Meine Wahl fällt auf die Einkehr zur Alten Post in Ponholz. Dort hat mich Martin Kandlbinder zuletzt vor eineinhalb Jahren auf hohem Niveau bekocht. Trägt meine Zuversicht, dass er sein hohes Niveau zumindest wird halten können?
Das Winzerehepaar Christa und Rainer Zang aus Nordheim am Main, Pioniere des ökologischen Weinbaus in Franken und Schöpfer herausragender Bio-Weine, besuchen Regensburg heute zum ersten Mal. Nach einem ausgiebigen Stadtbummel werden wir mutmaßlich hungrig sein ...
von Robert Bock
Im Unterschied zu einigen anderen Köchen seiner Liga, verabreicht Martin Kandlbinder seine Kreationen meiner Erfahrung nach nicht in homöopatischer Dosierung. Wer ihm in Lebensgröße gegenübersteht, versteht sogleich, weshalb. Er isst so gerne wie er kocht und möchte seine Gäste nie und nimmer Hunger leiden sehen. Auch heute ...?
Die Weinkarte präsentiert sich gegenüber meinem Erstbesuch gereift und noch interessanter als vordem. Vor allem sticht mir ein erstaunlich großes Angebot an Bio-Weinen ins Auge. Es versteht sich von selbst, dass ich ausgerechnet einem Rainer Zang, der seine Lagen auf der Weininsel an der Mainschleife seit mittlerweile 28 Jahren nach den strengen Regeln von Naturland bewirtschaftet, keinen konventionell produzierten Wein zum Essensbegleiter vorschlagen möchte.
Die Wahl des Weins gestaltet sich indes nicht einfach, denn wir haben uns allesamt für Kandlbinders Überraschungsmenü mit 4 Gängen entschieden.
Ich entscheide mich - nach Rücksprache mit dem Weinbau-Profi - für den Anfang für eine Flasche 2016er Weißburgunder aus dem Rheingau, ökologisch produziert vom V.D.P.-Weingut Graf von Kanitz aus Lorch am Rhein. Dieses Weingut kenne ich aus eigener Anschauung von einem Kurztrip in den Rheingau, wo ich in Lorch Quartier bezogen hatte.
Obschon der Rheingau "Riesling-Country" ist, gelingen im Westen dieser Region, wo Vater Rhein wieder gen Norden fließt, sehr bemerkenswerte Burgunder. In Assmannshausen, ein paar Kilometer südlich kurz vor Rüdesheim, sogar die roten. Eine gute Wahl ist dieser V.D.P Gutswein, wird sich herausstellen, sortentypisch, frisch, mineralisch und obendrein preislich in der Alten Post fair angesetzt.
Martin Kandlbinder eröffnet sein Überraschungsmenü mit einem Gruß aus der Küche: Brot und Creme Fraiche mit Kräutern. Aufregend wie eine Silvesterrakete mit feuchter Lunte: die Überraschung will noch nicht zünden ...
Das ändert sich mit dem folgenden zweiten Gruß aus der Küche: Pulled Beef mit roten Linsen. Die Portion ist übersichtlich, gemessen an dem, was ich von Martin Kandlbinder bislang kenne. Klein, aber schmackhaft und in sich stimmig.
Die roten Linsen sind al dente gegart. Kein leichtes Unterfangen gerade bei dieser Varietät, wie jeder weiß, der je rote Linsen zubereitet hat. Die zerfallen nämlich binnen kürzester Zeit zu Brei und es erfordert Fingerspitzengefühl sie so auf den Punkt zu garen, dass man sie so schön kreisrund geschichtet präsentieren kann wie es hier gelungen ist. Linsen und butterzart geschmortes Rind das hat was! Ein schönes zweites Entré. Ich wünsche mir dennoch, dass die Portionsgröße von jetzt an üppiger ausfallen möge ...
Der erste offizielle Gang des viergängigen Überraschungsmenüs, ein echter Kracher! Französische Taubenbrust mit Roter Beete, Perlzwiebeln und Pfifferlingen.
Zunächst sticht mir die Leinwand ins Auge: ein wunderschöner, dunkelblau gehaltener Teller, auf dem Kandlbinder dieses in die Jahreszeit passende Gericht angerichtet hat.
Die Qualität der Taubenbrust, ihr perfekter Gargrad, ihre Zartheit und Würze sind atemberaubend. Die Qualität der Beigaben, die Kombination aus erdiger Frucht der Beete, den guten Pifferlingen eigenen Würze und der säuerlichen Süße der Perlzwiebeln steht dem nicht nach. Ein in sich gelungener erster Gang ohne jeden handwerklichen Fehler - meines Erachtens so erreichbar, aber nicht verbesserbar.
Fisch im zweiten Gang. Martin Kandlbinder weiß, was die Dramaturgietradition eines Menüs verlangt: Wildfangsteinbutt auf Creme-Spinat mit Beurre Rouge.
Der Teller mit seiner reliefartigen Oberflächenstruktur als Bühne, ein Traum! Auch, wenn der Löffel, nähert man sich dem Boden, unschicklich laute Geräusche produziert.
Der Fisch ist perfekt gegart: Das Fleisch noch dezent glasig, die Haut kross. Der Spinat ist - für Kandlbinders Verhältnisse - eher unspektakulär und erinnert mich an Iglo-Rahmspinat, den mit dem Blubb ... Die Beurre Rouge korrigiert diesen Anflug von Gewöhnlichkeit und, gemeinsam mit dem Spinat gelöffelt, ereignet sich im Mund Phantastisches!
Der Weißburgunder ist alle, was nun? Ich spekuliere auf rotes Fleisch im Hauptgang und bestelle eine Flasche roten Bio-Weins aus Rheinhessen: ein 2014er, im Holzfass gereifter St. Laurent trocken vom Weingut Hermer aus Worms.
Weder mir noch Rainer Zang bislang ein Begriff, aber das sollte sich an diesem Abend ändern. Wer diesen würzigen, kräftigen St. Laurent im Glas hat, denkt nie und nimmer an Rheinhessen! Aber ob er schlussendlich zum Hauptgericht passen wird ... Motto des Abends: Lassen wir uns überraschen!
Maitre Kandlbinder schickt einen fulminanten Hauptgang, der diese Bezeichnung auch verdient: Rücken vom Sikahirsch auf Topinamburcreme mit Vanillekarotten, Pak Choi und Maroni an Urwaldpfeffersauce.
Bäng! Liest sich das nicht nach Harte-Nippel-Garantie?
Fleisch des aus Ostasien stammenden Dammwilds habe ich bewußt noch nie gegessen. Schön, dass sich das heute ändert. Butterzart, saftig, würzig. Den Gargrad hat der Chef perfekt getroffen. Ich meine, besser kann man das nicht machen. Wenn man Tiere tötet, um sie zu verspeisen, sollte man mit maximalem Respekt und Sorgfalt zu Werke gehen. Martin Kandlbinder lebt diese Maxime wie wenige Köche in der Region mustergültig.
Die Topinamburcreme (nebst Topinamburchip als Deko) ist seidig und von dezenter Süße, die Vanillekarotten und die winzigen Maroni ein unglaubliches Vergnügen, der Pak Choi so auf den Punkt gedünstet, dass er dem Gericht sogar etwas Crunch und die ihm eigenen vegetabilen Noten beisteuert.
Die Sauce ist kräftig, dicht und besser nicht zu machen. Der Urwaldpfeffer aus Madagaskar, auch Wotsefak ... -nein!: Voatsiperifery bzw. Bourbonpfeffer genannt, streut spektakuläre exotische Aromen und dezente Schärfe bei, die die Eigenaromen des Sikahirschfleischs und der Gemüsekomponenten dieses Gangs perfekt abrundet.
Bravo, Martin Kandlbinder! Dieses Gericht hat für mich den Charakter eines Signature Dishs, besticht es doch durch eine klare, individuelle Handschrift, für die man diesen Koch und seine Kunst ganz einfach lieben muss.
Findet auch Christa Zang, die mit Glanz in den Augen ihr Besteck niederlegt, um Worte ringt und sagt, dies sei das Beste gewesen, das sie in ihrem Leben je gegessen habe. Ihr Gatte pflichtet ihr nickend bei; er ist ein knorriger Mainfranke, kein Mann blumiger Reden, doch wer ihn ein wenig kennt, erspürt, die Kunst der Küche Kandlbinders hat auch ihn berührt. Kann man sich als Gastgeber mehr wünschen ...?
Unisono erwarten wir, das Dessert werde diesen Hauptgang kaum toppen können.
Es ist zwar ausgezeichnet und gereichte jeder Küche zu Ehre, doch löst es sich nicht aus dem Schatten seines Vorgängers: Rotweinbirne, zweierlei Mousse au Chocolat, hausgemachtes Brombeersorbet.
Erneut ein schöner, weißer Teller mit rauer Oberfläche, erneut schön angerichtet - auch wenn ein Blättchen Minze (oder anderes Grün) dem Ensemble optisch gut getan hätte. Jede einzelne Komponente dieses Tellers ist hervorragend, doch mir persönlich gefällt die weiße Mousse besonders gut. Ein würdiges Finale eines ausgezeichneten Überraschungsmenüs.
Martin Kandlbinder |
Der Chef persönlich schaut an unserem Tisch vorbei, setzt sich, auf unsere Aufforderung hin, zu uns und wir plaudern über Gott, Wein und sein Menü.
Auf der Heimfahrt merken die Zangs an, dass dieser Martin Kandlbinder ihnen gefalle: so überhaupt nicht eingebildet und großspurig komme er daher, sagen sie; bodenständig wirke er auf sie, leidenschaftlich in seinem Tun und ein Könner seines Fachs. Beinahe könnte man ihn für einen Franken halten, füge ich augenzwinkernd hinzu und wir lachen ...
Für mich gilt nach wie vor: Die Einkehr zur alten Post in Ponholz zählt zu den besten Restaurants der Oberpfalz. Die Küche verdient - meine Meinung - noch mehr als vordem, mehr als das bereits erreichte Niveau Bib Gourmand, nämlich einen Stern im Guide Michelin.
Ist dessen Testern Kandlbinders Küche womöglich eine Spur zu klassisch-konservativ? Heute dominierte meinem persönlichen Empfinden nach der Einfluss französischer Küche, doch waren die kandlbindertypischen asiatischen Einsprengsel erneut klar erkennbar. Die Qualität der Zutaten ist über jeden Zweifel erhaben, ebenso ihre Verarbeitung und Verwendung. Martin Kandlbinder beherrscht sein Metier aus dem FF und keine Mühe scheint ihm zu groß, nach der hohen französischen Schule zu verfahren. Die hat einst ein Francois Pierre de La Varenne (1618-1678) begründet, der das Optimum an Aromendichte aus den Lebensmitteln zu kitzeln trachtete. "Wenn ich eine Kohlsuppe esse, möchte ich, dass sie nach Kohl schmeckt", formuliert La Varenne in seinem 1651 erschienenen Kochbuch Le Cusinier francois - bei Martin Kandlbinder schmeckt jede Komponente aufregend präzise nach sich selbst.
Möglicherweise steht dem Stern auch im Wege, dass sich bestimmte Lebensmittel im Lauf der Zeit wiederholen und man der Küche das als Kreativitätsdefizit auslegt ...? Topinamburcreme, Pak Choi und Perlzwiebeln spielten auch im Februar 2017 eine Rolle (in Kombination mit Skrei-Filet und Curryschaum), als ich erstmals hier aß. Ich persönlich mag diese Komponenten, aber ich lege vermutlich nicht die Messlatte der Profis vom Guide Michelin an eine Küche an.
Das Preisgefüge in der Alten Post ist fair, das Ambiente stilvoll und gediegen und zum Abschluss will und muss ich den Service hervorheben: Besser als die Dame, die uns durch den Abend begleitet hat, kann eine Servicekraft ihren Beruf nicht ausüben: Ruhig, stets präsent und freundlich: Eine perfekte Co-Gastgeberin mit einer Leistung ohne jeden Makel. So wünscht man sich das als Gast in einem gehobenen Restaurant, so kehrt man gerne künftig wieder hier ein.
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