buchstäblich binnen drei Stunden.
Fazit: Wein-Novizen dürften an diesem Wein durchaus ihre Freude haben - erfahrene Weintrinker werden ihn wohl als in der Nase durchaus vielversprechend, im Mund allerdings als zu dünn, ja wässrig und enttäuschend facettenarm wahrnehmen. Als Speisenbegleiter zur Grillparty mag er angehen - aber selbst hierfür fallen mir für marginal mehr Geld Weine ein, die überproportional mehr Spaß machen. Kein Spaß - genau, das ist es, was Madame an diesem Wein massiv stört. Was die Redaktion des Wein-Magazins falstaff dazu bewogen haben mag, diesem Wein 88 von 100 Punkten zuzugestehen, wird uns ein Rätsel bleiben und wirft unserer persönlichen Meinung nach kein gutes Licht auf deren Expertise. Die Lagerfähigkeit taxieren wir auf Ende dieses Sommers.
Das Leben sei zu kurz, um es mit belanglosen Weinchen, die keinen Spaß machen über die Runden zu bringen, sagt sie. Sprichts und holt sich den 3-Liter-Bag mit Spyridoulas bemerkenswert schönen Merlot aus der Aegialia/Peloponnes (6 Euro/Liter) aus der Küche und kreiert spontan ihre eigene Cuvée. Ich bin natürlich neugierig: Wow! Ein Schuß von diesem würzigen Merlot hinzugegeben und dieser Côtes du Rhône lebt auf, pulsiert, gewinnt an Bauch und Würze!
Was lernen wir daraus? Seid mutig und Herr oder Herrin Eures Geschmacks!
Diesen Wein von Aldi kann man für diesen Preis kaufen - man muss es aber keineswegs. Für Wein-Einsteiger mit Faible für Bio oder den ideologieüberfrachteten Vegan-Unfug kann er ein schöner Einstieg sein, mehr aber nicht. Für uns schrammt er - trotz seines Kampfpreises - haarscharf an der Kategorie "rausgeworfenes Geld und verschwendete Lebenszeit" vorbei.
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NACHTRAG: Der Rest in der Flasche entpuppt sich am zweitenTag runder und fruchtiger, bei nahezu völlig abgebautem Tanningerüst. Leichte Steigerung gegenüber dem Initialurteil.
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