Freitag, 17. August 2018

mieser.mittag@mainschleife.de

Seit 1683, wahrscheinlich aber bereits seit dem 13. Jahrhundert, werden im Gasthof Goldener Löwe zu Gaibach, heute einem Ortsteil  der Stadt Volkach in Mainfranken, Gäste bewirtet.

Seit 1947 von der Familie Lorey, die obendrein auch ihren eigenen Wein an- und ausbaut und vermarktet. Das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege führt den Goldenen Löwen als Baudenkmal und er verfügt sogar über einen eigenen Wikipedia-Eintrag.

Das Adelsgeschlecht der Schönborns hat das 500-Seelendorf Gaibach über Jahrhunderte hin geprägt. Der Goldene Löwe liegt unmittelbar am prächtigen Schönborn'schen Schloss und der vom Architekten der Würzburger Residenz (UNESCO-Welterbe), Balthasar Neumann, geschaffenen Dreifaltigkeitskirche  an einer historisch bedeutenden Handelsstraße. Allesamt Gründe für mich, dort an einem Sonntagmittag im August einzukehren. Ich hätte das besser gelassen ...
von Robert Bock

Erreichst Du die Mainschleife kurz vor 13 Uhr an einem Sonntagmittag, solltest du dich schicken, wie die Franken sagen, einen Tisch in einem Wirtshaus zu ergattern, ansonsten du Gefahr läufst, nur noch eine kalte Brotzeit zu bekommen. Der Verkehr ist dicht, die Zahl der Baustellen zwischen Nürnberg und der Anschlussstelle Kitzigen-Schwarzach auf der A3 Legion, und ich bin deshalb später als geplant am Ziel.

Von außen her wirkt der Goldene Löwe, als wäre der Laden dicht. Nicht bloß heute, sondern seit langem und auf Dauer.

Das Gebäude wirkt trotz Baudenkmalstatus heruntergewirtschaftet und die Fassade vertrüge eine Rundum-Auffrischung. So auch die barocke Dreifaltigkeitskirche: Eine Schande, in welchem Erhaltungszustand sich dieses kunsthistorisch bedeutende Kleinod seinen Besuchern präsentiert! In München prunkt der Protz, in der Provinz zermahlt der Zahn der Zeit unbehelligt seine Zeugnisse ... Auch das ist CSU-Bayern.

Das auf der Website stolz ausgelobte Weingärtle auf der Nordseite des Anwesens ist verwaist. Wann es wohl letztmals einen Besen, wann sein Mobiliar einen Wischlappen gesehen hat? Vom Eingang her wabert Bratenduft an meine Nase. Der Goldene Löwe atmet noch, er lebt!

Meine Begleiterin und ich betreten die Gaststube. So kenne ich Wirtshäuser aus den 1970er Jahren! Lieber Gott, lass es keine Zeitschleife sein in die wir hier hineingeraten sind! Uraltes Mobiliar, ein Potpourri an Weinfrankenkitsch vor nikotingelben Wänden und sturmabteilungsbraunen, raumteilenden Ziehharmonikatüren. Sogar die satinierten Fensterscheiben sind in Nikotingelb gehalten und verweigern dem Gast den Ausblick in eine Welt die dieser Stube mit den Jahrzehnten weit enteilt ist. Parkten vor der Türe VW Käfer, Ford Taunus und Opel Kadett, mich würde nichts wundern. Wenigstens zieren frische Schnittblumen die Tische, auf denen Stofftischdecken liegen ...

Mich haben die optischen Reize derart im Griff, dass ich den Pommes-Frites-Fett-Mief nicht wahrnehme. Meine Begleiterin schon. An einem Nebentisch tollen schlecht erzogene Kinder  schlecht erziehender, tätowierter Eltern über ihren Pommes-Tellern ohne dass ihnen jemand Einhalt geböte.

Nichts wie rückwärts raus, oder bleiben ...? Der Magen knurrt ... In Gaibach findet sich keine einzige Alternative ... Im nahen Touristen-Hotspot Volkach herrscht parkplatztechnisch meistens Ausnahmezustand ...  Wir entscheiden uns zu bleiben. Im Nachhinein ein Fehler, denn so lieblos und handwerklich miserabel wurde ich in Franken noch nie und nirgendwo bekocht.

Den Service nehme ich ausdrücklich aus, denn der junge Mann, vermutlich Teil der Wirtsfamilie, bedient uns freundlich und flott, obgleich nicht ohne einen gröberen Schnitzer ...

Der hauseigene Wein - ich habe einen halbtrockenen Kerner zu meinem Sauerbraten, meine Begleiterin einen trockenen Silvaner zum Fränkischen Hochzeitsessen bestellt - wird in proppenvollen Weißweingläsern einfachster Qualität und Formgebung serviert, doch wenigstens nicht in Römern. Die Blume kann sich kaum entfalten, einem schönen Wein wäre dieses Glas in jedem Falle abträglich.

Holla, die Waldfee! Einen derart derben, fränkisch-trockenen, obschon halbtrocken ausgelobten Kerner, hatte ich noch nie im Glas! Dagegen mutet mir ja sogar der Dreimännerwein aus Bach a.d. Donau an wie eine Spätlese von der Mosel! Hengstenberg verortete ich bislang im schwäbischen Esslingen - zählt womöglich aber eine (Nord)lage gleichen Namens zur Großlage Volkacher Kirchberg, der die Gaibacher Weingärten zugerechnet sind ...?

Meine Begleiterin findet ihren Silvaner durchaus angenehm ... Wir kosten gegenseitig von unseren Weinen ... Es stellt sich heraus, dass wohl die Gläser vertauscht wurden. Ich sammle Gentleman-Boni indem ich mich weigere, ihr den Lorey'schen Silvaner, der mir fälschlicherweise untergeschoben wurde, zuzumuten und gönne ihr "meinen" durchaus gefälligen, vor allem aber trinkbaren Kerner. "Ihr" Silvaner ist auch noch nach dem zweiten und dritten Schluck gut gegen abstehende Hemden, weil so sauer, dass er mir förmlich das Hemd in die Kimme saugt. 

Ich habe den Goldenen Löwen vorgeschlagen, ich habe zu büßen ... Nein, Frankenwein schmeckt heute beinahe überall anders als diese beiden, offensichtlich auf Quantität statt Qualität getrimmten Weine der Familie Lorey. Die Masse-statt-Klasse-Philosophie hat sich im Maindreieck längst ins Gegenteil verkehrt. Zumindest dachte ich das bis zu diesem Sonntag ... Hier eine Kiste Wein für daheim mitnehmen? Würde man jemanden nicht leiden können, aber für diese Person ein Geschenk brauchen, mir fiele da ein ganz bestimmter Silvaner in den Sinn ...

Das Fränkische Hochzeitsessen präsentiert sich in Form von zwei Scheiben Fleisch, mutmaßlich Brust, eines zweimal getöten Rinds: das erste Mal beim Schlachter und das  zweite Mal in der Küche des Goldenen Löwen.

Wie bringt man es nur übers Herz, ein schönes Stück Fleisch zu malträtieren indem man es zu Tode kocht, bis es im Munde quillt, bis man kaut und kaut und der Mund nicht leer, nur voll und immer voller wird? Respekt vor dem Tier, das unseren Hunger zu stillen sein Leben ließ, sollte meines Erachtens jedem Koch oberstes Gebot sein. Beichten muss ein Katholik solch ein Vergehen an Gottes Schöpfung; Buße muss er tun, so meine ich, um Höllenfeuern zu entgehen ...

Die Bandnudeln zum doppelt getöteten Fleisch sind selbstverständlich nicht hausgemacht und liegen wohl schon eine Weile in der Küche herum, was sich an ihren Rändern im Biss bemerkbar macht. Die Meerrettichsoße (reichlich davon!) - ganz im Stil der späten Nachkriegsjahre, als hier noch WK-I-Veteranen dicke Stumpen geraucht und der Jugend die Welt erklärt haben - auf Basis einer Mehlschwitze derb und pampig, der Sprühsahneklecks und die Preisselbeeren reißen es leider nicht heraus. Selbst 10,80 Euro sind für dieses lieblos fabrizierte Essen meiner Meinung nach zu hoch gegriffen. Wer je anderswo ein gut gemachtes Fränkisches Hochzeitsessen genossen hat (beispielhaft hier) und diese Interpretation vorgesetzt bekommt, erfleht die Scheidung.

Dabei hatte meine Begleiterin noch Glück, denn ich habe mich für den Sauerbraten (10,80 Euro) entschieden. Mit dem interessant geformten Fleisch, dem Querschnitt einer Rinderzunge nicht unähnlich, könnte man versuchen Metall zu flexen, so hart ist es geraten. Furztrocken ist der mildeste Begriff, der meinen persönlichen sensorischen Eindruck widergibt. Ach, wäre es bloß Zunge - die hätte man kaum (obwohl, wer weiß ...) durch überzogene Kochzeit und -temperatur so ramponieren können ...

Die Soße schmeckt nach nicht viel, auf jeden Fall nicht nach einer kräftigen, hocharomatischen fränkischen Sauerbratensoße, wie ich sie aus den Küchen meiner Oma und meiner Mutter kenne. Die beiden Klöß sind kaum größer als Golfbälle, fluffig, wenngleich geschmacklos, beinhalten aber wenigstens je ein Breggala. Mehr hätten auch nicht hineingepasst. Ob sie handwerklich von A bis Z hausgemacht sind, wage ich weder zu behaupten, noch zu bestreiten. Wenigstens krönt sie ein Bröselbutterhäubchen.

Mein Beilagensalat besteht zu großen Teilen aus Komponenten aus der Konserve. Wer seinen Kindern eine Zeitreise in die 1970er ermöglichen und demonstrieren möchte, wie großartig seither die Entwicklung von Beilagensalaten vonstatten gegangen ist, fahre nach Gaibach, so lange es den Goldenen Löwen dort in dieser Verfassung noch gibt!

Ware aus dem Glas (Karottensalat, grüne Bohnen ...) geht für mich persönlich unter keinen Umständen. Die ledrig-zähe Haut von Bauerngurken nicht zu schälen ist mir Indiz von Faulheit wie auch die Verwendung von getrocknetem statt frischem Dill während der Saison. Dieser Salat setzt der Lust- und Lieblosigkeit, die die Küche des Goldenen Löwen uns beiden heute subjektiv vermittelt, die Krone auf.

Tief enttäuscht sind wir beide und fragen uns, wie inmitten (im Durchschnitt) wirklich ordentlicher Gastronomie an der Mainschleife ein Gasthof wie dieser sich halten kann. Jede Werkskantinenküche müsste mit Arbeitsniederlegung der Firmenbelegschaft rechnen, böte sie Speisen dieser Qualität an. Dass es mit der uns gebotenen Küchenperformance in abgewirtschaftetem, anachronistischem Ambiente - sollten wir nicht lediglich Zeugen eines rabenschwarzen Ausnahmetages der Küche geworden sein - tatsächlich  möglich ist, ein Auskommen zu finden, mutet mir wie ein Wunder an.

Über kurz oder lang muss im Goldenen Löwen, meiner persönlichen und unmaßgeblichen Meinung nach, ein tiefgreifender Erneuerungsprozess stattfinden, sonst werden die Lichter des Traditionsbetriebes eher früher als später ausgehen. Das wäre schade für Familie Lorey und schade für Gaibach, denn einem Dorf ohne Gasthof fehlt seine Seele.

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