Dienstag, 24. Mai 2016

Kampfpreis (II): 2,99 Euro für einen Sauvignon Blanc IGP mit Bio-Siegel bei Aldi Süd

Bio, vegan und 86 von 100 Punkte vom Weinmagazin falstaff - und das für 2,99 Euro für die Dreiviertelliterflasche? Aldi Süd lässt es mal wieder krachen ...

Den Roten vom gleichen Aktionsbeginn - ein 2015er Côtes du Rhône (bio, vegan, 88-falstaff-Punkte) - habe ich bereits besprochen. Wer mag, kann meine und Madames Meinung dazu hier nachlesen.


Heute also der Weißwein aus der jüngsten Aldi-Süd-Bio-Aktionswoche in unseren Weingläsern: Man gönnt sich ja sonst nichts ...

Ausgangshypothese: Ein annehmbarer, angenehmer Wein, der frei von handwerklichen Fehlern ist, muss nicht zwingend und automatisch teuer sein!

von Robert Bock 

Solcherlei Aussagen missfallen vielen Winzern und Weinhändlern, die aus nachvollziehbaren Gründen versuchen ihre Kundschaft vom Gegenteil zu überzeugen. Wahrer werden ihre Argumentationsversuche dadurch nicht. Wir sprechen hier von Tendenzaussagen - nicht von Gesetzmäßigkeiten.

Schon gar nicht ist die Beziehung zwischen Preis und Qualität/Spaß/Genuss linear, sondern eher logarithmisch skaliert. Ein Wein der doppelt so viel kostet wie ein anderer, macht nicht automatisch doppelt so viel Spaß. Und je höher die Preisregion, desto geringer wird der Spaß/Genuss-Zuwachs bei jeder weiteren Verdopplung des Preises.

Werner Eckert bringt es in diesem Video meines Erachstens kompakt auf den Punkt:



Man kann und darf obszöne Preise für eine Flasche Wein bezahlen - aber muss man das? Mir persönlich ist Wein keine Ego-Prothese, mit der ich mir Lebenssinn, Glück oder Status erkaufen könnte, sondern ein Lebens- und Genussmittel und Kulturgut über das sich Interessantes lernen lässt und an dessen unermesslicher Vielfalt ich mich erfreue. Menschen kennenzulernen, die Wein produzieren, macht mir Freude. Deshalb fahre ich bevorzugt zu den Winzern, spaziere in den Weinbergen herum und kaufe vor Ort. Das vertieft meine Freude. Nicht mehr, aber auch nicht weniger bedeutet mir Wein. Mir ist das genug. Aber ich bin ich und Du bist du! Ich bin nicht jemandes Referenz, außer mir selbst.

Auch auf den internationalen Weinmärkten werden Preise über das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage gebildet, das Jahr 2015 brachte in den meisten Weinanbauregionen sehr gute Erträge, die Zahl der Weinkonsumenten und der Pro-Kopf-Verbrauch bleiben etwa gleich, und infolgedessen werden die Märkte derzeit mit Weinen zu Schleuderpreisen regelrecht überschwemmt ...

Und jetzt schon wieder dieser Aldi! Muss das sein? Klar, dass das den Mittelstand, den Kleinbetrieb besonders hart trifft, denn je kleiner der Betrieb, desto geringer die Fixkostendegression, je mehr der Mensch und je weniger die Maschine Arbeit leistet - zumal in Zeiten des Mindestlohns -, desto schwieriger wird es Vollkostendeckung auf die Reihe zu bringen.

Jammern hilft nichts - der Käufer entscheidet, was er kauft und trinkt. Wer weder sich, seiner Marke, noch seinen Weinen ein klares Profil verschafft hat, wer als Winzer keinen USP (Unique Selling Proposition = Alleinstellungsmerkmal) vorweisen kann, erlebt die volle Härte gnadenloser Preiskämpfe unter den Vorzeichen enorm preissensibler großer Marktsegmente. Klar, dass Wein-Afficionados und Etikettentrinker solche Preisschlager meiden wie der Teufel das Weihwasser - aber die Selbstwahrnehmung solcher Menschen täuscht: Ihr Geschmack und ihr Präferenz ist keine Referenz für die breite Masse der Weinkonsumenten.

Dabei ist es manchmal gar nicht so verkehrt, einmal die günstigen Schoppenweine (Grundweine im Sortiment eines hiesigen Winzers) zu verkosten und sich von dort aus in die gehobeneren Preisklassen vorzukosten. Gute Winzer produzieren für wenig Geld oft Grundweine, die im Alltag einen ungeheuren Trinkspaß bieten. Aber mitunter auch furchtbar grässliches Zeug wie beispielsweise ein Silvaner aus der Literflasche eines VDP-Weingutes aus Iphofen, den ich neulich serviert bekam.


Wer jeden Tag nur "Sonntagsweine" zu sich nimmt, stumpft ab und verliert das Gefühl für das Besondere. Dekadenz nennt man das und denkt dabei ans alte Rom. Soweit sind wir von den Zuständen von damals leider nicht entfernt, wenn ich die eitle Wichtigtuerei und die Schwanzlängenvergleiche mancher selbsternannter Weinexperten in den einschlägigen Wein-Foren auf mich wirken lasse ...

Niemand anderem als dem Käufer muss das Tröpfchen schmecken und wenn der Käufer zwischen dem Literwein für 5 Euro beim heimischen Winzer und dem Aldi-Bio-Vegan-Wein für 3,99/Liter geschmacklich indifferent ist, dann wird es schwierig, gegen den Lebensmitteleinzelhandelsriesen anzuargumentieren, denn die Wahrheit liegt im Glas. Nichts anderes, als der Geschmack des Kunden entscheidet.

Auch ein Wein für 2,99 EUR/0,75L kann potenziell Spaß machen - auch wenn das wesentlich seltener vorkommt, als bei einer Flasche für sagen wir 8-10 EUR. Das ist jedem klar, der mit nüchternem Blick, unverstellt von psychologischen Fallstricken wie dem Preis-Qualitäts-Ausstrahlungseffekt ("Was nichts kostet, taugt nichts!") oder dem Veblen-/Snob-Effekt (jemand kauft ein Produkt wegen seines hohen Preises; Geltungs- oder Demonstrationskonsum, Wein als Statussymbol) an die Sache herangeht.



Unvoreingenommen - so  will ich herangehen an die Verkostung dieses "bio 2015 Sauvignon Blanc IGP - Bio-Qualität mit Frucht und Frische", so lobt ihn Aldi online aus und liefert auch ein paar "Weininformationen":

"Die Trauben für diesen Sauvignon Blanc stammen aus ökologischem Anbau und werden vegan verarbeitet. Die Sauvignon Blanc Traube gilt als eine der besten Rebsorten Frankreichs und hat auch dort vermutlich ihren Ursprung. Heute ist sie weltweit beliebt.
Typisch für diese Edelrebe sind Weine, die mit viel Frucht und feiner Säure zu überzeugen wissen.
Dieser Sauvignon Blanc IGP wurde mit 86 von 100 Falstaff-Punkten ausgezeichnet.
Produzent: Grands Vins Sélection ist ein Garant für eine ausgezeichnete Balance von Tradition und Moderne: Hier wird nach modernsten technischen Anforderungen gemäß den IFS-Standards gearbeitet, gleichzeitig aber der individuelle, traditionelle Charakter des Weines bewahrt.
Region: Das Anbaugebiet d’Oc liegt im Languedoc-Roussillon, wo ca. 83 % aller französischen Vin de Pays produziert werden. Die Rebflächen befinden sich oftmals nahe der Küstenlinie am Mittelmeer. Das im Sommer meistens trockene und heiße Klima bietet ideale Bedingungen für die Sauvignon Blanc Rebe. Dieser Sauvignon Blanc IGP stammt aus Weinbergen, die nach biologischen Richtlinien bewirtschaftet werden.
Weinbeschreibung und Speisenkombination: Ein hellgelber Wein mit grünen Reflexen, der im Duft feine Aromen von Zitrusfrucht, Stachelbeere, Kiwi, Pfirsich und etwas Aprikose zeigt. Am Gaumen präsentiert er sich saftig und frisch mit feinherbem Charakter und angenehmer Frucht. Der Wein harmoniert sehr gut mit Salaten, Fischgerichten, Krustentieren und hellem Geflügel sowie mit feinen Spargelgerichten. Die ideale Trinktemperatur liegt bei 12 °C." (Quelle: Aldi-Süd)

Unsere Verkostungsnotiz:


Die Flasche ist ihres Kunststoffstopfens entledigt, mein Weinthermometer zeigt 10 Grad (wärmer wird er von selbst), das Tröpfchen befindet sich in einem Weißweinkelch der Authentis-Serie von Spiegelau, ein Weißweinglas, das Madame und ich sehr schätzen und zumeist für Weißweine verwenden.

2015er Sauvignon Blanc trocken | Pays d'Oc IGP, Frankreich | Bio, Vegan | Aldi-Süd | 2,99 EUR/0,75L

Im Glas: Strohgelb mit grünen Reflexen; keine Schlierenbildung am Kelch.

In der Nase: Heu, kräutrige Noten, grüne Paprika, Harz, Alkohol.

An Zunge und Gaumen: Bitter, sprittig, Zitronenschale, unreife Stachelbeeren, unreife weiße Johannisbeeren, Eisbonbon, Granny Smith, dezent mineralisch und minimales Moussieren am Rande der Trägheit, eher dünn und kaum mundfüllend - Unter 12 Grad wirkt der Wein unangenehm trocken und säurebetont. Ab 12 Grad gesellt sich ein marginal fruchtigerer Eindruck hinzu, der dem Gesamtbild am Gaumen im positiven Sinne förderlich ist. Im hinteren Drittel der Zunge fördert dies den Eindruck von Saftigkeit und animiert den Speichelfluß ähnlich eines säuerlichen Apfels. Die Aldi-Einstufung "feinherb" kann ich nicht nachvollziehen. Die Empfehlung, den Wein bei 12 Grad zu servieren ist hingegen gut gewählt. Wird diese Temperatur allerdings überschritten, mutet der Wein tröge und unangenehm alkoholisch an, schmeckt nur noch nach sauren, gelben Äpfeln.

Fazit: Man kann den Wein trinken. Sofern kein anderer zur Wahl steht, wird man einen Abend mit diesem Wein überleben, wenngleich jene, die wissen, wie ein richtig schöner Sauvignon Blanc (sei es aus Frankreich, Neuseeland oder gar der Pfalz (mein Favorit: Der Sauvignon Blanc Collage von Hammel & Cie.!) schmecken kann, wird einem Abend entgangener Genüsse hinterhertrauern.

Für einen Wein-Einsteiger ist das Aldi-Tröpfchen unserer Meinung nach aufgrund seiner recht rassen, bitteren Aromatik nach unreifen Früchten und Heu wenig geeignet die Lust am Entdecken der weiten Welt des Weines zu wecken. Von den ausgelobten Aromen von Aprikose und Pfirsich war zumindest uns und in unserem Fläschchen und Glas nichts zu schmecken.

Ein alltagstauglicher Sommerwein sollte unseres Erachtens seine Reize nicht in einem allzu engen Temperaturband ausspielen. Auf Balkon, Terrasse oder im Garten ist Weißweinkühlung unter Hitzbedingungen eine Herausforderung. Dieser Wein ist in dieser Hinsicht unseres Erachtens problematisch: Zu kalt ist er nichts, zu warm ist er gar nichts. Dazwischen akzeptabel ohne Höhepunkte. Das ist uns zu wenig. Selbst für diesen Preis.

Wie schon bei den 88 Punkten für den Roten, die falstaff für angemessen hielt: Die 86 von 100 Punkten für dieses Tröpfchen kann ich nicht nachvollziehen und sind ein Schlag ins Gesicht vieler Winzer, die in diesem Punktebereich Weine zur Bewertung abgeliefert haben, die diesen Aldi-Wein um Längen schlagen. Für mich hat die Redaktion dieses Wein-Magazins seine Glaubwürdigkeit nunmehr entgültig verspielt, so kegelt man sich konsequent aus der Bedeutung und erweist dem Thema Wein einen Bärendienst. Solche abwegigen Bewertungen stinken mir wie ein gärender Misthaufen.

Unsere persönliche Empfehlung: Man investiere 6-8 Euro für eine Flasche Sauvignon Blanc und man bekommt zur Belohung die Aussicht auf Spaß und Lust an dieser Rebsorte. Für 2,99 Euro ist dieser konkrete Wein um exakt diese 3-5 vermeintlich ersparten Euros zu teuer. Paradox? Denkt drüber nach ...

Außerdem:  Der Aldi-Aktionswein kostet 3,99 EUR/Liter. Neulich habe ich - nur ein Beispiel! - einen Müller-Thurgau aus Rödelsee vorgestellt, der kostet - mit Bioland-Siegel! - schlanke 4,50 EUR/Liter. Ein sehr schöner, lebendiger Wein für jeden Tag, der Spaß macht und begeistern kann und das nicht nur als Speisenbegleiter.


Lohnt es sich 51 Cent für einen heimischen, ehrlich gemachten, faszinierenden Wein aus nachhaltiger Produktion draufzulegen? Oder muss es südfranzösischer Wein vom Discounter sein, der so sexy ist wie Schiesser-Feinripp-Unterhosen mit Eingriff? 

Was für eine Frage, oder? Probieren lohnt! Das ist meine Erfahrung. Jeder macht andere. Ich bin ich - und Ihr seid Ihr.



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