Mittwoch, 26. April 2017

Müller-Thurgau-Maniacs (VIII): Angelina Schmücker aus Essenheim

Foto: Angelina Schmücker
Im Ruhrgebiet sei sie aufgewachsen, schreibt die 29 Jahre junge Angelina Schmücker auf ihrer Webseite, aber als Jugendliche habe es sie mit ihren Eltern nach Rheinhessen verschlagen. Bis dahin habe sie weder gewußt, wie Wein hergestellt wird, noch, dass es so etwas wie Weinreben gibt.
In Rheinhessen angekommen, habe sie rasch die rheinhessische Lebensart lieben gelernt: Herzlich, offen, immer etwas Gutes zum Essen und mindestens einen Schoppen auf den Tisch. Aber Winzerin zu werden ...? Auf diese Idee wäre sie damals nie und nimmer gekommen.
So absolvierte Angelina Schmücker zunächst eine Ausbildung zur Industriekauffrau und half nebenbei, wie schon während ihrer Schulzeit, einem befreundeten Winzer im Weinberg. Dass es auch möglich ist, ohne einen eigenen Familienbetrieb im Rücken, den Beruf des Winzers zu erlernen, war ihr damals nicht bewußt, jedoch stand für die junge Frau eines fest: Das ist meinTraumberuf! 
von Robert Bock
Foto: Angelina Schmücker
Und so nahm die junge Dame ihren Mut zusammen nahm ihre Ausbildung zur Winzerin in Angriff und machte sich auf den Weg nach Geisenheim, um Weinbau und Oenologie zu studieren.
Nun ist es soweit: Angelina Schmücker präsentiert ihre ersten beiden eigenen Weine: Das Verschnittsche - eine Cuvée aus Müller-Thurgau, Silvaner und Sauvignon Blanc - und den Wein, um den es sich hier drehen wird: Ihren Müller-Thurgau! 

Wie beschreibt Angelina ihren M-Th selbst?
"Immer noch unterschätzt zeigt dieser Müller einfach was er kann! Ungeschminkt und trotzdem verdammt sexy! Maischestandzeit, und dann Schönheitsschlaf auf der Hefe haben ihm gut getan… Kräftig, würzig, aber auch verdammt fruchtig – Mango und Maracuja tanzen auf der Zunge um die Wette! Hervorragender Trinkfluss und trotzdem eine ordentliche Substanz dahinter! Müller wie er für mich sein muss!!!"
Ich frage Sie, warum Müller-Thurgau? Angelina Schmücker antwortet:
"Weil Müller - auf Deutsch gesagt - einfach geil ist. Eine Rebsorte die leider komplett verkannt wird, weil sie irgendwann als Massenprodukt „verramscht“ wurde. Für mich liegt es aber auf der Hand Müller-Thurgau hat Tradition, ist geschichtsträchtig und man sollte dieser Rebsorte Respekt und die richtige Aufmerksamkeit schenken.

Müller-Thurgau ist eine so facettenreiche Rebsorte, mit der man im Keller spielen kann. Die Müllerrebe kann zwar im Keller auch eine kleine Diva sein und braucht besondere Aufmerksamkeit und Kontrolle, aber man kann viel mit ihr machen. Sie bietet einem Möglichkeiten, die kräutrigen, grünen Aromen auszuarbeiten oder in die fruchtige gelbe Maracuja Art zu gehen.


Man kann Müller leicht und mineralisch ausbauen, aber auch fetter, buttriger und schmelziger. Mit Holz oder ohne Holz…eine Rebsorte die wirklich Einiges kann. Man muss nur, auf gut Deutsch gesagt, die „Eier“ haben, dem Müller das nötige Gewicht zu geben. Niemand wird einfach so auf den Hof spazieren und sagen, ich würde gerne eine Flasche Müller-Thurgau kaufen ... Man muss ihn verkaufen und hinter dieser Sorte stehen."

Oh, ich schon, sinniere ich. Ich mache das gern und oft, wenn ich auf den Hof eines Winzer spaziere: gezielt nach Müller-Thurgau fragen.

Müller-Thurgau steht für mich, was sicher ungewöhnlich ist, an vorderer Stelle. Deswegen auch diese Rubrik in meinem Blog, deswegen auch mein Bemühen, die Reputation dieser Rebsorte zu heben und die Winzer zu ehren, die sich um sie bemühen.

Angelina Schmücker entstammt keiner Winzerfamilie. Mangels eigener Weinberge und technischer Infrastruktur kooperiert sie deshalb mit dem renommierten Weingut Johanninger in Biebelsheim.

Foto: Angelina Schmücker
Dort stellt sie den Wingert nach eigenen Wünschen so ein, wie sie es sich vorstellt, kauft die Trauben und baut anschließend im Keller des Weingutes Johanninger nach eigenen Vorstellungen ihren Wein aus.

Das Flaschendesign ist frisch und zeitgemäß: Ein wunderschönes Kleid für einen Müller-Thurgau! Es animiert dazu, den Drehverschluß zu knacken und das Tröpfchen sofort und ohne Umschweife zu kosten ...





Foto: Angelina Schmücker
Ich frage Angelina, wie es bei ihr weitergehen wird in Sachen Müller-Thurgau? Sie antwortet:
"2016 ist mein erster Jahrgang und somit auch mein erster Müller. Meine Basislinie und mein Traum und großes Ziel ist es auch noch einen drüber zu setzen, wenn alles gut läuft. Mein jetziger Müller ist für mich die ungeschminkte, ehrliche Müller Variante, ohne viel „Schischi“, trocken, hat nur 1g Restzucker, also nichts schön „gesüßt“. Er soll zeigen wie viel Spaß Müller machen kann. Unkompliziert, zum wegsaufen und direkt wieder nachschenken. Ein Müller der Scheu und Vorurteile direkt beim ersten Schluck vergessen lässt!"
Foto: Angelina Schmücker
Foto: Angelina Schmücker
Auf der ProWein 2017 in Düsseldorf dann die erste große Präsentation am Stand von Gipsy Wines ... Winepunk Marco Zanetti, der "wiedergeborene Hermann Müller" Christoph Hammel - Stars der Szene und über ihnen thronend: Angelina Schmücker.



Nun denn, dann auf zur Probe aufs Exempel ... Mal sehen, was dieser "Müller mit Eiern" kann:

2016er Müller-Thurgau QbA | Angelina Schmücker | Essenheim | Rheinhessen
12,5% Alc. | 1g RZ

Tag 1
Glas (Spiegelau Authentis Weißweinkelch): Hellgelb, dezente Schlierenbildung im Kelch
Nase: Grüner Apfel, Honigmelone - dezente, zurückhaltende Nase
Zunge & Gaumen: Grapefruit, grüner Apfel, unreife Maracuja, unreifes Steinobst

Am ersten Tag zeigt sich der junge Wein pfeilgerade, ausgesprochen trocken, was bei 1g Restzucker auch kaum verwundert, und insgesamt seitens der Frucht noch verschlossen. Deswegen die zweite Hälfte der Flasche am ...

Tag 2
Glas (Gabriel): keine Veränderung gegenüber dem Vortag.
Nase: zart-duftig, dezente florale Noten, Anklang reifer Birne, Zitrusfrüchte
Zunge & Gaumen: Grapefruit und Grapefruitschale, im Abgang Bitternoten.

Nase und Gaumeneindruck differieren deutlich. Insgesamt präzise, mineralisch aber im Abgang relativ kurz.

Fazit: Angelina Schmücker strebt eine individuelle Handschrift mit ihrem Erstlings-M-Th an, das ist unverkennbar. Wer Unikate schaffen will, nimmt in Kauf, es nicht jedem recht zu machen. Das ist gut so, denn ein Wein der jedem schmecken soll, schmeckt doch am Ende keinem.

Meine persönliche Vorliebe trifft Angelina Schmückers anvisierte Stilistik nicht - aber darauf kommt es auch nicht an, denn heiße ich zwar Robert, doch nicht Parker, und nehme nicht für mich in Anspruch irgendjemandes geschmackliche Referenz zu sein.
Ich persönlich hätte dem Wein bei vergleichbarer Säure 1-2g mehr Restzucker gegönnt und weniger Alkohol zugelassen. Hypothetisch hätte das die sehr verhaltene Frucht präziser Richtung Reife modelliert, womöglich noch die ein oder andere sortentypische Aromatik herausgekitzelt. Möglich aber, dass der Wein dann zu "mainstream", zu "gefällig" geraten und seiner Individualität verlustig gegangen wäre ...

Nicht ausschließen will ich, dass sich der erst unlängst auf die Flasche gezogene, schüchtern wirkende Wein erst im Laufe der nächsten sechs Monate zu voller Pracht und Farbe entwickelt. Mit Sorgfalt und Ruhe ausgebaute Weißweine entfalten ja oft erstaunlich spät beeindruckende Facetten. Ich habe Angelina Schmücker diesbezüglich vorab gefragt. Sie meinte, es sei nicht nötig zuzuwarten, ich solle die Flasche gleich köpfen ... Ich betrachte meinen persönlichen Eindruck als Momentaufnahme und will ihn nicht als abschließendes Urteil verstanden wissen. Dieser Wein besitzt, das spüre ich, Entwicklungspotenzial!

Freunde durchgegorener, fränkisch-trockener Weine und knochentrockener Rieslinge und Weißburgunder, dürften von Angelinas Müller-Thurgau begeistert sein. Wer die "klassischen", oft  restzuckerlastigen Müller-Thurgaus Rheinhessens kennt, wird's erstens kaum für möglich halten, dass dieser Wein tatsächlich von dort stammt und zweitens Müller-Thurgau, was wünschenswert wäre, in gänzlich anderem Licht betrachten. Das zu schaffen, nötigt Respekt und Anerkennung ab, das rechtfertigt die Aufnahme einer Winzerin in den Kreis der Müller-Thurgau-Maniacs.


In Essenheim, südwestlich von Mainz auf etwa einem Drittel der Strecke nach Bad Kreuznach gelegen, residiert die Jungwinzerin.

Gespannt darf die Welt der schönen Weine darauf warten, was von hier künftig zu berichten sein wird. Ein vielversprechender, höchst individueller Anfang ist gemacht.

Wer die Weißweine der Bicking-Brüder - ebenfalls Müller-Thurgau-Maniacs - mag, den wird Angelina Schmückers Premieren-Müller begeistern. Willkommen im Kreis der Müller-Thurgau-Verrückten, Angelina!



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