Dass Kneitingerbier bei hinreichender Dosis beschwingt, ist kein Geheimnis, dass eine ausgelöste Schweinshaxn mit Kartoffel-Gurken-Salat Flügel verleiht, war Madame und mir neu. Doch dazu im Fortgang dieses Berichts über unsere Stippvisite zum Mittagessen später mehr.
Warum setzt sich jemand an einem der wenigen strahlenden Sonnentage dieser Parodie eines Sommers 2016 in den überdachten Freisitz eines der Regensburger Traditionswirtshäuser schlechthin?
Es ist schließlich Jazz-Weekend, allüberall auf den Schauplätzen des Musikfestivals Fressbuden - 'tschuldigung: "Street Food" - Falavel, frittierter Asia-Kram, DönerDönerDöner, zwielichte Bratwürscht und,und, und ...
Nein danke - bevor wir diesen großteils widerwärtig riechenden und anzusehenden, überteuerten Imbiss-Mist in uns hineinfressen, beschließen wir einen Biergarten im Westen der Altstadt aufzusuchen, doch der hat zu unser beider Überraschung Samstags und Sonntags geschlossen?! Schön, wenn ein Wirt sich das leisten kann am Wochenende dicht zu machen. Wäre hier Facebook, gäbs von uns vier Daumen für bizzare Öffnungszeitenpolitik.
Wohin dann? Doch einen Dönerteller Versace? Madame ist hungrig und wenn sie hungrig ist, ist Ungemach in Verzug. Anfangs sträube ich mich gegen ihren Vorschlag, den Knei am Arnulfplatz, doch ich sehe ein, es ist besser mich zu fügen, zumal mir auf die Schnelle auch nichts besseres einfällt bei all dem Pizzerien-Mittelmaß und Imbiss an den Brennpunkten des Jazz-Geschehens.
Nun denn zum Kneitinger ... Man sitzt bequem an langen Tischen im überglasten Freisitz, es weht ein lindes Lüfterl - man kann es bei draußen 30 Grad hier trefflich aushalten.
Wir bestellen bei der freundlichen Servicekraft zwei Dunkle Radler (je 3,40 EUR), die beinahe schneller geliefert werden, als der Schall Strecke pro Sekunde macht. 40 Cent Altstadtzuschlag gegenüber dem Radlerpreis beim Prössl am Adlersberg ...
Muss man zum Knei seim Bier noch Worte verlieren? Nein. Der Prösslbräu in Adlersberg und der Kneitinger - sie teilen sich unseres Erachtens die Pole-Position der hiesigen Brauereien. Madame liebt das Dunkle Radler vom Kneitinger - das will viel heißen ...
Ausgelöstes Schweinshaxnfleisch mit Kartoffel-Gurkensalat - die große Portion zu 9,90 EUR von der Tageskarte soll es sein.
Kaum drei Minuten später stehen zwei große Teller mit eindrucksvollen Portionen vor uns. Alle Achtung - der Service ist hier wirklich auf Zack!
Das Schweinshaxnfleisch ist hervorragend gebraten, die Kruste rösch und würzig - ganz großes Bairisches Küchenkino!
Die Soße - naja, sie ist nicht schlecht, aber mutet geschmacklich etwas dünn und von der Textur her angedickt an.
Mehr dunkles Bier, Knochen und Wurzelgemüse, alles tiefer reduzieren, dann wäre die Soße durchaus richtig gut geworden. Dass "Maria-Hilf" (Suppen-/Soßenpulver) im Spiel war würde ich nicht beschwören wollen, aber schließe es nicht aus, was nach der Lektüre der folgenden Absätze nachvollziehbarer werden dürfte ...
Nun zum Kartoffel-Gurkensalat. Geruchsprobe ... Hoppala? Geschmacksprobe: Na, ob der wirklich zu 100% hausgemacht ist, wie ihn Oma daheim der Familie mit Liebe zubereiten würde?
Die Gurken, ja, die sind handgehobelt (der penetranten Säure im Kerngehäuse der Gurke wegen vermutlich nicht heute.) Der Kartoffelsalat schmeckt und riecht verdächtig nach Convenience. Kann das sein? Den großen Eimer aufgerissen, Gurkensalat druntergemischt, ein wenig abgeschmeckt, ein Vaterunser und ein Ave Maria hinterher, verbunden mit der Hoffnung, die Preissn werdens schon nicht merken? Anderswo ok - aber doch nicht im Knei?!
Das fuchst mich jetzt ... Ich schnappe mir die Karte, lese hinter unserem Gericht eine kryptische Nummerfolge: 1, 8, 9, 10, 14. Die Lottozahlen werdens nicht sein, es sind nur fünf - was also dann? Die Legende in der Hauptkarte bringt Klärung:
1 = Farbstoff
8 = Milcheiweiß
9 = koffeinhaltig
10 = chininhaltig
14 = Taurin
Liest sich für mich persönlich nicht gerade vertrauenserweckend. Liest sich nach Bitter Lemon, Tonic Water und Red Bull - Koffein, Chinin und Taurin sind wesentliche Bestandteile solcher sogenannter Softdrinks.
Soll uns unser Hauptgericht - wie übrigens viele andere auf der Karte auch, die diese Nummern hinter dem Namen spazierentragen - dem Gast etwa Flügel verleihen?
Auf der Karte deutlich zu erkennen: hinter jedem Kartoffelknödel ein Sternchen - "mit Konservierungsstoff" klärt die Legende auf. Convenience-Knödel aus der Fabrik statt ehrlicher, hausgemachter Knödel? Der Knödel, unbestritten eines der Aushängeschilder Oberpfälzer Küche, wird ausgerechnet im Knei nicht mit Liebe und von Hand verfertigt ...?
"Vanille-Eis (1,11)" = "Farbstoffe, Süßungsmittel" - Keine 100 Meter vom Arnulfsplatz entfernt gibt's eine wunderbare Eisdiele. Was sag ich: Die ganze Altstadt ist voll damit ... Ist es zuviel verlangt, sich dort handwerklich sauberes Eis auf Basis echter Sahne statt billigen und ungesunden Pflanzenfetts, ohne Farbstoffe, ohne Süßungsmittel, ohne Vanille-Aroma, sondern mit ehrlichem Zucker zu besorgen? Muss es wirklich diese industrielle Parodie einer Eiscreme sein? Wer für ein gemischtes Eis mit Sahne 4,50 EUR verlangt, sollte dem Gast anbieten, was er für diesen Preis verdient.
Was hat dieser - Entschuldigung - Chemiebaukasten in den Speisen eines bairischen Traditionswirtshauses verloren? Wessen Oma steht sonntags daheim am Herd und kippt Tonic-Water und Bitter Lemon ins Sößchen oder mariniert den Schweinshaxn über Nacht in Red Bull?
Wenn keine Softdrinks: Wo kommt dieses Zeug in meinem Essen her? Womit und warum werden hier ein Mangel an Lust und Liebe zum handwerklich sauberen Kochen übertüncht? Weils schneller geht und billiger kommt ...?
Natürlich: Der Gesetzgeber erlaubt den Einsatz solcher Helferlein, zwingt den Gastronomen aber keineswegs dazu. Jedoch verpflichtet er ihn bewußt, solche Zusatzstoffe zu deklarieren. Dann kann der mündige und kritische Gast sein Urteil über solche Küchenpraxis treffen und selbst entscheiden, ob er sich das antun und tatsächlich dort speisen will.
Der Masse der Maggi- und Knorr-Fix-Verwender die gar nicht mehr weiß, wie großartig echte Bairische Küche sein kann, mag das egal sein - uns und jedem anderen Gast, der Wert auf gute Küche legt, nicht ... Lieber zahl ich ein, zwei Euro mehr für ein Gericht, wenn mir dafür saubere Kochkunst präsentiert wird - hier zahl ich großteils deutlich mehr, als anderswo , aber bekomme billige Convenience vorgesetzt.
Angesichts der Lage des Lokals kann ich das nachvollziehen - aber 17,90 EUR für eine "ganze hintere Schweinshaxn mit Kren und Kartoffel-Gurken-Salat am Brettl serviert (1,8,9,10,14)" zu verlangen, ist in meinen Augen frech.
Mir stechen beim Studium der Speisekarte ferner die Wienerwürstl vom Grill mit Pommes Frites und Ketchup auf der Kinderkarte ins Auge ... Und an dieser Stelle platzt mir leider der Kragen!
Jedermann vom Küchenfach lernt, dass Wiener Würstchen mit Nitritpökelsalz hergestellt werden.
Nitritpökelsalz als Zusatzstoff taucht in der Kneitingerlegende - siehe Foto - als Nummer 15 auf. Auf dem gleichen Foto klar zu erkennen: Das fragliche Gericht kommt aber - aus mir nicht nachvollziehbaren Gründen - ohne Deklaration der Nummer 15 aus.
Wie kann das sein? Wiener Würstchen (für unsere Kleinen) ohne Nitritpökelsalz? Von welchem Metzger stammen bitte Wiener ohne Nitritpökelsalz? Such ich nämlich selbst schon lange - aber erfolglos ... Ein Ketchup ganz ohne Konservierungsstoffe und Süßungsmittel obendrein? Wo bezieht der Knei das? Macht man - statt des Kartoffelsalates - das Ketchup selbst und kann deshalb dafür geradestehen, dass dieser Mist nicht enthalten ist? Falls dem nicht so ist, weshalb sind die Zusatzstoffe nicht deklariert?
Was regt er se so af, da Depp? Was hod a für a Problem mitm Grillen von Wienerln? Machma mir doch dahoam scho oiwei aso!
Dazu von der Website der Verbraucherzentrale Bayern:
"Frage: Stimmt es, dass man Wiener Würstchen nicht grillen sollte?Potenziell krebserregende Substanzen in einem Gericht auf der Kinderkarte? Na, ob davon wirklich alle Eltern und Großeltern, die mit ihren Kindern und Enkeln hier speisen, begeistert sind?
Antwort: Ja. Wiener Würstchen und andere Pökelwaren wie Leberkäse, Kassler, Fleischwurst oder Schinkenspeck gehören nicht auf den Grill. Sie enthalten Nitritpökelsalz. Durch die Hitze beim Grillen kann das Nitrit mit dem im Fleisch enthaltenen Eiweiß reagieren und krebserregende Nitrosamine bilden."
Jeder Koch lernt in seiner Ausbildung, dass das Grillen von nitritpökelsalzhaltigen Fleischwaren zu den schweren handwerklichen Sünden zählt - ja "Körperverletzung" nahekommt, wie es Zwei-Sterne-Koch und TV-Promi Frank Rosin in einer seiner Sendungen einmal einem seiner hilfsbedürftigen Kandidaten ausgedeutscht hat. Weshalb scheint das Küchenchef oder -chefin des Kneitinger am Arnulfsplatz in Regensburg egal zu sein?
Fazit: Wir waren nicht zufrieden im Knei.
Am Service hat es keinesfalls gelegen, der hat vorbildlich gearbeitet. Auch das Bier war wie immer ausgezeichnet. Das Problem sind auch nicht die Speisen an sich, eher schon der Umfang der Karte - das Kernproblem ist unserer persönlichen Meinung nach die grundlegende Küchenphilosophie:
Weshalb sollte es nicht möglich sein in einem der traditionsreichsten Wirtshäuer, ja einem Aushängeschild Regensburger Wirtshauskultur, ehrlich, bodenständig und gänzlich ohne Convenience-Unterstützung zu kochen?
Weshalb leistet sich die Küche Schnitzer, die nach Stand der Wissenschaft die Gesundheit ihrer Gäste gefährden, wie Wiener Würstchen vom Grill? Ausgerechnet auf der Kinderkarte!
Der Knei am Arnulfsplatz ist beileibe kein Einzelfall dafür, dass in der hiesigen Gastronomie - und andernortens - das "Prinzip Convenience" überhand genommen hat. In einer Imbissbude oder einer Betriebskantine ist es nicht minder schlimm, ärgert mich aber weniger, weil meine Erwartungshaltung eine andere ist, als in einem Traditionsgasthaus. Auch bei einem durchschnittlichen Buffet-Chinesen weiß ich, worauf ich mich einlasse ... aber hier, beim Knei?
Es geht definitiv anders - sofern man das will. Man fahre nach Nürnberg und besuche in der Kategorie Brauereigaststätten beispielsweise die Schankwirtschaft des Schanzenbräu ... Im Umland in der Kategorie "Bairische Küche" das Gasthaus Hummel in Wischenhofen und den Schwarzen Adler in Pfakofen. Gewinne seien die Folge hervorragender Produkte, nicht deren Voraussetzung, hat der Automobilpionier Henry Ford einmal sinngemäß formuliert. Dessen Worte sollte sich so mancher Gastronom in unserer hiesigen Szene - vor allem der Bairischen Lokale und Biergärten - durch den Kopf gehen lassen ...
Wir kritisieren wie immer konstruktiv und regen an, dass sich die Wirtsfamilie Reichinger mit den Verantwortlichen in der Küche an einen Tisch setzt, mit dem Ziel eine ehrliche Küchenperformance ohne Convenienceprodukte sowie den Einsatz von Gartechniken anzustreben, die die Gesundheit des Gastes nach menschlichem Ermessen und Stand der Wissenschaft nicht gefährden und dies anschließend entsprechend glaubwürdig der Öffentlichkeit zu kommunizieren.
Ein guter Beginn wäre möglicherweise das Eindampfen der Speisenkarte auf eine Seite DIN A4 - dafür wird dann aber auch alles handwerklich sauber gekocht. Idealerweise mit regionalen Produkten aus ökologischer Landwirtschaft. Je weniger Gerichte, desto besser lässt sich Mehrarbeit durchs Kartofffelschnibbeln und Knödeldrehen kompensieren und die Personalkosten bleiben konstant.
Ein ordentliches Mise en place, das Ansetzen der Soßen, das alles kostet Zeit - je weniger Gerichte, desto besser. Unterm Strich werden wohl ohnehin mit 20% der Gerichte auf Haupt- und Tageskarte 80% der Bestellungen abgedeckt. Der Rest ist also weitgehend überflüssig, belegt Platz in der Kühlung, macht Arbeit im Vorfeld und verursacht Abschreibungen.
Und: man muss es nicht jedem Gast Recht machen, der gerne einen Pulled-Pork mit Wasabi-Schaum im Brezenteigmantel im Duett mit Tonkabohnen-Espuma essen möchte. Soll er zum Helmut nach Bad Abbach rausfahren, da findet er so etwas auf der Karte. Hier Bairisches Wirtshaus, hier Brauereigasthof, hier bodenständige, ehrliche, traditionsbewahrende Küche. So stellen wir uns das wenigstens vor. Wer noch?
Ziel sollte es unseres Erachtens aber primär sein, die üppige Zusatzstoffliste auf exakt Null einzudampfen. Alles andere werten wir persönlich - jeder darf anderer Meinung sein! - als Ausreden und Geringschätzung des Gastes.
Uns persönlich verleiht unsere heutige Mahlzeit dort tatsächlich Flügel: Wir werden dort nicht mehr essen, bis diese - aus unserer Sicht - gravierenden Schwachpunkte abgestellt sind. Jedem, der das nicht so sieht wie wir, seien seine Mahlzeiten im Knei selbstverständlich von Herzen gegönnt.
Danke für diese ehrlichen Worte. Wir meiden dieses Lokal und ettliche andere exakt aufgrund der Verwendung der vielen Zusatzstoffe.
AntwortenLöschenIch kann mich Ihrer Meinung nur anschließen. Ich war persönlich bisher einmal im Kneitinger und da gab es auch Schweinshaxe mit Knödel. So was grässliches hatte ich bisher noch nicht gegessen!!!
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