Samstag, 5. Mai 2018

Immer dem Seidla nach - Auf dem Bierquellenwanderweg

Kulinarische Wanderwege sind eine feine Erfindung. Vor allem, wenn die Etappen zwischen den Wirtshäusern lang genug und das Terrain anspruchsvoll ist. Dann schmeckt nicht nur das Essen doppelt bis dreimal so gut und man hat bereits ex ante wohlfeile Ausreden, weshalb man das Kalorienbudget ordentlich zu überziehen gedenkt. Zudem fließt der Schweiß an einem warmen Tag in Strömen und schreit nach isotonischen Durstlöschern.

In den Brauereigasthöfen entlang des Oberfränkischen Bierquellenwanderweges (nahe Pegnitz an der A9, Ausfahrt Trockau), fällt die Wahl selbstredend auf den edlen Gerstensaft, den die vier kleinen Dorfbrauereien entlang des Wanderweges in vorzüglicher, individueller Qualität in Halbliterkrügen (fränkisch: Seidla) zu deftiger fränkischer Hausmannskost ausschenken.

Meine charmante Begleiterin und ich haben uns an einem Aprilsonntag die Südschleife vorgenommen. 10,8 Kilometer und 350 Höhenmetern klingen nicht spektakulär - aber sie haben es  in sich.
von Robert Bock

Wer sportlich drauf ist und früh am Tag an beliebiger Stelle in den Rundkurs einsteigt, hat vier Brauereiwirtshäuser, 17,9 Kilometer und 590 Höhenmeter vor der Brust. Das kann man schaffen, keine Frage, aber ob da genügend Zeit zum Verweilen und Genießen bleibt?

Wir kennen bereits drei der vier Brauereigasthöfe von vergangenen Besuchen der Gegend. Den vierten, am südlichen Zipfel des Rundweges in Büchenbach gelegen, wollen wir heute kennenlernen. Gut, dass der komplette Rundweg mittels einer Abkürzungsroute bequem in zwei Tagestouren aufteilbar ist; wir wählen die Südschleife.

Das Auto stellen wir nahe der Autobahnausfahrt in Trockau auf dem Parkplatz des Fußballvereins ab, wandern bei schönstem Sonnenschein etwa 400 Meter zurück nach Trockau und steigen in den Bierquellenwanderweg ein.

Mit hellem Bier im Seidla ist der Hauptweg, mit dunklem die Abkürzungsroute markiert. Nicht an jeder Stelle werden wir über Eindeutig- und Häufigkeit der Beschilderung glücklich sein, aber das Risiko sich heillos zu verfransen ist überschaubar.

Es ist Viertel nach Zehn. Wir wollen zum Mittagessen im Brauereigasthof Herold sein.

Dort wird das Beck'n Bier gebraut. Auch Hausmacher Wurstwaren locken. Wer die ganze Runde wandern will findet beim Herold auch Fremdenzimmer zum Übernachten, wenn der Wandertag mit einem amtlichen Rausch ausklingen soll.

Zunächst begleitet uns das Rauschen der nahen A9 und auch der Asphalt lässt wenig Naturerlebnis aufkommen. Doch das ändert sich. Wir tauchen in herrlich nach Frühling duftenden Mischwald ein, streifen durch weite Wiesen und über uns ein strahlend blauer Himmel.

Schnell wird uns klar: Es wartet ein anstrengender Tag auf uns: Kaum Flachpassagen von Trockau nach Büchenbach, rauf und runter, runter, rauf. Nach 5,1 Kilometer vor uns im Tal das erste Etappenziel.

Am Stammtisch sitzt ein älterer Herr, ansonsten nur der Wirt und wir. Wir setzen uns in die Stube. Aus der Zeit gefallen wäre hier die Floskel, die BR-Journalistinnen hier wohl für unser Hineinspüren beim Ankommen bemühten. Hier hat sich nicht viel verändert seit der Wirt einst das Wirtshaus übernommen hat. Nur der Wandkalender von einem Landwirtschaftsgroßhandel deutet darauf hin, dass auch hier in Büchenbach das Jahr 2018 stattfindet.

Ich sollte nicht spotten über dieses Dorf, denn in der hiesigen Kirche St.Vitus wurde ich einst getauft. Seither war ich nicht mehr hier, aber einen Abstecher in die sehenswerte, barock ausstaffierte Kirche werde ich mir nicht entgehen lassen, bevor wir uns nach Leups, dem Ziel der zweiten Etappe, aufmachen werden.

Wir haben Durst wie zwei Ochsen. Der Wirt bringt uns zwei Radler aus seinem würzig-süffigen bersteinfarbenen Beck'n Bier. Halleluja, kann ein Radler prima schmecken, wenn man sich ordentlich geschunden und geschwitzt hat! Wir bestellen Saure Bratwürscht und Tellersülze mit Musik, jeweils begleitet von einer Portion Bratkartoffeln.

Und weil das Radler gar so schnell verdunstet, noch einen Maibock dazu, der grad im Ausschank ist. Eingedenk dessen, das wir noch einen weiten Weg und die Brauerei Gradl in Leups vor der Brust haben, teilen wir uns ein Seidla wegen der hohen Stammwürze. Großartig! Die Oberfranken wissen, wie man aus Wasser, Hopfen und Malz ein kuninarisches Erlebnis zaubert! Nirgendwo ist die Brauereidichte so groß wie hier, nirgendwo die Biere so individuell und einzigartig.

Der Wirt ist ein Oberfranke, wie das Klischee es vorsieht: Brummig, keinesfalls übertrieben freundlich. Sein Küchenpersonal - wir vermuten allesamt Familie - wird den harschen Ton, dessen er sich befleissigt, wenn er Anweisungen Richtung Küche blafft, zu nehmen wissen und es nicht anders gewohnt sein.

Das Essen schmeckt gut, die Portionen sind ordentlich, gemessen am Preis gar riesig. Die Bratwürste zählen nicht zur Tabellenspitze Frankens, leider machen die Broudwärscht aber herausragende Saure Zipfl zu 80% aus. Da reißt es auch der rund abgeschmeckte, süß-saure Sud nicht heraus.

Die Sulz ist prima, der Stand ist nicht aus dem Gelantine-Packerl, das sieht man sofort am Fettgehalt, die "Musik" ergänzt die Tellersulz hervorragend. Bratkartoffeln schmecken in Franken überall sehr gut - es liegt an den Kartoffeln, die hier mehr Aroma haben, als beispielsweis ein Niederbayern, wo sie meist nach gar nichts schmecken. Kartoffeln brauchen kargen Boden. Den finden sie hier.

Weiter zur Kirche St. Vitus, denn leicht werden die Glieder steif, wenn man zu lang rastet. Kühl ist es im Schiff. Hier sitzt man gerne, bewundert die,  füreine Dorfkirche, opulente Ausstattung und findet zur Ruhe.

Auf geht's! Wir begeben uns auf den früheren Schul- und Kirchweg meiner Mutter. 3,1 Kilometer über Stock und Stein, erst schier endlos nur bergauf, dann steil bergab nach Leups.

Diesen Weg will meine Mutter (!) tatsächlich Tag für Tag zweimal gelaufen sein ...? Immer wieder halten wir inne, weil am Wegesrand uns unbekannte Blumen blühen und fremde Vogelstimmen Achtsamkeit einfordern. Die Sonne blinzelt durch das helle Grün der Buchen und Eichen. Welch ein Spiel von Licht und Farbe! Vom Bierdunst merken wir nichts - oder kommt uns diese Passage, trotz aller Opulenz von Mutter Natur, seinetwegen so anstrengend vor?

In Leups, beim Gradl, wird das vielleicht beste Bier der Welt gebraut, wie meine treuen Leserinnen und Leser längst wissen. Wir holen uns am Ausschank (Selbstbedienung) zwei Seidla Radler, ich bestelle in der Küche eine Portion Romadour mit Musik und Brot, die wir uns teilen wollen, und zehn Minuten später steht sie, wie versprochen, zur Abholung dort für mich bereit.

Das Leupser Bier ist dunkler als das Büchenbacher. Ich mag es lieber, bin aber emotional voreingenommen.

Der Romadour ist jetzt genau die richtige Brotzeit für den Rest des Weges. Wer ihn noch nie mit Musik gegessen hat, sollte das nachholen!

Trotzdem mein erneuter Appell: Wenn Ihr mal Richtung Berlin auf der A9 fahrt (oder retour), macht bei Trockau einen Abstecher nach Leups auf ein Seidla Gradl-Bier (2,20 Euro) und eine Brotzeit. Am besten ein selbstzusammengestellte Auswahl fränkischer Dabbas (italophile Franken sagen auch Andibasdi dazu) aus Pressack rot/weiß, Ziebalaskäs und Romaduor mit Musik. Ihr werdet es nicht bereuen!

Mittagshitze, und wie! Schier endlos zieht sich Abkürzungsroute zurück nach Trockau ausgangs Leups auf Asphalt den Berg hinauf. Schmucke Häuschen, blühende Sträucher, dann ein Spalier blühender Apfel- und Kirschbäume entlang der Straße. Die dunklen Seidla weisen uns zuverlässig den Rückweg.

Der Parkplatz des Trockauer Fußballvereins ist mittlerweile proppenvoll beparkt. Wer auch immer heute hier gegen die Heimmannschaft antritt, er wird den 12. Mann auf dem mit Löwenzahn bewachsenen Rasenplatz zu spüren bekommen.

Viereinhalb Stunden Genuss in Sachen Wandern, Naturerleben und kulinarischem Genuss liegen alles eingeschlossen hinter uns. Ich bin mir sicher, dass ich heute Nacht schlafen werde wir ein Murmeltier.

Umfassende Informationen zum Bierquellenwanderweg findet Ihr hier. Ich empfehle festes Schuhwerk. Mobilfunkempfang auf Teilen der Strecke eingeschränkt bis dürftig. Wenig Bänke entlang der Südschleife, keinerlei Kinderbelustigung. Natur, Wandern, Bier, fränkische Brotzeit - das ist dem Kind im Manne an Plaisir genug ...

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